Klimaschutz:Italien will die Müll-Bremse kippen

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Tomaten in Plastikverpackungen soll es nach dem Willen der EU bald nicht mehr geben. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Der grüne Deal der EU-Kommission sorgt erneut für Zoff. Diesmal begehrt die italienische Verpackungsindustrie gegen das geplante Verbot von Tütensalat und Kirschtomaten in der Plastikbox auf - angeblich aus Umweltschutzgründen.

Von Ulrike Sauer, Rom

Heißt es jetzt: Zurück an den Herd? So weit würde Maurizio Marchesini wohl nicht gehen in seiner Kritik. Aber dass man in Europa mit der hart umkämpften Verpackungsverordnung gerade die Uhren zurückstellen will, das sagt der italienische Industrie-Lobbyist klipp und klar. Die Verpackung von Esswaren habe schließlich die Art und Weise revolutioniert, wie wir einkaufen. Nicht anders, als zu Zeiten des Wirtschaftswunders das Aufkommen von elektrischen Haushaltsgeräten der Frauenerwerbsarbeit einen Schub gegeben habe. Also sagt Marchesini nun: "Mit einer drastischen Einschränkung von verpackten Lebensmitteln würden wir unseren Lebensstil um 50 Jahre zurückdrehen."

Schon wieder sorgt der grüne Deal der EU-Kommission für Zoff. Diesmal ist es eine neue Verpackungsverordnung, die in Europa die Gemüter erregt. Auch sie ist Teil der ehrgeizigen Klima-Agenda von Ursula von der Leyen, die bis 2050 aus Europa den ersten klimaneutralen Kontinent machen soll. Ziel der Verordnung ist es, den wachsenden Müllbergen und der verbreiteten Wegwerfmentalität Einhalt zu gebieten. Um das Vorhaben tobt aber eine erbitterte Lobbyschlacht. Auch unter den Brüsseler Institutionen gehen die Ansichten über die Verordnung auseinander. Am Montag treffen sich die Unterhändler von EU-Parlament, Rat und Kommission, um sich auf eine endgültige Ausgestaltung der Bestimmungen zu einigen. Gestritten wird dann um die Zukunft von Tütensalat, eingeschweißten Tomaten und Traminer in Einweg-Weinflaschen.

Kein Land lehnt sich so vehement gegen die Verpackungsverordnung auf wie Italien. "Es wird ein falscher Weg eingeschlagen, der nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und der vor allem nicht dem Erreichen der Ziele im Klimaschutz dient", sagt Marchesini, Vize-Präsident des italienischen Industrieverbandes Confindustria. "Was wir anfechten, ist der ideologische Ansatz der EU, der dem Produktionssystem schadet und verheerende wirtschaftliche und soziale Folgen hat", sagt der Hersteller von Verpackungsmaschinen für die Pharmazeutik und Kosmetik aus Bologna.

Viele Regeln des Grean Deal wurden schon wieder entschärft

Der rege Lobbyeinsatz zeigte Wirkung. Als die von der EU-Kommission vorgestellte Müll-Reform im vergangenen November dem Europäischen Parlament in Straßburg zur Verabschiedung vorlag, mussten die Abgeordneten über eine Flut von 525 Änderungsanträgen abstimmen. Die meisten stammten von italienischer Seite. Die dann mit großer Mehrheit verabschiedete Fassung wich in einigen zentralen Punkten stark von der ursprünglichen Verordnung der Kommission mit ihren 65 Paragrafen ab. Am Montag soll jetzt im Trilog-Verfahren eine für alle EU-Institutionen annehmbare Fassung ausgehandelt werden. Sie träte dann sofort in Kraft, ohne dass die Mitgliedsländer sie in nationales Recht übersetzen müssten.

