Nach Milliardenschaden:Bahn macht Jagd auf Kartelle

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Unter anderem für ihre Bordrestaurants benötigt die Bahn jedes Jahr Hunderte Tonnen Lebensmittel (Foto: AFP)

Für mehr als 20 Milliarden Euro ordert die Deutsche Bahn jährlich bei Lieferanten - und wird dabei offenbar ordentlich geprellt. Der Schaden durch geheime Absprachen soll sich auf mehr als eine Milliarde Euro belaufen. Nun geht der Staatskonzern mit einer eigenen Spezialeinheit gegen die Wettbewerbsverstöße vor.

Von Klaus Ott

Im 16. Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz in Berlin ist seit einigen Monaten eine neue Abteilung zugange. Es handelt sich um eine Sondereinheit der Deutschen Bahn (DB), die es in dieser Form hierzulande sonst wohl noch nirgendwo in Industrie und Wirtschaft gibt. Ihr Name: CRK4. Ihre Aufgabe: Kartellsünder jagen. Sechs Juristen unter Leitung von Tilman Makatsch sollen überall dort, wo die Bahn durch gesetzeswidrige Preisabsprachen geschröpft wurde, Schadensersatz eintreiben.

"Wir sind direkt oder indirekt fast von jedem dritten Kartell betroffen, das in Deutschland aufgedeckt wird", sagt Gerd Becht, Vorstandsmitglied der Bahn, zuständig für Compliance, Datenschutz und Recht. In den vergangenen fünf bis sieben Jahren sei das Staatsunternehmen um insgesamt vermutlich mehr als eine Milliarde Euro betrogen worden. Hinzu kämen die Zinsen, die den eigentlichen Schaden teilweise noch überstiegen. Dieses Geld wolle man wiederhaben, betont Becht, der von einer "Vorreiterrolle" in Europa spricht.

Die Bahn ist einer der größten Einkäufer im Lande. Für jährlich mehr als 20 Milliarden Euro ordert der Konzern bei rund 40 000 Lieferanten nicht nur Züge und Busse, Gleise und Weichen, sondern auch Dienstkleidung und Möbel, Essen und Getränke und vieles andere. Das erklärt, warum der Staatskonzern unter illegalen Preis-Syndikaten besonders leidet.

Selbst das Kaffeekartell, das vor Jahren aufflog, ging zu Lasten der Bahn. Zahlreiche Kaffee-Röster hatten mindestens ein Jahrzehnt lang Großkunden ausgenommen. Die Bahn, die im Jahr mehr als 300 Tonnen Kaffee abnimmt, verlangt von mehreren Lieferanten Schadensersatz. Beim Landgericht Hamburg ist eine Klage anhängig, außerdem gibt es Vergleichsgespräche. Das ist nur einer von vielen Fällen. Gegen mehr als 20 Geschäftspartner sind Makatsch und seine Kollegen Kartelljäger bereits vorgegangen, ein Großteil der Verfahren läuft noch.

"Jeden Euro eintreiben, der uns und den Steuerzahlern zusteht"

In London klagen die DB und andere europäische Eisenbahnen wegen überteuerter Karbonbürsten für die Stromabnehmer von Lokomotiven. In der britischen Hauptstadt geht die Bahn gerichtlich auch gegen überhöhte Bankgebühren vor. Eine weitere Klage läuft in Oslo in Norwegen, und in Deutschland ist die Justiz sowieso gut beschäftigt. "Bei Kartellen verstehen wir keinen Spaß", sagt Bahn-Vorstand Becht. "Wir wollen jeden Euro eintreiben, der uns und auch den Steuerzahlern zusteht." Seinen bislang größten Erfolg hat der Staatskonzern DB bislang beim Schienenkartell erzielt, das viele Jahre lang weit überhöhte Preise abgesprochen hatte. Thyssen-Krupp und Voestalpine zahlten zusammen rund 200 Millionen Euro an die Bahn. Über Klagen gegen andere Stahlunternehmen hat das Landgericht Frankfurt noch nicht entschieden.

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Die Rechnungen waren zu hoch oder gleich komplett falsch: Mehrere zusammenhängende Firmen sollen die Deutsche Bahn betrogen und erheblich geschädigt haben. Sie waren für die Sicherung von Baustellen zuständig.

Ein Teil der vielen Millionen Euro von Thyssen-Krupp und Voestalpine fließt in die Staatskasse. Der Bund und die Länder bezuschussen das Schienennetz und andere Sparten des Verkehrskonzerns jährlich mit mehreren Milliarden Euro und werden insofern von Kartellen mit ausgenommen. Hat die Spezialeinheit CRK4 Erfolg, bekommt der Staat Fördermittel zurück. CRK4 bedeutet Abteilung Nummer vier in einem der Rechtsbereiche, für die Becht verantwortlich ist.

Mit den Kartelljägern ist das so wie mit den Steuerfahndern beim Fiskus. Auf einen Euro Personalkosten kommen viele Euro zusätzliche Erlöse. CRK4 sei längst profitabel, freut sich Bahn-Vorstand Becht, der nicht nur die Konzern-kasse füllen will. "Es geht uns auch um eine neue Industriekultur in Europa." In nahezu allen Wirtschaftsbereichen treiben Kartelle ihr Unwesen, selbst Schokoladenhersteller kommen in Versuchung, wie die Fahndungserfolge der Wettbewerbsbehörden dokumentieren. Und seitdem Kronzeugen hohe Strafrabatte bekommen, fliegen immer mehr Preissyndikate auf.

Die ausgenommenen Unternehmen bekommen nicht automatisch ihr Geld zurück. Ertappte Kartellsünder hätten oft mit den Behörden kooperiert, die geschädigten Kunden aber "abblitzen" lassen, klagt Becht. Um die Kronzeugenregelung attraktiv zu machen, wurden geständige Firmen gewissermaßen geschützt, indem die von ihnen gelieferten Beweise bei den Behörden meist unter Verschluss blieben und nur schwer für Schadensersatzprozesse genutzt werden konnten. Das ändert sich langsam. Die EU will mit einer neuen Richtlinie betrogenen Kunden helfen. "Wir haben mehr Möglichkeiten, an Beweise heranzukommen, auch wenn wir an einigen Stellen noch schärfere Regelungen begrüßt hätten", sagt Bahn-Vorstand Becht.

Ertappte Firmen müssen bei Aufklärung helfen

Auch die Kartellbehörden sind letzten Endes sehr daran interessiert, dass sich die hintergangenen Kunden wehren. Schadensersatzklagen seien eine "wichtige und sinnvolle Ergänzung der behördlichen Kartellverfolgung", sagt Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes. Die Unternehmen in Deutschland seien hier in den vergangenen Jahren "erfreulicherweise sehr viel aktiver geworden." Die Bahn geht inzwischen noch einen Schritt weiter. Lieferanten müssen in ihren Verträgen unterschreiben, dass sie 15 Prozent der Kaufsumme pauschal zurückzahlen, sollten sie bei Preisabsprachen erwischt werden. Diesem Beispiel folgen inzwischen auch andere Unternehmen wie der Handelskonzern Metro. Die Beweislast, dass der Schaden weniger als 15 Prozent betrage, liegt dann bei den Kartellsündern.

Aus Sicht von Bahn-Vorstand Becht ist die "Beweislast-Umkehr ein großer Fortschritt". Der Staatsbetrieb verlangt zudem, dass ertappte Firmen zur Aufklärung beitragen, sich von den Managern und Mitarbeitern trennen, die am Kartell beteiligt waren, und den Nachweis erbringen, dass die Gesetzesverstöße abgestellt seien. Nur wer diesen "Selbstreinigungsprozess" durchlaufe, könne "unser Lieferant bleiben", kündigt der Bahn-Vorstand an. Die Politik, sagt Becht, unterstütze die Bahn bei ihrem harten Vorgehen gegen Kartelle. Und andere große Unternehmen wollten diesem Beispiel offenbar folgen und fragten bereits: "Was macht ihr da, und wie macht ihr das?" Das Beispiel Bahn könnte also Schule machen.

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© SZ vom 24.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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