Schienenkartell:ThyssenKrupp zahlt mehr als 150 Millionen Euro Schadensersatz

Über Jahre hinweg sollen Stahlbetriebe ihre Preise abgesprochen und überhöhte Rechnungen gestellt haben. Allen voran eine Tochterfirma der Thyssen-Krupp AG. Nun haben sich die Deutsche Bahn und der Industriekonzern in einem Vergleich geeinigt. Dabei sind hohe Schadensersatzzahlungen bei Kartellen die große Ausnahme.

Von Kirsten Bialdiga und Klaus Ott

Viele Pläne, aber zu wenig Geld, das ist die Lage beim Ausbau des Schienennetzes in Deutschland. Aber vielleicht könnte nun ein Projekt schneller verwirklicht werden - dank einer Sondereinnahme, die bei der Deutschen Bahn (DB) ansteht. Zum Beispiel der Rhein-Ruhr-Express, eine 185 Millionen Euro teure Schnellverbindung zwischen Düsseldorf und Dortmund. Oder die Elektrifizierung der Strecke von München in die Schweiz, die 105 Millionen Euro kostet. Das sind zwei von mehreren Dutzend Vorhaben.

Der Sondererlös für das Staatsunternehmen DB beträgt mehr als 150 Millionen Euro und kommt von Thyssen-Krupp. Es handelt sich um eine Schadensersatzzahlung des in Essen ansässigen Industriekonzerns für ein Schienenkartell, das die Bahn und andere Abnehmer von Gleisen und Weichen viele Jahre lang geprellt hat. Stahlbetriebe hatten ihre Preise abgesprochen und überhöhte Rechnungen gestellt. Allen voran eine Tochterfirma der Thyssen-Krupp AG. Ein anderes Kartellmitglied, Voestalpine, hat bereits rund 50 Millionen Euro an die Bahn gezahlt, die damit bisher insgesamt gut 200 Millionen Euro ersetzt bekommt.

Die Einigung zwischen Bahn und Thyssen-Krupp kommt rechtzeitig, bevor der Essener Konzern in dieser Woche seine Jahresbilanz vorlegt. Das bedeutet: Eine Baustelle weniger für Vorstandschef Heinrich Hiesinger, der mit Milliardenverlusten bei Stahlwerken in Übersee und anderen großen Problemen zu kämpfen hat.

Schadensersatz soll in Schienenausbau reinvestiert werden

Eingebunden in den Vergleich von Bahn und Thyssen-Krupp sind die Bundesregierung und die Länder, die das Schienennetz weitgehend finanzieren und zu deren Lasten die überhöhten Preise größtenteils gegangen waren. Nach Angaben aus Regierungskreisen in Berlin ist vereinbart, dass die Schadensersatzsumme nicht im Staatshaushalt verschwindet, sondern in Schienenprojekte investiert wird. Auf diese Weise kommt das Geld indirekt also denen zugute, die letztlich ausgenommen wurden, den Fahrgästen und Steuerzahlern.

Mit dem Vergleich ist eine vor einem Jahr von der Bahn eingereichte Schadensersatzklage teilweise hinfällig. Die DB hatte, inklusive Zinsen, von mehreren Stahlunternehmen insgesamt 850 Millionen Euro für das vergangene Jahrzehnt eintreiben wollen, in dem die Taten noch nicht verjährt waren. Auf Thyssen-Krupp wären wohl 400 bis 500 Millionen Euro entfallen, da der Essener Konzern mehr als die Hälfte der überteuerten Schienen geliefert haben soll (gegen drei andere Stahlbetriebe läuft die Klage weiter).

"Wir wurden systematisch betrogen"

Davon ist der nun vereinbarte Vergleich zwar weit entfernt. Doch hohe Schadensersatzzahlungen sind bei Kartellen die große Ausnahme. Selbst in Fällen, in denen rechtskräftige Bußgeldbescheide des Bonner Bundeskartellamtes oder der Brüsseler EU-Kommission Europäischen Union vorliegen.

Bei Gericht muss der Schaden konkret beziffert und nachgewiesen werden, was lange dauern kann. So hat die EU-Kommission bereits 2007 hohe Strafen gegen Thyssen-Krupp und andere Unternehmen verhängt, die ihre Preise für Aufzüge und Rolltreppen abgesprochen hatten. Seit Jahren verklagen 15 Städte und städtische Unternehmen aus ganz Deutschland und die Bahn beim Landgericht Berlin Thyssen-Krupp auf 46 Millionen Euro, doch ein Urteil ist nicht in Sicht. Im Vergleich dazu kommt die Einigung beim Schienenkartell beinahe im Eilzug-Tempo. Das Bonner Kartellamt hatte erst Mitte 2012 ein Bußgeld von 103 Millionen Euro gegen den Essener Konzern verhängt; anschließend drängte die Bahn auf Schadensersatz.

"Wir wurden systematisch betrogen", schimpfte Bahn-Vorstand Gerd Becht. Anfangs liefen die Gespräche sehr zäh; da gab es bei Thyssen-Krupp noch alte Seilschaften, die krumme Geschäfte lieber vertuschen statt aufklären wollten. Doch Vorstandschef Hiesinger, der erst vor drei Jahren von Siemens gekommen war, räumte im Management auf. Sein Motto: "Die Treppe wird von oben gekehrt." Hiesinger leitete in dem Konzern, in dem Kartelle-Verstöße Alltag waren, einen Kulturwandel ein. Mit Bahn-Vorstand Becht verständigte sich Hiesinger auf zügige Verhandlungen, die nun zum Ergebnis führten.

Mit der Schadensersatzzahlung von mehr als 150, aber weit weniger als 200 Millionen Euro, kann Thyssen-Krupp halbwegs leben. Der Konzern hat mit einer Rückstellung vorgesorgt. Und einen Teil des Geldes kann sich der Konzern womöglich bei der für das Management abgeschlossenen Haftpflichtversicherung zurück holen. Die Police beläuft sich auf 130 Millionen Euro.

Nun stehen beim Schienenkartell noch Schadensersatzzahlungen an kommunale Verkehrsbetriebe aus ganz Deutschland aus. Der Betrag hierfür dürfte niedriger liegen als bei der Bahn. Trotzdem: Inklusive mehrerer Bußgeldzahlungen und der Kosten für interne Ermittlungen dürfte Thyssen-Krupp das Schienenkartell am Ende mehr als 400 Millionen Euro kosten, abzüglich eventueller Versicherungsleistungen. Kein Kleingeld.

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