PR-Desaster für INSM:Luftschlösser für junge Journalisten

Lesezeit: 3 min

Mit Promis wie Josef Ackermann oder Anne Will bewirbt die Lobby-Gruppe INSM ein TV-Projekt. Doch die Genannten haben einer Kooperation nie zugestimmt.

Tobias Dorfer

Die E-Mail, die Jutta Lindemann am 12. Juni bekommt, klingt attraktiv. Es ist ein Jobangebot. Junge Journalisten werden darin gesucht für ein TV-Projekt: 30 Tage durch Deutschland reisen, Menschen treffen, Interviews führen. Eine Tagespauschale von 200 Euro wird versprochen - und, für angehende Reporter mindestens genauso wichtig, eine illustere Runde "möglicher Interviewpartner". Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel ist von Schriftsteller Günter Grass, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Late-Night-Talker Harald Schmidt und Adidas-Chef Herbert Hainer die Rede.

Mit prominenten Gesichtern und renommierten Medien als Kooperationspartner bewarb die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ein TV-Projekt. Das Problem: Die Genannten hatten nicht zugestimmt. (Foto: Collage: ddp, AP)

Ein zusätzliches Schmankerl der Offerte: "Zum Schluss der Aktion wird aus allen Beiträgen eine Reportage für Fernsehsender produziert." Auch vermeintliche Kooperationspartner werden genannt: "Fernsehen (zum Beispiel "Anne Will", "TTT"), verschiedene Radio-Stationen und Printmedien ( Neon, Zeit, Bild) sowie lokale Radiosender und Tageszeitungen berichten über die Aktion." Für junge Journalisten könnte das eine große Chance sein, zumindest jedoch könnte das Ergebnis die Bewerbungsmappe aufhübschen.

Das denkt sich Jutta Lindemann, die für die Journalistenschule des Fernsehsenders RTL arbeitet, auch - und leitet das Jobangebot prompt an die Schüler weiter. Schnell muss es gehen, schließlich ist das Casting schon drei Tage später angesetzt. Auch andere Journalistenschulen und -Netzwerke erhalten die Werbemail.

Heftiges Eigentor

Was jungen Reportern als große Chance erscheint, entwickelt sich für die Initiatoren des Projekts "Deutschland 24/30" zu einem handfesten PR-Desaster. Denn hinter der Kampagne steckt niemand geringeres, als die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), eine durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Gruppierung, die sich selbst als "überparteiliche Plattform" bezeichnet - die es jedoch mit einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit geschafft hat, "einen neoliberalen Mainstream in den Medien durchzusetzen", wie der Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg befand.

Ausgerechnet die INSM-Strategen, sonst Virtuosen auf der Klaviatur lautloser aber effizienter PR, haben ein heftiges Eigentor geschossen.

Denn keiner der im Werbeschreiben erwähnten Prominenten hat offenbar die Zustimmung gegeben, bei der Kampagne mitzumachen. Eine Sprecherin von Adidas sagt, sie sei von einer Werbeagentur wegen eines Interviews mit Konzernchef Herbert Hainer angesprochen werden, habe aber abgesagt. Auch die Deutsche Bank hat die Anfrage der "Deutschland-24/30"-Initiatoren nach Aussage eines Sprechers "aus Termingründen abgelehnt".

Besonders erstaunt ist das Büro von Günter Grass. Der Schriftsteller würde im Sommer ausschließlich aktiv Wahlkampf für die SPD machen und sich nicht für die arbeitgebernahe INSM äußern. "Für eine solche Idee steht Herr Grass nicht zur Verfügung", heißt es aus seinem Büro. Ohnehin habe es eine Anfrage nie gegeben.

Auf der nächsten Seite: Wie der NDR und Neon auf das Schreiben der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft reagieren - und warum Anti-Lobby-Gruppen die Kampagne kritisieren.

Auch die in dem Papier erwähnten Redaktionen wehren sich dagegen, von der INSM als Werbemittel für die Rekrutierung junger Journalisten herangezogen zu werden. Wie schnell Erstaunen in Entsetzen umschlagen kann, zeigt dabei die Reaktion des Norddeutschen Rundfunks, der für die ARD-Talkshow " Anne Will" verantwortlich ist. Es gebe keine Kooperation mit der INSM, sagt ein Sprecher des NDR. "Das Schreiben erweckt den Eindruck einer Zusammenarbeit, die es nicht gibt", ärgert er sich - und droht: "Wir werden uns rechtlich dagegen wehren." Auch Timm Klotzek, Chefredakteur des Magazins Neon, prüft, ob sich die Redaktion gegen die Behauptung wehren kann.

"Alle Themen kommen von den Redaktionen"

Für die sonst so PR-versierte Arbeitgeber-Initiative sind diese Reaktionen ziemlich unerfreulich. Das Schreiben sei ein "internes Arbeitpapier mit ersten Vorüberlegungen, wen man ansprechen könnte", sagt INSM-Mitarbeiter Ronald Voigt. "Es ist bedauerlich, dass dieses Papier zu Missverständnissen geführt hat."

Ein nach der Anfrage von sueddeutsche.de spontan eingeholtes Rechtsgutachten habe jedoch juristische Schritte gegen die Initiative als nicht erfolgversprechend eingestuft. Voigts Fazit: Die INSM habe sich in dieser Angelegenheit nichts vorzuwerfen.

Keine Kanzlerin, kein Deutsche Bank-Chef - und auch keine Berichte in Neon und "Anne Will": So dürften sich die drei ausgewählten Journalisten ihr Engagement für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nicht vorgestellt haben. Derzeit ist das Trio auf Deutschland-Recherche.

Doch anstatt die Kanzlerin zu interviewen, sprechen sie mit einer älteren Dame, die ihnen die soziale Marktwirtschaft als "immer noch vorteilhaft, logischerweise" beschreibt: "Ich möchte keinen Sozialismus haben." Oder mit einer jungen Frau, die von der Selbständigkeit schwärmt und davon, dass man in dem System "gut funktionieren" könnte. Diese Szenen sind bereits im Internet zu bewundern. Am Ende, so sagt ein Sprecher der INSM, wird der Film lediglich auf der Internetseite der Kampagne zu sehen sein.

Anti-Lobby-Gruppierungen kritisieren die Kampagne trotz fehlender Promi-Dichte und werfen "Deutschland 24/30" mangelnde Objektivität vor. Zwar sollten Sachverhalte dem Werbepapier zufolge "durchaus auch kritisch" hinterfragt werden. Doch Ulrich Müller, Chef der Organisation Lobby Control, glaubt daran nicht: Zwar dürfte in INSM-Kampagnen auch immer leise Kritik an der Marktwirtschaft laut werden. Im Kern, so der Vorwurf, würde die Initiative darauf achten, dass die Gesamtaussage ihren Zielen entspricht. "Für die INSM heißt das im Kern weniger Sozialstaat und mehr Marktwirtschaft", wettert Müller.

Der Lobby-Control-Chef beklagt zudem die Vermischung zwischen Journalismus und PR. Denn ein Vertreter der von der INSM in Bewegung gesetzten Marktwirtschafts-Reporter ist als freier Mitarbeiter für den Rundfunk Berlin-Brandenburg tätig. Ein Sprecher der Rundfunkanstalt sagt allerdings, der Reporter sei nicht mit politischen Themen befasst, sondern "im Unterhaltungsbereich" tätig. Befürchtungen, der Journalist könne die Themen der INSM im RBB-Programm unterbringen, widerspricht der Sprecher entschieden. "Alle Themen für die freien Mitarbeiter kommen von den Redaktionen."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: