Medien:«Tatort»-Experten gehen in die Kneipe

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Der „Tatort“ muss gemeinsam begutachtet werden. (Foto: Nicolas Armer)

Augsburg (dpa) - Kaum eine Fernsehsendung fesselt die Deutschen mehr als der "Tatort". Die Folgen der ARD-Krimireihe werden längst nicht mehr nur vor dem heimischen TV-Gerät mit Spannung verfolgt.

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Augsburg (dpa) - Kaum eine Fernsehsendung fesselt die Deutschen mehr als der „Tatort“. Die Folgen der ARD-Krimireihe werden längst nicht mehr nur vor dem heimischen TV-Gerät mit Spannung verfolgt.

Viele Fans besuchen auch eine der mehr als 260 „Tatort“-Kneipen in der ganzen Republik und begeben sich gemeinsam auf Mördersuche. Das hat zwei Wissenschaftler neugierig gemacht.

Lena Grießhammer und Michael Hallermayer von der Universität Augsburg haben die Kneipen-Gucker in München, Ulm und in ihrer Heimatstadt beobachtet, deren Unterhaltungen ausgewertet und mit dem Verhalten der Netz-Community beim sonntäglichen „Tatort“ verglichen. Herausgekommen ist eine umfangreiche Studie der Volkskundlerin und des Kommunikationswissenschaftlers, die deutlich macht, wie unterschiedlich Kommunikation von Krimi-Fans ablaufen kann.

Hans ist überzeugter Tatort-Fan. „Schon immer gewesen“, betont er. Seitdem jeden Sonntag in seiner Lieblingskneipe der Beamer läuft, sitzt auch der Augsburger um Punkt 20.15 Uhr an der Bar. Hans ist 56, trägt Dreadlocks, die ihm bis zur Hüfte reichen, und Sandalen. Vor ihm dampft ein Teller Kässpatzen mit Röstzwiebeln. Nervennahrung für Kriminalisten. „Unser Tatort-Special“, erklärt Wirt Tobias Keilen. Die Kalorienbombe geht heute nur wenige Mal über die Theke. Draußen drückt die Hitze, der Biergarten hinten raus ist voll.

Drinnen sitzen die Hartgesottenen. „Wenn Münster ermittelt, brennt hier die Hütte“, sagt der Gastronom. Hans stochert in seinen Spätzle herum, während aus der Soundanlage die bekannte Titelmelodie dröhnt und auf der Leinwand der Vorspann erscheint. Heute ermitteln die Schweizer. Kiel wäre besser, flüstert er. Die Smartphones werden stumm geschaltet. Ab jetzt wird geschwiegen, nicht gequatscht.

Grießhammer und Hallermayer kennen das nicht anders. Eingefleischte „Tatort“-Fans würden einiges an Expertenwissen mitbringen. „Die kennen sich aus mit Ermittlungsmethoden und Kriminalistik“, sagt Grießhammer. Wird der Handlungsverlauf allerdings unlogisch, steige der Gesprächsbedarf und es werde lauter. „Da kommen dann schon mal Kommentare oder Mutmaßungen, allerdings auf einem sehr anspruchsvollem Niveau.“

Dass der „Tatort“ in der Kneipe geschaut wird, habe mehrere Gründe, erklärt sie. Zuerst der banalste von allen: ein fehlendes Fernsehgerät. Auch ein leerer Kühlschrank könne zum Anlass werden, das Haus zu verlassen und ins Lokal zu gehen. Zudem schätzten viele die Kinoatmosphäre.

Für Hans ist es das Gefühl, sich unter Gleichgesinnten zu befinden. Kommt der Abspann, leeren sich auch die Tische. Nur wenige Gäste bleiben. „So kommt man wenigstens am Sonntagabend noch mal raus“, sagt Studentin Sabine. Zusammen mit Freundin Jenny wird noch schnell ein Cocktail geordert. Der „Tatort“, der sei schon früher mit den Eltern geguckt worden, erzählt sie.

Die Kneipen-Kommentare vergleichen die Uni-Forscher mit denen in den sozialen Netzwerken, die es bei jeder Folge zu hunderten gibt. „Im Netz wird der „Tatort“ ganz anders konsumiert als in der Kneipe, sagt Hallermayer. Die Wissenschaftler haben auf der offiziellen ARD-Facebook-Seite den Verlauf während und nach einer Ausstrahlung analysiert und ausgewertet. „Hauptsächlich wird die Handlung oder die Leistung der Schauspieler kommentiert“, erklärt Grießhammer.

Die Äußerungen seien dabei oft pauschal und wertend, der Ton auch mal schnippisch. „Da wird weniger differenziert als im persönlichen Miteinander.“ Ein Gemeinschaftsgefühl wie im Lokal finde nicht statt. Während sich rund 85 Prozent der Beiträge um filmische Aspekte drehen, sucht man nach Beobachtung der Forscher im Internet die gesellschaftskritischen Anmerkungen meist vergebens. Dabei greift die Krimiserie regelmäßig aktuelle Themen auf.

Zurück in der Kneipe lässt Hans den Schweizer „Tatort“ Revue passieren. „War gut heute.“ Es gebe Folgen, die blieben hängen, sagt er. „Die regen zum Nachdenken an.“

Den typischen „Tatort“-Zuschauer haben die Forscher übrigens nicht gefunden. Auch per Analyse lasse sich weder etwas über die soziale Schicht noch über Alter, Geschlecht oder Bildungsniveau sagen, erklärt die Volkskundlerin. Allerdings würden sich die Befragten selbst eher als Bildungsbürgertum begreifen, sagt sie. „Konkrete Beweise für eine klare Aussage fehlen uns aber noch.“

Im Netz verlaufen sich die Beiträge irgendwann im Laufe des Montags. Alles wurde gesagt. Deutschland bereitet sich auf den nächsten Sonntag vor. „Der „Tatort“ ist das wohl letzte TV-Phänomen, was uns nach „Wetten, dass..?“ geblieben ist, sagt Hallermayer und lacht. Er und Lena Grießhammer werden wieder gucken. Im Namen der Forschung - mit Käsespätzle versteht sich.

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