Recht auf Vergessen:Google soll mehr löschen

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Google soll mehr Namen aus den Suchergebnissen tilgen. (Foto: REUTERS)
  • Google soll in Zukunft großzügiger löschen. Zu diesem Schluss kommt der vom Unternehmen eingesetzte "Lösch-Beirat". Klare Kriterien werden nicht aufgestellt.
  • Der Europäische Gerichthof hatte im Mai 2014 entschieden, dass Nutzer das Recht haben, von Google aus den Suchergebnissen gestrichen zu werden.
  • Nur einer der acht Experten kritisiert dieses Recht ausdrücklich.

Von Heribert Prantl, München

Der "Lösch-Beirat" des Internet-Konzerns Google hat nach sechsmonatiger Arbeit seinen Berichtsentwurf zum "Recht auf Vergessenwerden" geschrieben. Die Experten plädieren mehrheitlich dafür, Anträge auf Löschungen großzügiger als bisher zu handhaben. Bisher wurden sechzig Prozent der 205 000 Löschanträge abgelehnt, die Bürger in Europa seit dem Google-Urteil des EU-Gerichtshofs gestellt haben. Die Richter in Luxemburg gaben den Nutzern von Google im Mai 2014 ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre und einen Anspruch auf die Löschung von Links zu falschen oder kompromittierenden Daten.

Die acht Experten, die Google deswegen sodann als Berater berufen hatte, begrüßen nun das Urteil mehrheitlich als wegweisend. Sie sprechen von einem Recht auf Geschütztsein im Internet und von einem Recht auf Verstecktsein vor der Suche im Netz. Nur einer der acht Sachverständigen äußert im Bericht ausdrücklich Protest gegen ein solches Recht: Jimmy Wales, der Mitbegründer von Wikipedia.

Wo soll gelöscht werden? Nur in Europa - oder weltweit?

Uneinig sind sich die Experten allerdings über die Reichweite des Löschungsanspruchs: Sie plädieren mehrheitlich dafür, dass bei einem Anspruch auf Löschung von Links nur die Links auf EU-Domains gelöscht werden, wie es seit dem Luxemburger Gerichtsurteil schon Praxis bei Google ist. Die Löschung betrifft also nur die europäische Variante der Suche, also zum Beispiel Google.de oder Google.fr.

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Ein Kommentar von Heribert Prantl

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als deutsches Beiratsmitglied legt dazu ein abweichendes Votum vor: Sie fordert, dass Google "global für alle Domains" löschen muss. Sie erklärt: "Wenn ich bei der Google-Suche in Europa über Google.com die Artikel wiederfinde, auf die sich der Löschungsanspruch bezieht, wird der Anspruch umgangen".

Eine ähnliche Auffassung vertritt auch die sogenannte Artikel-29-Datenschutzgruppe, die vor 20 Jahren als Beratungsgremium der EU-Kommission für Fragen des Datenschutzes eingesetzt wurde. Google ist aber strikt gegen einen so umfassenden Löschungsanspruch, weil er Auswirkungen auf den amerikanischen Markt hätte. Leutheusser-Schnarrenberger fordert den EU-Gesetzgeber auf, sich mit dieser Frage zu befassen.

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Die acht Experten, die Google nach dem Urteil des EU-Gerichtshofs bestellt hatte, sollten unter anderem eine Art "Lösch-Leitfaden" ausarbeiten, also Regeln und Empfehlungen zum Vorgehen bei komplizierten Löschanträgen. Seit dem Urteil stellt der Suchmaschinenkonzern ein Online-Formular zur Verfügung, mit dem Bürger beantragen können, Suchergebnisse aus dem Index zu nehmen. Der Experten-Beirat empfiehlt nun ein verbessertes Formular. Zudem sollen die Entscheidungen von Google über die Löschung differenzierter werden. Google soll sich auch nicht mehr, wie bisher üblich, für ein angebliches Interesse auf Information entscheiden. Es soll, so die Berater von Google, im Zweifel nicht gegen, sondern für die Löschung entschieden werden.

