Polestar:"In Deutschland lässt die Verbrenner-Lobby immer noch nicht locker"

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Thomas Ingenlath war mal Chefdesigner im Volkswagen-Konzern und bei Volvo, nun leitet er das Unternehmen Polestar. (Foto: Polestar)

Thomas Ingenlath ist Chef des schwedisch-chinesischen Elektroautoherstellers Polestar. Er wundert sich, dass deutsche Autokonzerne die Kunden weiter mit Technologieoffenheit verunsichern.

Interview von Christina Kunkel

Einen Messestand hat der Elektroauto-Hersteller Polestar nicht auf der diesjährigen IAA. Nicht nötig, sagt Firmenchef Thomas Ingenlath, schließlich habe man ja in der Münchner Innenstadt schon lange einen Showroom. Und auch sonst hat die Marke, die gemeinsam mit Volvo zum chinesischen Autohersteller Geely gehört, bereits geschafft, was andere Autobauer aus der Volksrepublik gerade erst angehen: sich auf dem europäischen Markt zu etablieren. Thomas Ingenlath kennt viele Perspektiven auf die Autowelt. Bevor er beim schwedisch-chinesischen Joint-Venture anfing, war der 59-Jährige Chefdesigner bei verschiedenen Marken im VW-Konzern sowie bei Volvo.

SZ: Wie ist Ihr Blick auf China und die deutschen Hersteller?

Thomas Ingenlath: Bisher hat man das immer nur als "die Gefahr aus dem Osten" gesehen. Endlich wird auch erkannt, was für eine hervorragende Technologie, was für tolle Innovationen und was für eine Dynamik dort herrscht. Ja, da spielt auch die Unterstützung durch die chinesische Regierung eine Rolle. Aber es ist an vielen Stellen trotzdem ein ganz natürlicher Wettbewerb, der auch oft von privat betriebenen Unternehmen kommt. Gerade BYD, was für eine Story! Die haben einfach technologiemäßig ihre Hausaufgaben gemacht und sind da sehr gut aufgestellt.

Können die Deutschen da noch aufschließen?

Sich auf dem europäischen Markt zu etablieren, ist noch mal etwas anderes. Das wird schon länger dauern. Die europäische Ingenieurskunst muss sich wieder auf sich selbst besinnen, die Politik endlich einen konsequenten Weg einschlagen und die Unternehmen müssten sich eindeutig zur Elektromobilität bekennen. Auch die Digitalisierung ist ein wesentliches Element. Da brauchen wir gar nicht nach China zu schauen. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, wie die Digitalisierung des Alltags zum Beispiel in Schweden derartig omnipräsent ist und einem das Leben erleichtert. Wenn ich nach Deutschland komme und dann schon Schwierigkeiten habe, im Taxi mit Kreditkarte zu bezahlen - das ist ein großes Problem.

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Sie dagegen übertreiben es bei der Digitalisierung - jedenfalls fanden es viele kritisch, dass Polestar das Betriebssystem von Google integriert hat.

Damals hieß es, wir gehen mit dem Teufel ins Bett. Aber unsere Kunden sind begeistert, und wir haben es damit geschafft, immer top aktuell zu sein. Man darf sich nicht immer vor allem fürchten.

Der Eigentümer von Polestar ist Geely, ein chinesisches Unternehmen. Doch hier in Deutschland werden Sie eher als Schwestermarke von Volvo wahrgenommen. Hilft das?

Wir sind in Göteborg zu Hause, wir sind europäisch. Unsere Ingenieure sitzen in Großbritannien. Dass der Eigentümer chinesisch ist, klar. Aber das Produkt ist von A bis Z europäisch. So werden wir übrigens auch in China wahrgenommen, was tatsächlich dort ein Problem ist.

Inwiefern?

