Industrie:Versicherern sind Ewigkeitschemikalien zu riskant

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Eine Forscherin untersucht Trinkwasser auf Ewigkeitschemikalien. (Foto: Joshua A. Bickel/AP)

Immer mehr Versicherer wollen mögliche Haftpflichtansprüche im Zusammenhang mit PFAS-Chemikalien nicht mehr versichern. Die Industrie ist empört.

Von Herbert Fromme, Anne-Christin Gröger und Patrick Hagen, Unterschleißheim

Die Stimmung ist nicht gut zwischen der deutschen Industrie und ihren Versicherern. Klar, man isst und trinkt gemeinsam bei der jährlichen Fachtagung in Unterschleißheim bei München, die vom Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW) ausgerichtet wird, einer Fachvereinigung der Industrie. Aber unter der Oberfläche brodelt es heftig. Das aktuelle Streitthema: Die Versicherer schließen immer öfter Risiken im Zusammenhang mit PFAS-Substanzen aus. Die Abkürzung steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Sie werden in Kosmetika, Kochgeschirr, Papierbeschichtungen und Textilien verarbeitet und zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen, in Pflanzenschutzmitteln oder Löschschaum verwendet.

Zumindest einige dieser etwa 10 000 PFAS-Substanzen können nach verschiedenen Studien gesundheitsschädlich sein und unter anderem für Krebs, Diabetes und Unfruchtbarkeit verantwortlich sein. Weil sie sich in der Natur nicht abbauen, werden sie auch Ewigkeitschemikalien genannt.

PFAS ist nicht der einzige Streitpunkt. In den vergangenen drei Jahren haben die Versicherer die Preise massiv angehoben - für die Industrie nicht schön, schließlich muss sie angesichts der schwachen Wirtschaftsentwicklung ohnehin kämpfen. Aber für die höheren Preise haben die meisten Versicherungseinkäufer und Finanzchefs der Industrie noch Verständnis, schließlich war es in den Jahren davor auch sehr, sehr billig. Der aktuelle Unmut wird aus zwei Quellen gespeist: Die Versicherer haben ihr Angebot für viele Risiken drastisch reduziert. Das sorgt für Unruhe bei der Industrie. Wenn ein Konzern eine Deckung über 100 Millionen Euro braucht, muss er dafür oft zehn oder 15 Teildeckungen mit verschiedenen Anbietern abschließen.

Das zweite Problem sind die Ausschlüsse. Seit Beginn des Ukraine-Krieges haben die Versicherer die gesamte Region ausgeschlossen. Wenn deutsche Konzerne dort einen Schaden erleiden, sind sie nicht versichert. Das Verbot umfasst auch die Ukraine. "Mit Blick auf die gebeutelte Ukraine erscheint das unfair", sagte Patrick Fiedler, Vorsitzender des GVNW und im Hauptberuf Risikomanager bei BASF.

Und jetzt PFAS. "Von der Versicherung ausgeschlossen sind Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die zurückzuführen sind auf per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS)", heißt es in den aktuellen Bedingungen eines Versicherers. Müsste ein Hersteller wegen PFAS-Produkten Schadenersatz leisten, hätte er keine Versicherung.

Die Stoffe werden auch für Wärmepumpen benötigt

Versicherer und Rückversicherer fürchten, dass es zu großen Schäden bei vielen Kunden gleichzeitig kommt, ein sogenanntes Kumul. Das könnte an ihre Substanz gehen. Sie verweisen auf einen aktuellen Fall in den USA: Der Technologiekonzern 3M, hierzulande für Scotch und Post-it bekannt , zahlte kürzlich 10,3 Milliarden Dollar (9,6 Milliarden Euro) Schadenersatz an Wasserversorger, um einen Rechtsstreit um PFAS beizulegen.

Jean-Jacques Henchoz, Vorstandsvorsitzender der Hannover Rück, verteidigte auf der Tagung die Ausschlüsse. "Es gibt zwischen 8000 und 10 000 verschiedene PFAS-Substanzen und Studien darüber, welche Konsequenzen diese für die Gesundheit haben", sagte er. "Teile der Risiken müssen wir zunächst ausschließen, eben wegen der immensen Kumulgefahren." Man brauche mehr Einblick und Erfahrungen, wo die Risiken genau liegen. "Dann können wir differenzieren."

Die Industrie kritisiert, dass die Versicherer rechtlich erlaubte Produktionsprozesse durch Entzug von Versicherungsschutz erschwert. Fiedler mahnte bei den Versicherern ein differenziertes Herangehen an. "Es gibt 10 000 verschiedene Stoffe dieser Kategorie, manche sind gefährlich, manche nicht." Ein mögliches Verbot bestimmter Substanzen sei auf EU-Ebene geplant, der PFAS-Stoff Teflon ist schon seit Jahren verboten. Fiedler: "Gerade in der Phase der Unsicherheit - was wird wirklich verboten, was ist wirklich gefährlich - kann so ein weitreichender Deckungsausschluss nicht die richtige Antwort sein."

Dazu kommt, dass die Stoffe in Wärmepumpen, Windrädern und der Herstellung von Solarzellen kaum zu ersetzen sind. "Wenn wir PFAS jetzt in Bausch und Bogen ausschließen, werden wir die Energiewende nicht hinkriegen", sagte Christian Böhm vom Technologiekonzern Freudenberg. "Sind Sie sich als Versicherer dieser Dimensionen bewusst?"

Laut Jürgen Seiring vom Maschinenbauverband VDMA ist ein großer Teil der PFAS-Stoffe nicht gefährlich. Er bot den Versicherern einen engen Austausch darüber an, damit keine pauschalen Ausschlüsse nötig sind. Versicherer Henchoz will reden. Es sagt sehr viel über die Stimmung zwischen Industrie und Versicherern, dass es diesen Dialog bislang nicht gegeben hat.

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