In der Zwischenzeit ist aber von der Leyens großes Projekt des Grünen Deal arg zerrupft worden. Die Vorschriften zur Gebäudesanierung wurden entschärft. Die geplanten Umweltregeln für die Landwirtschaft eilig von der EU-Kommission zurückgenommen. Nicht mal das beschlossene Aus von Verbrennermotoren ab 2035 scheint noch in Stein gemeißelt zu sein.

Kippt jetzt auch die Müll-Bremse? Dringenden Handlungsbedarf sah die EU-Kommission, weil die Menge von klimaschädlichem Verpackungsmüll in Europa zwischen 2009 und 2020 um 20 Prozent gestiegen ist. Im Schnitt schmeißt jede Person im Jahr 180 Kilo Verpackungen in die Tonne. In Deutschland sind es pro Kopf noch fast 50 Kilo mehr. Aber immerhin: Am Plan einer stufenweisen Reduzierung der 80 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle wollen alle festhalten. Die Menge soll bis 2030 um fünf Prozent und bis 2040 um 15 Prozent gegenüber 2018 fallen. Für Plastik gelten noch strengere Zielvorgaben. Auch darüber, dass die Einwegfläschchen mit Duschgel und Shampoo aus den Hotelzimmern verschwinden, herrscht Einvernehmen. An den Flughäfen soll dem Gepäck-Wrapping mit Plastikfolien ein Ende bereitet werden. Im Schnell-Imbiss könnten demnächst wohl die Portionsbeutel für Mayonnaise und Ketchup verschwinden.

Der große Streit entzündet sich im Wesentlichen an einer Glaubensfrage: Was ist besser für die Umwelt, Mehrwegsysteme oder Recycling? Die Kommission will die Wiederverwendung europaweit als einzigen Königsweg hin zur ökologischen Transformation der Wirtschaft vorschreiben. Damit setzt sie in Italien eine Erfolgsgeschichte aufs Spiel, die das Land ausgerechnet in der Green Economy zu einem bewunderten Vorreiter gemacht hat.

Das Mittelmeerland ist in den vergangenen 25 Jahren zu Europas Champion in der Kreislaufwirtschaft aufgestiegen. Rund um das Abfallrecycling hat sich eine junge Wachstumsbranche etabliert. Italien erlebte einen Gründungsboom innovationsfreudiger Unternehmen und die Schaffung Zigtausender Jobs. 83,4 Prozent der Haushaltsabfälle und des Sondermülls wurden 2022 der Wiederverwertung zugeführt - Tendenz: stark steigend. Damit liegt Italien mehr als 30 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt.

Was bis heute als eine erstaunliche Stärke Italiens galt, soll nun dem Strategiewechsel in Brüssel weichen. Die EU-Kommission hat eine neue, verbindliche Abfallhierarchie postuliert. Sie gibt der Müllvermeidung Vorrang, gefolgt von der Wiederverwendung gebrauchter Verpackungen. Danach kommt erst an dritter Stelle die Wiederverwertung von Abfall. Das neue Müll-Paradigma soll mit Verboten von Einwegverpackungen und strengen Mehrwegvorgaben durchgesetzt werden. Dass es, wie von der Kommission behauptet, klimaschonender ist, wird von seinen Gegnern bestritten.

Die Italiener fühlen sich jedenfalls verraten. Gerade erst erhielt das Land 2,1 Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds, um das strukturelle Nord-Süd-Gefälle in der Müllverwertung zu reduzieren. Nun aber bangt die florierende Branche um ihre Existenz. "Recycling wird auf einmal als Greenwashing verschmäht", sagt der Ökonom Antonio Massarutto von der Universität in Udine. Gerade jetzt, wo die Industrie gelernt habe, effizient zu recyceln und es obendrein zu einem Geschäft zu machen. Der Maschinenbauer Marchesini warnt davor, dass sich der schwächelnde Kontinent die Umkehr nicht leisten könne. "Europas Wettbewerbsfähigkeit wird so weiterer Schaden zugefügt", sagt er.

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