Kommentar:Polemik löst die Wohnungsnot nicht

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Was darf Wohnen kosten? Es ist überfällig, dass darüber wieder diskutiert wird. Wer aber die eine, einfache Lösung für die Probleme am Mietmarkt verspricht, der macht es sich zu leicht.

Von Stephan Radomsky

Nun haben die Wähler also gesprochen: Die klare Mehrheit der Berliner will, dass Großvermieter enteignet werden, dass ihre Wohnungen öffentliches Eigentum und damit dem endlosen Gewinnstreben der Konzerne entzogen werden. Es ist, nach dem Mietendeckel, bereits das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass sich ein politischer Wille Bahn bricht, der das Zuhause vieler schützen will vor den Profitinteressen weniger. Und es ist das zweite Mal, dass aus dem ganzen Land Millionen Mieter so sehnsuchts- wie hoffnungsvoll in die Hauptstadt blicken. Nur dürften sie bei genauerem Hinsehen auch zum zweiten Mal enttäuscht werden.

Tatsächlich ist es überfällig, dass wieder laut und drängend darüber diskutiert wird, wie wir wohnen wollen und zu welchem Preis. Jahrzehntelang folgten Politiker aller Couleur nur zu gern der Verheißung, dass es der (Miet-)Markt schon regeln werde. Also verkauften sie große Wohnungsbestände und stopften mit den kurzfristigen Erträgen ihre Haushaltslöcher, statt langfristig bezahlbaren Wohnraum zu sichern. So geschah es in Berlin und Nordrhein-Westfalen, so geschah es in Bayern, Baden-Württemberg und anderswo. Und viel zu lange wurde es hingenommen. Wer sich die Stadt nicht mehr leisten konnte, weil Kinder kamen oder der Job weg war, der zog traurig schweigend immer weiter raus ins Umland - und pendelte dann notfalls eben ein, zwei Stunden täglich, einfache Strecke. Es ist gut, dass es mit diesem Schweigen nun vorbei ist.

Auch dass sich die Debatte nun ausgerechnet in Berlin derart schnell und heftig entwickelt hat, ist verständlich. Nirgendwo sonst in Deutschland waren die Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt in den vergangenen Jahren so brutal: Vor 20 Jahren noch ein Paradies für Mieter jeden Alters und Geldbeutels, ist die Stadt heute ein mindestens so hartes Pflaster wie Frankfurt, München oder Hamburg. Und zugleich ist wohl nirgendwo in Deutschland eine Stadtgesellschaft so selbstbewusst und kampfesfreudig wie in der Hauptstadt.

Leider aber wird auch das jüngste Ergebnis dieser Mischung aus nachvollziehbarem Zorn und Lust am Streit die Not am Wohnungsmarkt nicht lindern. So wie schon der Mietendeckel des Senats scheitert die Berliner Enteignungs-Initiative an der Realität: Die sozialen, juristischen und finanziellen Probleme sind zu komplex, sie lassen sich nicht mit ein paar eingängigen Slogans, klaren Feindbildern und beißender Polemik in einer Ja/Nein-Frage auflösen.

Die Versäumnisse von Jahrzehnten lassen sich nicht mit einer Abstimmung aufholen

Nur ein Beispiel: "Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig", heißt es im Grundgesetz. Darauf berufen sich auch die Initiatoren des Berliner Volksentscheids. Nur scheint sich diese Allgemeinheit für sie in der Mieterschaft von Vonovia, Deutsche Wohnen und anderen Konzernen zu erschöpfen. Denn wenn, wie gefordert, tatsächlich um die 240 000 Wohnungen enteignet würden, kostete das Unsummen: vielleicht zehn, vielleicht 20, vielleicht 30 Milliarden Euro. Den genauen Preis müssten Gerichte über viele Instanzen und Jahre ermitteln. So lange wäre die Politik gelähmt - man wüsste ja nicht, ob man unwissentlich längst bankrott ist. Der Rest der Menschen in der Stadt und alle, die vielleicht noch dazukommen wollen, hätten das Nachsehen.

Und nach der Übernahme würden wohl wiederum alle dafür bezahlen, dass einige günstiger leben. Denn dass die Kosten der Enteignung allein durch Mieten wieder eingespielt werden, die freilich nicht steigen sollen, das scheint doch sehr zweifelhaft. Zu den fälligen Milliarden-Entschädigungen kämen ja noch Kapitalkosten, außerdem laufende Ausgaben für Instandhaltung, Sanierung und Verwaltung des riesigen neuen Bestands. Ohne Geld der öffentlichen Hand dürfte das nicht gehen. Für den klammen Stadtstaat Berlin hieße das: Er müsste an anderer Stelle sparen, am öffentlichen Nahverkehr vielleicht, oder an Schulen und Kitas, oder an möglichen Wohnungsneubauten. Wahrscheinlich aber überall. Ein großer Teil der Allgemeinheit dürfte dann mit Recht fragen, inwiefern das bitteschön ihrem Wohl diene.

Aber was dann? Es wird wohl eine Mischung sein müssen aus strengerem Schutz der Mieter, deutlich mehr öffentlichem Wohnungsbau, der Förderung von Genossenschaften und anderen verantwortungsvollen Bauherren und Eigentümern. Die Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik muss nun sein, daraus Lösungen zu schaffen, die in der Praxis bestehen und nicht die Einen gegen die Anderen ausspielt. Das wird dauern, natürlich. Aber die Versäumnisse von Jahrzehnten lassen sich nicht mit einer Abstimmung aufholen.

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