Macht im Internet:Monopol der Fragen

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In der digitalen Wirtschaft sind Fragen ein Rohstoff, der mehr wert ist als Geld, Gold und Öl zusammen. Denn wer die Sehnsüchte der Menschen kennt, hat die Macht im Netz.

Andrian Kreye

Mit der Partnerschaft zwischen dem Softwarekonzern Microsoft und dem Suchmaschinenportal Yahoo geht einer dieser Kämpfe in die nächste Phase, die aus Wirtschaftsnachrichten Thriller machen. In diesem Fall ist wie zumeist zunächst einmal viel Geld im Spiel. Milliarden hatte Microsoft letztes Jahr für Yahoo geboten. Nun kommt es statt zur Übernahme zur Partnerschaft.

Google, Yahoo oder Microsoft - wer hat die Macht im Netz? (Foto: Foto: SZ)

Denn letztlich interessiert sich Microsoft weniger für die Firma Yahoo und ihren Umsatz. Eigentliches Ziel ist es, mit Microsofts neuer Suchmaschine Bing und dem digitalen Kundenstamm von Yahoo eine ernsthafte Konkurrenz für Google zu schaffen. Denn aus dem Alltag kennt man Google zwar als Suchmaschine im Internet. Doch diese Umschreibung greift zu kurz. Google ist ein Konzern, der Fragen monopolisiert. Und in der digitalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts sind Fragen ein Rohstoff, der mehr wert ist, als Geld, Gold und Öl zusammen.

Auf der täuschend schlichten Webseite von Google mit dem Suchfeld und den beiden Knöpfen sind den Fragen keine Grenzen gesetzt. Wo finde ich Musik, billige Ware, einen Job, neue Freunde? Wer war Albert Einstein? Was ist mein Geld noch wert? Wie komme ich am schnellsten ans Ziel? Und wie wieder weg?

Fragen lassen Antworten erahnen

Die Antworten spielen für Google keine Rolle. Der wahre Wert des Nutzers für den Suchmaschinenkonzern liegt in seinen Fragen - nichts verrät mehr über einen Menschen. In jeder Frage liegt ein Wunsch, und so ergibt die Summe der Fragen und Wünsche das Bild einer Person. Bündelt man nun die Fragen und Wünsche der Abermillionen Google-Nutzer, kann man daran vieles ablesen. Gesellschaftliche und politische Entwicklungen zum Beispiel, aber auch Moden, Trends, Krisenherde und immer wieder Marktchancen.

Die Marktforschung sucht schon lange nach einem Weg zu solch gläsernen Konsumenten und transparenten Gesellschaften. Längst gibt es auch raffinierte Methoden, um jeden Einzelnen zum Ziel punktgenauer Vermarktung zu machen. Bisher waren es allerdings Verhaltensmuster, die den Mensch entlarvten. Was Fragen jedoch offenbaren, sind nicht nur Gewohnheiten und Vorlieben. Es sind auch Sehnsüchte und Träume. Und so werden die Menschen verwundbarer sein als je zuvor.

Ganz neu ist diese Weisheit nicht. Der US-Regierung war es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beispielsweise wichtig, Zugriff auf Suchmaschinenprotokolle zu bekommen. Die Logik ist schlicht: Wer im Netz nach Chemikalienhändlern, Mietwagenagenturen und dem schnellsten Weg vom Flughafen zu neuralgischen Punkten der Infrastruktur sucht, plant unter Umständen einen Sprengstoffanschlag.

Suchmaschinen liefern keine klaren Antworten

Es ist auch nicht das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass ein Kampf um die Hoheit der Fragen tobt. Während der letzten beiden Jahrtausende waren es vor allem die Religionen, die den Anspruch auf die großen Fragen der Menschheit und die kleinen Fragen der Menschen erhoben. Nun hat Google keineswegs den Unfehlbarkeits- und Allmachtsanspruch einer Kirche. Im Gegensatz zu den Religionen liefern Suchmaschinen ja auch keine klaren Antworten auf eng geführte Fragen.

Überhaupt sollte man die transzendentalen Fähigkeiten der digitalen Welt nicht überschätzen. Im Raum stand diese Parallele ja schon früh in der kurzen Geschichte der digitalen Welt. Der kalifornische LSD-Papst der Hippiebewegung, Timothy Leary, sah Anfang der neunziger Jahre in der virtuellen Realität der neuen Medien eine transzendentale Größe, die einen Weltgeist und ein neues Bewusstsein schaffen könnte.

Eine so universale Dimension in die neuen Medien hineinzuinterpretieren, kann man getrost seinem übermäßigen Konsum psychedelischer Drogen zuschreiben. Im Kern aber erahnte Leary eine Dynamik, die nun der Motor einer wirtschaftlichen Entwicklung ist, welche die Menschheit durchaus grundlegend verändern könnte. Denn wer die Summe der Fragen kontrolliert, der kann den Entscheidungen zumindest eine Richtung geben.

Eines ist schon sicher: Die Fusionsversuche der digitalen Konzerne sind mit den Zusammenschlüssen der Mediengiganten in den achtziger und neunziger Jahren nicht zu vergleichen. Auch die hatten Auswirkungen, die über die Wirtschaftswelt hinausgingen. Die Konzentration wirtschaftlicher Macht in Kultur und Medien hat Kultur unwiederbringlich verändert. Längst kann man höchstens noch im westlichen Europa und an den amerikanischen Küsten zwischen Hoch- und Popkulturen unterscheiden.

Bei der Fusion der digitalen Konzerne geht es jedoch nicht um Kultur und Medien, sondern um Gesellschaft und den Alltag. Da muss man sich auch vom Begriff der "neuen Medien" verabschieden. Zum einen, weil die gar nicht mehr so neu sind. Das World Wide Web gibt es seit 15 Jahren. Es ist jedoch die neue Ausrichtung der digitalen Kultur, die eben nicht nur um Aufmerksamkeit buhlt wie die traditionellen Medien vom Buchdruck bis zum Fernsehen. Wer um die Fragen der Menschen kämpft, der will sie nicht nur unterhalten, bilden, informieren. Der will in jedem Bereich des Lebens eine Rolle spielen.

© SZ vom 30.7.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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