Die Zahlen stammen aus dieser Woche, sie platzen mitten hinein in die Debatte um eine mögliche CO₂-Steuer und vor allem: Sie widersprechen sich auf den ersten Blick: Einerseits brandmarkt die Universität Bamberg den Onlinehandel als Klimakiller: Jedes sechste im Internet bestellte Paket werde wieder zurückgeschickt. Die Retouren belasteten das Klima so wie "täglich 2200 Autofahrten von Hamburg nach Moskau", beklagt Projektleiter Björn Asdecker.
Der Handelsverband HDE twitterte hingegen fast zur gleichen Zeit euphorisch: Der Handel habe seine CO₂-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 50 Prozent gesenkt. Die Unternehmen arbeiteten also immer umweltschonender. Die Zahlen stammen aus dem Klimaschutzbericht 2018 des Bundesumweltministeriums. Auf Nachfrage fügt der HDE allerdings hinzu: Der vom Handel verursachte Straßenverkehr ist in den Zahlen nicht inbegriffen.
Wem darf man also glauben? Und wie sollte man einkaufen, wenn man es ökologisch nachhaltig tun will? Ist etwas dran an der Behauptung mancher Onlinehändler: Wer online einkaufe, fahre nicht selber einkaufen und verursache dadurch weniger CO₂-Emissionen? Gibt es dazu überhaupt verlässliche Studien?
Je weniger Wege zurückgelegt werden, desto besser die Klimabilanz
Nein, lautet die Antwort vom Umweltbundesamt, das den CO₂-Ausstoß aller möglichen Emissionsquellen in Deutschland akribisch auflistet und einen wissenschaftlich fundierten Online-Rechner zur Ermittlung des individuellen ökologischen Fußabdrucks anbietet. Nur: Zum Onlinehandel sind derzeit noch keine belastbaren Zahlen verfügbar. Dabei wird der im Alltagsleben vieler Bürger immer selbstverständlicher. Laut dem E-Commerce-Verband BEVH wächst er auch in diesem Jahr wieder zweistellig um voraussichtlich elf Prozent und erreicht dann einen Umsatz von schätzungsweise 72 Milliarden Euro.
Weil die Bedeutung steigt, arbeitet das Umweltbundesamt daran, die logistik- und verkehrsbezogenen Emissionen des Onlinehandels zu berechnen. Bis erste Ergebnisse vorliegen, muss man sich allerdings voraussichtlich bis Ende des Jahres gedulden. Denn die Berechnung ist komplex. Je nachdem, ob jemand auf dem Land oder in der Stadt wohnt, wie viel er online bestellt und zurückschickt, kippt das Ergebnis in die eine oder andere Richtung.
"Was man aber allgemein sagen kann", fasst ein Forscherteam des Umweltbundesamts zusammen: "Onlinehandel wird besser, wenn man die Retourensendungen reduziert. Offlinehandel wird besser, wenn die Geschäfte in Energieeffizienz wie Heizung oder Beleuchtung investieren und die Konsumenten zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen."
Insofern sind die Nachrichten aus dieser Woche von der Universität Bamberg und dem HDE doch nicht so widersprüchlich, wie sie auf Anhieb erscheinen. Sie bedeuten: Die Retouren nehmen in einem boomenden Onlinehandel zu und können die ökologischen Vorteile von Einkäufen im Internet ins Gegenteil verkehren. Und die Zahlen des HDE zeigen, wie sehr vor allem der stationäre Handel, für den der Verband im Wesentlichen steht, an Energieeffizienz gewonnen hat und dadurch für den Verbraucher zumindest aus ökologischen Gründen attraktiver wird. Andererseits ist auch klar, dass nur die wenigsten ihre Einkäufe mit dem Fahrrad oder zu Fuß machen wollen und können.
Nur wenn man aber alle Kriterien berücksichtigt, kann man halbwegs seriös feststellen, ob es im Einzelfall umweltschonender ist, offline oder online einzukaufen. Allgemeine Aussagen lassen sich jedenfalls kaum treffen. Das zeigt auch eine beispielhafte Untersuchung des Öko-Instituts, in der die durchschnittlichen Emissionen beim Schuhkauf berechnet werden (siehe Grafik). Welches Verkehrsmittel dabei verwendet wird, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Grundsätzlich gilt dem Öko-Institut zufolge: Je weniger Wege zurückgelegt werden, desto besser die Klimabilanz.
Oft muss zwar die von Lieferwagen verstopfte Straße als Beleg für den vom Onlinehandel verursachten ökologischen Albtraum herhalten. Staus sind in Großstädten Realität, haben aber mehrere Gründe, nicht nur den Onlinehandel. Isoliert betrachtet kann nach Aussage der Wissenschaftler das Versenden eines Pakets sogar klimafreundlicher sein als die Fahrt mit dem Auto zum Einkauf. Ein Paketversand verursache nur etwa ein Viertel, ein Versand inklusive einer Retoure nur die Hälfte der Treibhausgasemissionen einer sechs Kilometer langen, durchschnittlichen Einkaufsfahrt mit dem Auto, die den Ausstoß von etwa 2400 Gramm CO₂ erzeugt.