Plagiate: Schaden für Marken:Fälscher lieben Viagra

Lesezeit: 4 min

Kopierte Produkte sind ein einträgliches Geschäft für Fälscher - Staat und Wirtschaft werden massiv geschädigt. Der neueste Trend: gefälschte Lifestyle-Medikamente wie Viagra.

Laura Gitschier

Hinter der Tür verbergen sich Schätze: "Hello Kitty"-Taschen, "Chanel"-Schminke, "Ferrari"-Jacken, dicke Pelzmäntel und goldene Rolex-Uhren - wie in einem gutausgestatteten Warenhaus. Überall in den Regalen glitzert und funkelt es. In der Ecke liegt dekadent ein ausgestopfter Puma.

Illegale Produktkopien werden für deutsche Firmen und den Staat zu einem immer größeren Problem. (Foto: Foto: ddp)

Ein paar Räume weiter ein anderes Bild: Feinsäuberlich sortiert liegen hier dicht an dicht flache Briefumschläge, die so aussehen, als könnten sie Geburtstagskarten enthalten. An der Wand gegenüber: ordentlich gestapelte Kartons, Aktenordner.

Auf dem ersten Blick eine harmlose Szenerie. Ganz und gar nicht harmlos ist aber der Inhalt der Pakete. Beim Öffnen der Sendungen purzeln blaue Viagra-Pillen aus den beigefarbenen Umschlägen, runde Tablettendosen und gefälschte MP3-Player.

Das Jahr 2009 bot lukrative Monate für Fälscher - aber gleichzeitig auch für die Menschen vom Zoll. Im Vergleich zum Vorjahr meldet der Münchner Zoll im September bis jetzt schon genau so viele Aufgriffe wie im ganzen Vorjahr. Der Wirtschaftsschaden, der durch die entdeckten Waren verhindert wurde bis heute: rund 3,2 Millionen Euro - und das sind nur die Zahlen des Zolls der bayerischen Hauptstadt.

München ist kein Einzelfall. Hamburger Zöllner trauten diesen Sommer ihren Augen nicht: Im August fanden sie zwei große Container voller T-Shirts, Taschen, Gürtel und Schmuck, die aus China angeliefert wurden. Ein dicker Fang - sogar für die strapazierte Hamburger Behörde. Der verhinderte Schaden für die Wirtschaft: rund 400.000 Euro.

Ein paar Tage später bekamen auch die Dresdner Kollegen einen dicken Fisch an die Angel. Ein stattliches Sortiment an gefälschter Kleidung hatte sich ein 38-jähriger Mann zusammengestellt: In seiner Wohnung stapelten sich T-Shirts, Accessoires und Gürtel en masse, vorwiegend Kopien von Ralph Lauren und Dolce & Gabanna. Die Ware bot der Mann über Internet-Portale feil und gab sie - besonders dreist - als Originale aus. Mit den Plagiaten hatte er einen Umsatz von mehr als 750.000 Euro erzielt.

Drei Viertel aller Unternehmen betroffen

Produktplagiate werden für deutsche Unternehmen zunehmend zu einem Problem: Mehr als 75 Prozent aller Unternehmen sind regelmäßig von Fälschungen betroffen, wie die Agentur Fischer-Appelt ermittelt hat. Die Folgen sind massiv: Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) gehen in Deutschland aufgrund der Markenpiraterie jedes Jahr gut 70.000 Arbeitsplätze verloren.

Der genaue volkswirtschaftliche Schaden durch Markenpiraterie ist schwer zu schätzen - auch wegen einer hohen Dunkelziffer. Der Aktionskreis Deutsche Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM), ein branchenübergreifender Verband deutscher und ausländischer Unternehmen, spricht deshalb auch von einer "Schattenwirtschaft".

Das Bundeswirtschaftsministerium hat einem aktuellen Forschungsbericht zufolge Piraterieschäden von bis zu 50 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft ermittelt. Der DIHK geht in seinen Hochrechnungen lediglich von 29 Milliarden Euro für die gesamte Wirtschaft aus. Egal wie hoch die Zahlen wirklich sind - sie tun weh: Durch die falschen Produkte gehen dem Staat Steuereinnahmen und Arbeitsplätze verloren, die Unternehmen büßen mit nicht gemachten Gewinnen und Marktanteilen.

Markenpiraterie
:Bremsscheiben mit Kamel-Dung

Von A wie Arzneimittel bis Z wie Zigaretten. Produktpiraten überschwemmen den Markt mit gefälschter Ware. Ein Besuch beim Münchner Zoll. In Bildern.

Laura Gitschier

Aber nicht nur die reinen Daten sind schmerzhaft für deutsche Unternehmen. Gefälschte Produkte, die vom Verbraucher fürs Original gehalten werden, können ordentlich am Image kratzen. Ein kaputter MP3-Player? Wirkt sich gleich auf das Unternehmen selbst aus. Gerade bei Elektrogeräten kann die Unterscheidung schwierig sein. Das wiederum führt zu einem negativen Bild in der Öffentlichkeit - ohne dass die Unternehmen etwas dafür können.

Beliebt bei Fälschern: Kopien von Elektrogeräten wie etwa MP3-Playern oder Handys. (Foto: Foto: ddp)

Seit Jahren steigt global der Handel mit den gefälschten Waren. Das Bundesjustizministerium erklärt die Ursachen für die steigenden Zahlen folgendermaßen: "Es werden weltweit mehr Waren gehandelt, gleichzeitig wird es immer schwieriger, die Warenströme zu kontrollieren", so eine Sprecherin. Sie betont aber auch, dass rein nationale Maßnahmen nicht ausreichten, vielmehr sei europaweit ein besserer Schutz nötig - in gemeinsamer Anstrengung.

Die EU ist derzeit tatsächlich aktiv. Erst vor wenigen Tagen hat die EU-Kommission ein Papier mit Vorschlägen für einen besseren Schutz vor Produktpiraterie vorgelegt. Auch die EU-Beobachtungsstelle der Kommission ist noch sehr jung. Sie soll die Staaten, Experten des Privatsektors und Verbraucher zusammen an einen Tisch bringen - um so für eine bessere europaweite Koordination des Problems zu sorgen.

Medikamente im Visier der Fälscher

Die Produktpiraten machen vor nichts halt: Gefälscht wird im Prinzip alles - von Kleidung und Haushaltswaren bis zu Nahrungsmitteln und sogar Medikamenten. Es gilt die alte Regel: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Der neueste Trend unter den Fälschern sind Arzneimittel: Allein von 2006 bis 2007 nahmen die aufgedeckten Fälle von falschen Medikamenten um 51 Prozent zu, hat der Aktionskreis Deutsche Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie ermittelt.

Allein bei einer erstmals EU-weit koordinierten Zollaktion wurden im Dezember vergangenen Jahres 34 Millionen gefälschte Tabletten sichergestellt. Gefunden wurden unter anderem nachgemachte Antibiotika, cholesterinsenkende Medikamente, Krebs- und Malariapharmaka sowie Schmerzmittel. Auch der Münchner Zoll hat Erfahrungen mit falschen Tabletten gemacht: 16.800 Stück stellte er allein in diesem Jahr sicher. Besonders dreist: Ein Passagier, der 4000 kopierte Viagra-Tabletten in seinem Rollkoffer einfach durch den Zoll schleusen wollte.

Beschlagnahmt vom Zoll
:Verbotene Souvenirs

Wer geschützte Tiere oder Pflanzen - ob lebend oder tot - im Gepäck hat, muss mit Geldstrafen oder sogar Gefängnis rechnen. Ein Blick in die Asservatenkammer des Zolls.

Eine weitere Tendenz: Es handeln zunehmend Semiprofessionelle, also Privatpersonen - eben auch bedingt durch die gestiegenen Verkaufsmöglichkeiten im Internet über Plattformen wie Ebay. Im kommenden Jahr, so vermutet der Zoll München, wird sich das Geschäft mit den falschen Produkten durch die Krise wohl noch einmal verstärken.

Verwunderlich ist aber, dass das Thema Plagiate bei vielen Unternehmen trotz der hohen Zahlen kaum auf der Tagesordnung steht. "Alarmierend ist, dass der Großteil der Unternehmen nur punktuell auf bekanntgewordene Plagiatsfälle reagiert und keine kontinuierliche Strategie verfolgt", sagt Christian Pott von der PR-Agentur Fischer-Appelt in Stuttgart. Seine Firma hat in diesem Jahr eine große Befragung unter 800 Unternehmen zum Thema organisiert.

APM-Rechtsanwalt Lennart Röer schlägt einen ähnlichen Ton an: "Insgesamt nimmt das Bewusstsein der Unternehmen für die Problematik zu. Aber vor allem Mittelständler sollten dem Schutz geistigen Eigentums noch mehr Aufmerksamkeit widmen."

Der Kampf von Adidas

Adidas ist eine bekannte und beliebte Marke und damit geradezu prädestiniert für Fälschungen. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als acht Millionen gefälschter Produkte der Adidas-Gruppe beschlagnahmt. Die wirkliche Zahl der Fälschungen? Ungewiss. Adidas kämpft mit einer internen Abteilung für Markenschutz gegen die Piraten an und arbeitet mit Verbänden, Behörden und dem Zoll zusammen. "Für uns ist der Imageschaden, der entsteht, wenn Käufer unbewusst gefälschte Produkte erwerben und von der minderwertigen Qualität enttäuscht sind, gravierend", sagt eine Sprecherin des Konzerns zu sueddeutsche.de.

Und die Verbraucher? Viele Menschen bringen aus ihrem Urlaub ein Plagiat mit. Aber aufgepasst: Die falschen Freunde können gefährlich sein - aus gesundheitlicher und strafrechtlicher Sicht.

© sueddeutsche.de/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: