Radfahren in Städten:Wie aus London eine Radler-Stadt werden soll

Radfahren in Städten: Häufige Regenschauer sind noch das kleinste Problem für Fahrradfahrer in London.

Häufige Regenschauer sind noch das kleinste Problem für Fahrradfahrer in London.

(Foto: AFP)

Boris Johnson macht es vor: Wer in der britischen Hauptstadt mit dem Fahrrad überleben will, darf keine Skrupel haben. Doch auch andere Radler sollen künftig sicherer und schneller ans Ziel kommen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Es ist schon eine Weile her, dass Hayley Campbell ihre Anleitung darüber verfasste, wie man es schafft, in London Fahrrad zu fahren - und dabei nicht zu sterben. Vor fünf Jahren war der Text in der Wochenzeitung New Stateman zu lesen, und die prominente Autorin und Bloggerin lebt immer noch. Das ist ein Wunder, denn diese Metropole mit dem Rad zu durchqueren, auf deren überfüllten, oft engen und unübersichtlichen Straßen gefühlt eine Trilliarde rote Doppeldecker-Busse, extrabreite, schwarze Taxis und gefährlich leise Hybrid-Autos herumfahren, ist ein permanentes Survival-Training.

Campbell hatte damals einige nützliche Tipps für überzeugte Radler parat, die heute immer noch stimmen. Dazu gehört: Männer wie Boris Johnson, den Ex-Bürgermeister und Ex-Außenminister, sollte man in weitem Bogen umfahren. Johnson ist passionierter Radler, aber leider fährt er Fahrrad so, wie er Politik macht: skrupellos und auf den eigenen Vorteil bedacht.

Ihr vielleicht wichtigster Tipp: nicht ein, nicht zwei, sondern am besten drei oder mehr Schlösser. "In London besitzt man kein Rad; man nimmt nur irgendeines eine Zeitlang in Besitz, bis es gestohlen wird." Die SZ-Korrespondentin, in London allen Warnungen zum Trotz viel mit dem Fahrrad unterwegs, kann das nur bestätigen: Vierfach-Verlust innerhalb eines Jahres. Wenn nicht das ganze Rad weg ist, dann sind es Sattel, Pedale oder Reifen.

SZ-Korrespondenten - mit dem Rad unterwegs

Das Fahrrad als Verkehrsmittel - wie wird es in Ihrer Stadt genutzt, was funktioniert gut, woran hapert es? Diese Fragen haben wir den Auslands-Korrespondenten der SZ gestellt, ihre Texte dazu lesen Sie hier und alle Teile der Serie unter Radfahren in Städten.

Überall in der Stadt wachsen zwar mittlerweile Fahrrad-Hangars aus dem Boden, um all jenen eine verschließbare Heimat für ihre Räder zu geben, die keine Garage oder keinen Schuppen haben. Das gilt für die meisten Bewohner der Stadt. Aber diese Stellplätze zur Miete, üblicherweise in grünen Tonnengewölben aus Metall angeboten, stehen in der Regel Kilometer auseinander. Und wer mag schon zehn Minuten zu seinem Fahrrad laufen, um dann damit im Zweifel doch nur zehn Minuten in den nächsten Park zu fahren?

Wer langfristig radeln will, braucht eigentlich auch eine Atemschutzmaske, denn die Luft in der britischen Hauptstadt ist einer der schlechtesten in Europa. Andererseits ist Atemschutz was für Schwächlinge. Und als Schwächling sollte man sich gar nicht erst in den Verkehr trauen. Touristen sehen das anders, aber sie sind auch meist nur kurz in der Stadt. Leihfahrräder erfreuen sich wachsender Beliebtheit, werden aber überwiegend entlang der Themse und in schickeren Gegenden wie Kensington, Chelsea oder Notting Hill bewegt. In Croydon oder Waterloo ist das Angebot an Leihfahrrädern eher überschaubar.

Die Londoner Ex-Bürgermeister Ken Livingston und Boris Johnson hatten einst versprochen, das schnell vieles besser wird. Livingston wollte das Aufkommen von Radlern bis 2025 um 400 Prozent steigern und dafür 450 Millionen Euro ausgeben. Seine Pläne für Cycle Super-Highways wurden aber nur teilweise umgesetzt. Johnson kündigte Investitionen von einer Milliarde und eine Fahrrad-Magistrale von West- nach Ost-London an, wie sie derzeit auch als Zugtrasse unter dem Namen "Crosstrail" gebaut wird. "Quietways" sollten eingerichtet werden, auf denen Radler in Ruhe durch die Stadt streifen können. Alle Pläne sind auf halbem Wege stecken geblieben, auch wenn die Zahl der Fahrradwege in London stetig zunimmt. Immerhin.

Drei neue Cycle-Superhighways soll es in den nächsten zwei Jahren geben

Denn London soll, so will es auch der aktuelle Bürgermeister Sadiq Khan, endlich eine grüne Stadt und eine Radlerstadt werden. Unlängst hat Heidi Alexander, die für den Londoner Verkehr zuständige Vize-Bürgermeisterin, wieder einmal versprochen, dass drei neue Cycle-Superhighways in den kommenden zwei Jahren in Angriff genommen würden: im Nordwesten der CS11 von Swiss Cottage nach Oxford Circus, im Westen der CS9 von Hammersmith nach Brentford und der CS4 zwischen der Tower Bridge und Greenwich im Südosten der Stadt. Zwölf waren einst geplant gewesen; einige wurden gebaut, waren aber gefährlich, einige erwiesen sich als gut konzipiert und viel genutzt. Trotzdem: "Wir haben eine Bequemlichkeitskrise", sagt Alexander, "wir müssen die Menschen ermutigen, endlich von Autos auf Räder umzusteigen."

Das ist ein nobles Ziel. London liegt, was die Zahl der Radfahrer angeht, weit hinter den meisten europäischen und sogar hinter einigen US-amerikanischen Städten wie New York zurück. In Berlin und München sind etwa 15 Prozent mehr Radler unterwegs, in Amsterdam 37 Prozent. Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass 2016 in London etwa 730 000 Touren am Tag per Rad unternommen wurden, und die Zahl steigt. Verkehrspolitiker sagen aber, das Zehnfache könne erreicht werden, weil viele Routen zur Arbeit und zum Einkaufen im statistischen Durchschnitt nicht länger als 20 Minuten dauerten und daher mit dem Rad zurückgelegt werden könnten.

Schlecht fürs Radfahren: Der ÖPNV funktioniert

Nur: Der öffentliche Nahverkehr funktioniert in London gut, und selbst wenn man Nebenstraßen und grüne Lungen nutzt, ist das Radfahren in London kein Kinderspiel, sondern eine permanente Herausforderung. Selbst friedliche Gemüter entwickeln hier nach einer Weile jene Skrupellosigkeit, die Johnson eigen ist. Das Fahren gegen Einbahnstraßen, das Überholen von Bussen, das Radeln auf Taxi-Spuren - alles völlig normal, wenn man vorwärtskommen will. Verkehrsberuhigte Zonen oder gar so genannte Begegnungszonen, in denen sich Fußgänger und Radler mischen, sind eher selten.

Mittlerweile gibt es neben den politischen Kampagnen, die mit Blick auf die im kommenden Jahr anstehende Bürgermeisterwahl intensiviert werden, viele von der Stadt geförderte Initiativen, so genannte Go-Cycle-Bewegungen, in denen Ärzte, Physiotherapeuten und Fahrrad-Afficionados die Bürger zum Radeln auffordern - es sei schließlich gesund und umweltfreundlich. Es gibt einen Preis für die beste Radler-Initiative, Radler-Wochen, es gibt sogar alljährlich eine Nackt-Radl-Tour duch die Innenstadt.

Ganz regelmäßig, nämlich jeden ersten Freitag im Monat, trifft sich zudem die internationale und auch in Großbritannien sehr aktive Initiative "Kritische Masse" vor dem National Theater an der Themse. Eine Weile wird Musik gespielt, Regenbogenfahnen flattern, und wenn sich genügend Radler versammelt haben, fährt eine stetig größer werdende Gruppe durch die City, um für mehr und bessere Radwege zu demonstrieren. Radfahrer in der Masse - das ist wohl die einzig sichere Methode, um nicht von Bussen, Lastwagen, Taxis oder Autos überrollt zu werden.

Zur SZ-Startseite

Radfahren in Städten
:Anarchie, aber manierlich

Radfahrer in Tokio geben nicht viel auf Regeln. Hausfrauen nicht, Büromenschen nicht - und Polizisten auch nicht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: