Mobilität in den Städten:Freie Fahrt für freie Treter

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Per Tretroller durch die Blechlawine: Außerhalb Deutschlands, wie hier in Wien, sind E-Scooter längst üblich. (Foto: dpa)

Wenn Deutschland wirklich eine ökologische Verkehrswende will, muss es alternative Fahrzeuge wie E-Scooter fördern. Die bisherigen Regeln sind absurd.

Kommentar von Valentin Dornis

Die Frau steht auf dem Tretroller und rollt vorbei, der Motor surrt leise. Sie fährt einen elektrischen Tretroller - und ist daher illegal unterwegs. Die sehr praktischen Geräte sind auf deutschen Straßen ärgerlicherweise nicht erlaubt. In Tel Aviv oder San Francisco sind sie längst Teil urbaner Mobilität. Der Elektro-Tretroller sollte ein essenzieller Bestandteil der Verkehrswende hin zu ökologischen Antrieben sein. Deutschland muss endlich sein Straßenverkehrsrecht modernisieren und E-Tretroller nicht nur legalisieren, sondern auch finanziell fördern.

Die Politik hat E-Scooter und ähnliche Gefährte jahrelang vernachlässigt. Die Industrie dagegen ist bereit, sie hat die Technik entwickelt, baut die Fahrzeuge schon. Doch der Staat stellt sich quer: Es ist nicht möglich, einen E-Scooter in Deutschland so zuzulassen, dass er vernünftig genutzt werden kann. Einige wenige Modelle sind über den Umweg zugelassen, ähnlich wie ein Auto behandelt zu werden. Zum Fahren seines Tretrollers braucht man dann einen Pkw-Führerschein. Das ist absurd. Wie man einen handelsüblichen E-Scooter legal nutzen kann, das kann das Bundesverkehrsministerium nicht präzise sagen. Die Fahrer riskieren Bußgelder und Punkte in Flensburg. Weil es wegen fehlender amtlicher Zulassungen keine passende Versicherung gibt, muss der E-Scooter-Fahrer bei einem Unfall alle Kosten übernehmen. Also sollte derzeit niemand das Risiko eingehen, sich mit einem solchen E-Tretroller auf deutsche Straßen zu begeben.

E-Scooter im Test
:Mit dem Citybug illegal durch die Stadt

Der Tretroller mit Elektroantrieb soll die Verkehrsprobleme der Metropolen lösen. Tatsächlich ist er flink und witzig. Leider darf man ihn fast nirgends benutzen.

Test von Thomas Harloff

Bei motorisierten Gefährten ist die Sorge um die Gesundheit stets groß, bei E-Scootern ist sie allerdings unbegründet. Wenn man nach der Verletzungsgefahr geht, ist ein normales Fahrrad mindestens genauso gefährlich, Fahrradfahrer brauchen keinen Helm und keinen TÜV. Mit E-Scootern fährt man maximal 20 Kilometer pro Stunde, auch bergab. Das Limit können die Hersteller einbauen, bei diesem Wert sollte die Grenze auch liegen (das Verkehrsministerium denkt bereits in diese Richtung). Die größte Gefahr für Radfahrer und E-Scooter-Fahrer geht vom Autoverkehr aus. Eine Infrastruktur, die tonnenschwere, airbaggesicherte Autos gegenüber Zweirädern bevorzugt, ist ungerecht und potenziell tödlich. Kommunen und Länder müssen daher dringend Geld in sichere Radwege investieren, die dann natürlich nicht nur für Fahrräder offen sind, sondern auch für E-Scooter.

Wer eine wirkliche Verkehrswende will, muss größer denken. Verkehrswende darf am Ende nicht bedeuten, dass alle einfach weiter Auto fahren, nur eben mit Elektromotor. Stattdessen muss sich die Mischung auf der Straße drastisch ändern. Dort müssen künftig viel mehr E-Scooter, Lastenfahrräder und Pedelecs fahren, also Fahrräder mit Elektroantrieb, damit Menschen besser zur Arbeit und Pakete besser ans Ziel kommen. Deutschland braucht eine effizientere Infrastruktur für diese Gefährte, Investitionen in einen guten öffentlichen Nahverkehr und in alternative Fortbewegungsmittel.

Immerhin: Es gibt bereits Förderprogramme, bei denen die Kommune oder das Bundesland 500, 1000 oder 2000 Euro zum Kauf eines E-Bikes oder Lastenfahrrades beisteuern. Diese Programme sollten auf E-Scooter ausgeweitet werden, wenn sie endlich unkompliziert zugelassen und versichert werden können. Das Verkehrsministerium verspricht zumindest schon mal, dass es noch 2018 neue Regeln geben soll.

Verkehrswende heißt nicht, individuelle Mobilität aufzugeben

Der E-Scooter wird nicht das elektromobile Erweckungserlebnis der Spritnation Deutschland sein, glauben Verkehrsforscher. Doch er kann sehr wohl helfen, elektrische Antriebe alltäglicher zu machen. Denn es macht Spaß, E-Scooter zu fahren. Und es ist auch ohne körperliche Anstrengung möglich. Der Tretroller mit Elektroantrieb ist etwas für jeden, ein Tesla wird auch mit staatlicher Förderung nicht erschwinglich. Einsteigermodelle bei E-Scootern gibt es für einige Hundert Euro, die Reichweite von 15 bis 20 Kilometern reicht für alle Fälle. Sobald die Elektro-Tretroller etabliert und für die Hersteller rentabel sind, werden Einstiegspreise sinken und Reichweiten zunehmen.

Die größte Sorge der Autofetischisten bei der Verkehrswende ist unbegründet. Sie ist kein "Kampf gegen den Individualverkehr", keine Verschwörung gegen bürgerliche Bewegungsfreiheit. Das Gegenteil ist richtig: Die elektrifizierte Fortbewegung sichert die individuelle Motorisierung in der Zukunft - und das beste Beispiel dafür ist der erschwingliche E-Scooter, mit dem jeder einfach fahren kann. Jetzt muss Deutschland ihn nur noch zulassen.

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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