Klare Kriterien, die jeweils für oder gegen Löschung sprechen, stellen die Experten nicht auf. Es komme auf die Gesamtbewertung an: Bei der Abwägung soll unter anderem eine Rolle spielen, ob der Antragsteller die Information selbst preisgegeben hat. Der Zeitfaktor soll besonders bedeutsam sein: Je älter die Information, umso gewichtiger sei der Löschungsanspruch. Personen des öffentlichen Lebens sollen sich jedoch nicht so leicht reinwaschen können.

Auch bei einer tatsächlich richtigen Berichterstattung soll es nach Meinung des Beirats ein Löschungsrecht geben - wenn die Fakten nicht mehr aktuell, nicht mehr relevant oder sehr privat sind. Eine Privatperson solle nämlich nicht ein Leben lang mit einem negativen Ereignis in Verbindung gebracht werden. Der "Gedanke des Rechts auf eine zweite Chance" habe, so Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, bei den Beratungen des Gremiums eine wichtige Rolle gespielt. Der eigentliche Text wird freilich nicht gelöscht, er bleibt auffindbar; gelöscht werden nur die Links, die Hinweise auf diesen Text.

Bisher informiert Google bei jeder Löschung den Betreiber der betroffenen Seite, die Redaktion oder den Webmaster. Diesen Automatismus lehnt der Experten-Beirat ab. Es müsse darauf geachtet werden, dass mit der Information über die Löschung nicht noch einmal das Datenschutzrecht missachtet werde - und der Seitenbetreiber also nicht noch einmal mit der Nase auf die inkriminierte Information gestoßen werde.

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Aus Deutschland kamen 35 000 Löschanträge

Bei Google sind seit dem Urteil des EU-Gerichtshofs 205 000 Anträge auf Löschung eingegangen, vierzig Prozent davon wurde stattgegeben. Aus Deutschland kamen 35 000 Löschanträge, die Hälfte davon war erfolgreich. Das sind - bei 500 Millionen EU-Bürgern - weniger Löschanträge als erwartet. Nach einem "ersten Ansturm", so Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, "pendelt sich das ein". Sie plädiert dafür, dass Google für strittige Fälle eine unabhängige Schlichtung einführt, um dem Bürger eine Klage zu ersparen.

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Das Google-Gremium hat von August bis November in sieben europäischen Städten Experten angehört. Diese Runden wurden zum Teil von Eric Schmidt, dem früheren Google-Chef und jetzigen Verwaltungsratsvorsitzenden des Konzerns moderiert; in Deutschland fand die Anhörung in Berlin statt. Auf dieser Basis und nach weiteren internen Beratungen in London wurde der Berichtsentwurf verfasst, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Der Bericht soll das künftige Verhalten von Google bei Löschanträgen lenken und leiten.

Dem unentgeltlich arbeitenden Gremium gehörten neben Leutheusser-Schnarrenberger der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, Frank La Rue an, des weiteren Luciano Floridi, Professor für Informations-Ethik in Oxford, die frühere Le-Monde-Chefin Sylvie Kauffmann sowie der frühere spanische Datenschutzbeauftragte José-Luis Pinar, die polnische Juristin Lidia Kołucka-Żuk, Beraterin des früheren polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk; sowie Peggy Valcke, Professorin für Medienrecht an der Uni Leuven.

Jimmy Wales, Mitbegründer von Wikipedia und Mitglied des Gremiums, sprach sich in den Beratungen immer wieder grundsätzlich gegen Löschansprüche aus. In seinem Sondervotum zum Bericht des Lösch-Beirats äußerst er sich unglücklich über die vom EU-Gerichtshof geschaffene Rechtslage. Er fordert das Europäische Parlament auf, den, wie er meint, sehr schlechten europäischen Rechtszustand zu verbessern und der Meinungsfreiheit mehr Gewicht zu geben. Bis dahin müsse man dem EU-Gerichtshof Folge leisten.

© SZ vom 05.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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