Wenn Roger Federer nach einem gefühlvollen Volley zurück an die Grundlinie schreitet und sich auf den nächsten Ballwechsel vorbereitet, dann sehen die Zuschauer nicht nur den Gesichtsausdruck des Tennisspielers. Sie sehen das Logo eines Sportartikelherstellers auf seinem Stirnband. Sie bemerken den Namen jener Firmen, die Stühle und Mützen für die Linienrichter bereitgestellt haben. Sie entdecken auf einer Werbebande dahinter den Hauptsponsor des Turniers, womöglich ist auf dem TV-Bildschirm noch eine weitere Firma vermerkt. Von Sponsoren lebt der Sport, im wahrsten Sinne des Wortes.
Auch die elektronischen Disziplinen bemerken das gerade: Die Einnahmen der kompletten E-Sport-Industrie, also des professionellen Computerspielens, werden in diesem Jahr auf knapp 700 Millionen Dollar geschätzt, sie sollen in den kommenden drei Jahren auf 1,9 Milliarden Dollar wachsen. Dafür braucht es Geldgeber - nicht nur jene, die mit der Branche verbunden sind wie die Hersteller von Tastaturen oder Controllern, sondern gerade auch Firmen, die Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften unterstützen. Die Großen, die mit den fetten Werbebudgets. Doch die zögern noch.
Computerspiele wie Rock 'n' Roll Ende der Fünfzigerjahre
E-Sport lasse sich ein bisschen mit dem Rock 'n' Roll Ende der Fünfzigerjahre vergleichen, sagt Chad Gutstein. Er ist Geschäftsführer der Firma Machinima, die sich auf Online-Videos spezialisiert hat: "Es gab damals Millionen junger Menschen, die sich für diese Musikrichtung begeisterten. Für Werbetreibende war das allerdings eine knifflige Situation. Sie wussten nicht, wie sie mit dem Hype und der Hysterie umgehen sollten. Genau das passiert gerade mit dem Computersport. Wenn es jedoch keine Strategie der Vermarktung gibt, dann haben diese Firmen auch keinen Grund, in diesen Sport zu investieren."
Computerspiel-Turnier-Veranstalter:"Das ist eine Sportveranstaltung, nichts anderes"
25.000 Gäste und eine halbe Million Zuschauer im Livestream hat das Computerspiel-Turnier "ESL One" angelockt. Veranstalter Ralf Reichert erklärt im Interview, warum E-Sport eine der erfolgreichsten Sportarten weltweit werden könnte - und auch öffentliche Förderung verdient.
Knapp 300 Millionen Menschen verfolgen die Partien der Disziplinen League of Legends, Starcraft 2 oder Counter-Strike: Global Offensive regelmäßig. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Newzoo haben weltweit bereits eine Milliarde Menschen von dieser Sportart gehört. Gerade wurde in London die World E-Sports Association gegründet, ein weltweiter Verband für Computersport.
Plattformen wie Twitch oder MLG, auf denen diese Spiele gezeigt werden, erfreuen sich großer Beliebtheit. Der amerikanische Fernsehsender TBS wird noch im Mai mit der Übertragung von Turnieren beginnen, der Videospielhersteller Blizzard hat gerade verkündet, vom 10. Juni an Partien auf Facebook ausstrahlen zu wollen.
Das Problem bei der Sponsorensuche: Noch immer glauben viele Menschen, der typische Computerspieler sei ein männlicher Teenager, der im Keller des Elternhauses an der Konsole daddelt. "Die Firmen assoziieren Sportarten wie Basketball oder Fußball mit spannenden Partien, mit großartigen Sportlern und mit vielen Emotionen. Ein Umfeld, in dem sie gerne werben möchten", sagt Joshua Spiegelman von der Werbeagentur Mindshare: "Beim E-Sport dagegen ist die Reaktion oftmals: 'Wie, da sehen tatsächlich Millionen von Menschen anderen Menschen beim Computerspielen zu?' Dabei fiebern diese Zuschauer genau so wie bei anderen Sportarten."
Einer Studie der Entertainment Software Association zufolge ist der typische Spieler 36 Jahre alt und verfügt über ein Haushaltseinkommen von 76 000 Dollar im Jahr. Gar nicht so selten ist der Mensch vor dem Bildschirm eine Frau, in 44 Prozent der Fälle, um genau zu sein. "Es sind vor allem Menschen, die über die üblichen Werbekanäle wie Fernsehen nicht mehr zu erreichen sind", sagt Spiegelman: "Sie sehen Filme und Serien über Streamingportale und beziehen ihre Nachrichten von Internet-Portalen. Vor allem verfügen sie über eine außerordentliche Kaufkraft, die sich eine Firma sichern kann, wenn sie bald einsteigt."
Es ist die Aufgabe des neu gegründeten Weltverbandes und der Werbeagenturen, die möglichen Sponsoren davon zu überzeugen, dass der Roger Federer des 21. Jahrhunderts womöglich nicht mehr über einen Tennisplatz hetzt, sondern an einem Bildschirm sitzt und über seinen nächsten Spielzug nachdenkt.
"Wir wollen genau wissen, wen wir erreichen und wie oft wir ihn erreichen", sagt etwa Matt Wolf, Vicepresident von Coca-Cola. Der Computersport muss nun beweisen, dass Spieler und Zuschauer keine Teenager in Kellern sind, sondern Erwachsene mit hohem Einkommen - also genau jene Zielgruppe, die Unternehmen mit ihrer Werbung gern erreichen möchten.