Bei einem europäischen Elektroauto sagen die Chinesen mittlerweile mit großem Stolz: Ihr seid halt hinterher, wenn es um Software geht. Deswegen sind wir in China jetzt auch ein Joint-Venture eingegangen mit einem großen Smartphone-Hersteller. Mit denen zusammen machen wir unsere eigene Software für den chinesischen Automarkt. Das denke ich, ist der Weg, den auch viele europäische Autohersteller gehen müssen.

Auch Volvo baut Elektroautos. Wie schaffen Sie es, sich da nicht zu kannibalisieren?

Wir positionieren uns als Premiummarke. Aber auch dort, wo Volvo vertreten ist, müssen wir anders sein. Wir bieten zum Beispiel einen SUV im gleichen Segment wie Volvo an. Unsere Autos sind aber sportlicher, wir werden eher mit einem Porsche Cayenne konkurrieren. Volvo hat eher eine inklusive Ausrichtung, die niemals jemanden vor den Kopf stoßen würde. Polestar ist akzentuierter. Wir sind exklusiver. Wir haben eine Fahrwerksabstimmung, die ganz klar fahrerorientiert und nicht auf die Kinder in der zweiten Reihe ausgerichtet ist. So was würde man bei Volvo nie machen. Unsere Kunden sollen ruhig sagen: Das Auto habe ich für mich gekauft - auch wenn natürlich auch andere Menschen mitfahren können.

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Wen sehen Sie als Ihren Kunden?

Sehr innovationsfreudige Menschen. Und unsere Kunden sind sich dessen bewusst, was moderne Mobilität ausmacht, dass der Spaß, den man mit dem Auto hat, nicht auf Kosten der Umwelt geht. Unsere Kunden wissen alles über grünen Strom und Laden, die sind Experten.

Was müssen Sie denen bieten?

Die Effizienz ist entscheidend und nicht, wie viel Kilowattstunden ich in ein Auto packen kann. Ab einem gewissen Punkt ist es auch fragwürdig, warum ich überhaupt so viel Reichweite habe. Da geht es eher um die Ladegeschwindigkeit und dass ich genügend Ladesäulen habe, die dann auch frei sind, wenn ich sie brauche.

Wie sehen Sie die Diskussion um den Industriestandort Deutschland?

Manchmal muss es einfach richtig dicke kommen, damit man die Kraft und die Energie entwickelt, sich umzuorientieren. Das Problem, das ich in Deutschland sehe, ist eine gewisse Schizophrenie. Zum einen sich zu sorgen. Zum anderen aber auch, immer wieder Zweifel zu streuen, ob Elektromobilität der richtige Weg ist. Aber in Deutschland lässt die Verbrenner-Lobby immer noch nicht locker.

Sie meinen etwa die Diskussion, ob wir den Verbrenner nicht mit E-Fuels retten könnten?

Ja, und Technologieoffenheit oder was auch immer man da vorschiebt. Mein Gott, wir müssten schon längst jenseits dieser Diskussion sein. Natürlich ist Elektromobilität die Zukunft, und natürlich geht es von dort aus weiter, CO₂ auch in der Produktion zu reduzieren. Stattdessen sind wir immer noch dabei, über das Aus für den Verbrenner zu diskutieren? Da ist Deutschland wirklich ein ganz spezieller Markt.

Auch aus der Autoindustrie kommen ja immer wieder diese Zweifel, zuletzt von BMW-Chef Oliver Zipse.

Ich bemühe mich um eine diplomatische Antwort. Wie kann man immer noch nach außen hin diese Ambivalenz zeigen? Ich verstehe das nicht. Das ist für die Kunden auch fatal. Ich muss doch Orientierung bieten. Und den Menschen, die sich für 70 000 Euro ein Auto kaufen, die Gewissheit geben, dass das eine richtige Technologieentscheidung ist. Wie will ich die davon überzeugen, wenn ich selber sage: Ja, aber vielleicht. Da vermisse ich einfach wirkliches Leadership.

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