Rohstoffe:So versteckt Russland seine Ölgewinne

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Hier kommt Erdöl aus Pipelines an und wird wieder verschifft: Noworossijsk, Russland. (Foto: Vitaly Timkiv/Imago/SNA)

Mit einem Preisdeckel will der Westen Russlands Einnahmen aus dem Ölgeschäft schmälern. Trotzdem verdient der Kreml prächtig. Warum nur?

Von Victor Gojdka

Als der mittlerweile verstorbene US-Senator John McCain vor einigen Jahren Russland beschrieb, griff er zu einem interessanten Bild. "Russland ist eine Tankstelle, die sich als Land verkleidet", sagte McCain im Interview mit dem Fernsehsender CNN. Das Geschäftsmodell war damit trefflich beschrieben: Öl in die Welt bringen und von den Einnahmen leben. Doch seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine will der Westen die staatliche Tankstelle nur noch ungern anfahren.

Anders als beim Gas kaufen Deutschland und die meisten anderen europäischen Länder längst kein Öl mehr beim Kreml. Jahrzehntelang floss der Rohstoff durch die Druschba-Pipeline, ins brandenburgische Chemiestädtchen Schwedt. Doch "Druschba" bedeutet Freundschaft, und mit der sieht es gerade gar nicht gut aus.

Die USA orchestrierten im Rahmen des Industrieländerbunds G 7 außerdem einen Preisdeckel für russisches Rohöl. Mehr als 60 Dollar je Fass soll der Kreml damit auf dem Weltmarkt bei anderen Käufern nicht mehr verdienen. "Der Ölpreisdeckel funktioniert", sagte US-Vizefinanzminister Wally Adeyemo kürzlich. Und trotzdem gibt es eine verdächtige Kurve, die zumindest Experten hellhörig macht.

Zeigt man die Preiskurve der tonangebenden russischen Ölsorte "Urals" in einem Diagramm, läuft sie von links unten auffällig nach rechts oben. Kostete das russische Öl im Mai noch rund 55 Dollar je Fass, liegt der Preis inzwischen bei knapp 78 Dollar. "Die Preise für russische Ölsorten liegen aktuell weit über dem Ölpreisdeckel des Westens", sagt Ölexperte Thomas Benedix von der Fondsgesellschaft Union Investment. Eigentlich, könnte man sagen, dürfte es diesen Ölpreis gar nicht geben. Zumindest, wenn es nach dem Westen geht.

Wochenlang hatten die Beamten der US-Administration am Konzept eines Ölpreisdeckels geschraubt - und schlussendlich die G-7-Staaten überzeugt. Westliche Reedereien sollten Transporte nur dann abwickeln können, wenn der Preis des verschifften Öls unter der Marke von 60 Dollar je Fass liegt. Westliche Versicherungen sollten auch nur dann Schiffe und Ladung absichern. Wie aber passt das zur steigenden Kurve russischer Ölpreise?

Auf den ersten Blick sah es so aus, als funktioniere der Preisdeckel

Wer das verstehen will, muss dem Weg des russischen Öls folgen. Traditionell brachten die russischen Konzerne ihr Öl über Pipelines in Richtung Europa und über die westlichen Häfen: Primorsk und Ust-Luga unweit von Sankt Petersburg, außerdem Noworossijsk am Schwarzen Meer. "Westliche Käufer sind für russisches Öl im Grunde weggefallen", sagt die Ökonomin Elina Ribakova von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel in einer Analyse. Weil westliche Käufer aber kaum noch ordern, musste Russland sein Urals-Öl an seinen Westhäfen zeitweise zu großen Rabatten verkaufen. Manche sagen gar: verramschen. Teilweise musste das Land mit Nachlässen von 40 Dollar auf den Weltmarktpreis nachhelfen, um zum Beispiel indische Käufer anzulocken.

Für den Westen wirkte es, als funktioniere der Ölpreisdeckel. Monatelang wechselte russisches Urals-Öl schließlich für 50 Dollar den Besitzer, vielleicht auch mal für 55 Dollar. Was wirklich am russischen Ölmarkt passierte, nahm jedoch kaum jemand wahr. Auf Russlands Ölmarkt im Fernen Osten schien niemand zu schauen, die Ferne steckt schließlich schon im Wort.

Im Hafen Kosmino, wo Japan und China näher sind als Moskau, stellte sich die Angelegenheit anders dar. Der Ökonom Benjamin Hilgenstock von der Kyiv School of Economics beobachtet seit Monaten zusammen mit anderen Forschern russische Exportdaten, Zahlen von gut informierten Datendiensten und die Finanzterminals der Börsenprofis. Sein Fazit: Selbst direkt nach dem Start des Preisdeckels im Dezember 2022 lagen 95 Prozent der Ölverkäufe im Hafen Kosmino im äußersten Osten Russlands über dem Preisdeckel. Gut und gerne 75 Dollar zahlten viele Käufer, teilweise bis zu 85 Dollar je Fass. Das zeigen Hilgenstocks Daten.

Im Hafen Kosmino ging traditionell schon immer viel Öl nach Asien. Neue Käufer brauchte es kaum, Preisnachlässe schon gar nicht. Selbst direkt nach dem Start des Ölpreisdeckels stammte mehr als die Hälfte der Öltanker in Kosmino nach Analyse der Forschergruppe entweder von einer westlichen Reederei oder waren von einer westlichen Versicherung geschützt. Dass die Reedereien und Versicherungen die Ölpreise nicht prüften, halten Experten für unwahrscheinlich. "Wahrscheinlich sind die Papiere schlicht gefälscht worden", sagen die Forscher der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.

Jeden Tag bleibt viel Öl im Boden - das soll die Preise treiben

Russland versucht nun jedoch, auch die Ölpreise an der Ostsee und im Schwarzen Meer zu treiben. Zusammen mit Saudi-Arabien lässt das Land jeden Tag 1,3 Millionen Fass Öl im Boden, die es eigentlich fördern und exportieren könnte. Das soll den Ölmarkt knapphalten und die Preise treiben. Inzwischen ist Öl so knapp geworden, dass die Käufer auch an den russischen Westhäfen deutlich geringere Rabatte durchsetzen können.

Die Konsequenz? Auch an den Westhäfen liegen die Preise für russisches Öl längst weit über der Marke von 60 Dollar je Fass. Aktuell sind es exakt 77,80 Dollar.

Insgesamt verschiffte Russland zwischen Januar und September nach Ansicht der "Internationalen Arbeitsgruppe zu Sanktionen" 65 Prozent seines Öls über westliche Schiffe oder mit westlicher Versicherung. Sanktionsexperten fordern die G-7-Staaten daher auf, Verstöße gegen den Preisdeckel schärfer zu ahnden. Attestierungen über den Preis der Schiffsladungen sollten nur von registrierten Ölhändlern ausgestellt werden dürfen, um zwielichtige Handelsfirmen im Hongkong oder den Vereinigten Arabischen Emiraten auszuschließen. Auch die Versicherer sollten genauer hinsehen. Die US-Administration versucht es nun offenbar mit sanftem Druck: Sie soll Versicherer, Reeder und Ölfirmen angeschrieben haben. Die Tonlage, so melden es Nachrichtenagenturen, war eher freundlich.

Diese Freundlichkeit hat ihren Preis: Jeder Dollar weniger bei den russischen Ölpreisen bedeutet für den Kreml drei Milliarden Dollar weniger Exporteinnahmen. So haben es die Kiewer Forscher kalkuliert. 41 Milliarden Dollar sollen die russischen Ölkonzerne dieses Jahr bereits an die russische Staatskasse überwiesen haben.

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