Der Bund hat alles in allem bislang rund 190 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen gezahlt. Das Geld sei überwiegend in die strukturstarken Wirtschafts- und Industrieregionen im Westen und Süden geflossen, sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung. Zwar seien die politischen Auswirkungen dieser Pandemie jetzt noch schwer einzuschätzen, sagte Fratzscher, aber "aus ökonomischer Sicht wird die Pandemie die Lücke zwischen Ost und West eher größer machen".
Dass die Lücke in der Pandemie gewachsen ist, hat mehrere Gründe. Einer davon ist in den politischen Entscheidungen von Bund und Ländern zu finden, welche Branchen wegen der nötigen Kontaktbeschränkungen geschlossen werden sollten. "Wir sehen eine klare Spaltung der Wirtschaft", sagte Fratzscher. Die Industrie sei überwiegend offen geblieben und komme vergleichsweise gut durch die Krise. Der Dienstleistungssektor sei dagegen geschlossen worden und die Krisenbilanz entsprechend schlecht.
Die große Industrie sitzt hauptsächlich in Süddeutschland, sie ist in Hessen und Nordrhein-Westfalen verortet. In Ostdeutschland gibt es dagegen einen viel höheren Anteil an kleinen Unternehmen und Dienstleistern. "Es liegt nahe, dass sie stärker von den Restriktionen betroffen sind", sagte Fratzscher. Es gebe dort keinen Mittelstand, Unternehmen mit 2000 und mehr Mitarbeitern. "Deshalb wird wahrscheinlich mittel- und langfristig diese Schere Süd-Nord oder West-Ost weiter aufgehen."
Wie die Ost-West-Schere weiter aufgeht, ist derzeit bei der staatlichen Förderung der Maskenproduktion zu beobachten: Der Bund bezuschusst Unternehmen, die ihre Produktion umstellen, um in der Pandemie benötigte Hilfsmittel herzustellen. Dazu gehören etwa Vlies, Masken, Lipide oder Fläschchen. "Aber leider", sagt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, "gibt es wenige Anträge aus den neuen Ländern". Er habe deshalb mit dem IHK-Chef von Chemnitz telefoniert, der auch ein Medizintechnikunternehmen im Vogtland habe. "Ich wollte ihn dafür erwärmen, dass er jetzt doch Schnelltests produzieren soll" - aber überzeugt habe er ihn nicht.
Das Wirtschaftsministerium bestätigt, dass auch bei der Maskenproduktion kaum Anträge aus dem Osten kommen. "Knapp zwölf Prozent der Anträge, die insgesamt positiv beschieden wurden, wurden von Unternehmen aus den ostdeutschen Bundesländern gestellt." Was wiederum strukturelle Gründe hat. Denn die großen deutschen Hersteller von Spezialmaschinen, die umstellen können auf Maskenproduktion, sind in Westdeutschland ansässig. Teilweise kooperieren auch lokale Hersteller von Masken und Maschinen miteinander, wenn sie in einer Region sitzen. Hinzu kommt, dass die in Westdeutschland ansässigen Maschinenhersteller teilweise selbst angefangen haben zu produzieren.
Bei VW in Wolfsburg habe man sich gefreut, dass es einen Anlass gegeben habe, die Werke zu schließen
Das DIW hat auch untersucht, wer von den Wirtschaftshilfen profitiert: Der Großteil der Gelder ging in die alten Bundesländer. "Im Mai letzten Jahres hatten wir einen Höhepunkt bei der Zahl der Kurzarbeiter mit sieben Millionen, das waren vor allem größere Industrieunternehmen in Süddeutschland. Auch Daimler, die jetzt Mitte Februar Rekordgewinne bekannt gegeben haben", so Fratzscher vom DIW. Manche fragten sich, wie das möglich sein könne, die haben doch weniger Autos verkauft. "Ja, die haben weniger verkauft", sagt Fratzscher, "aber sie haben für die Werksschließungen sehr viel Kurzarbeitergeld bekommen. Obwohl die Werksschließungen - wie bei VW - auch ohne Corona nötig gewesen wären. Sie hatten massive Überkapazitäten, bevor die Pandemie überhaupt begonnen hatte".
Die deutsche Autobranche hat nach Ansicht von DIW-Chef Fratzscher überdurchschnittlich profitiert. Sie hatte 2019 bereits Absatzprobleme. Bei VW in Wolfsburg habe man sich gefreut, dass es einen Anlass gegeben habe, die Werke zu schließen, sagt Fratzscher. Und man dazu noch Kurzarbeitergeld bekommen habe.
Dazu habe es noch die befristete Mehrwertsteuersenkung gegeben. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder habe die Mehrwertsteuersenkung "als Erfolg verkauft für die Automobilwirtschaft, er hat gesagt, das ist im Prinzip eine Kaufprämie". Drei Prozent bei einem Neuwagen von 40 000 Euro - das sei nicht wenig. "Das ist auch das, was wir in den Daten sehen. Die Mehrwertsteuersenkung hat nur eine moderate Nachfrage geschaffen. Eher bei sehr teuren Gütern, weil es sich da lohnt, Käufe vorzuziehen". Die dritte Hilfe für die überwiegend im Westen angesiedelte Autoindustrie sei die Kaufprämie für Elektroautos gewesen. "All das deutet darauf hin, dass diese Schere zwischen Ost und West durch die Pandemie eher stärker aufgegangen ist".