Forum:Wie kommen Frauen an mehr Gehalt?

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Julia Brandl ist Professorin für Personalpolitik an der Universität Innsbruck und erforscht den Umgang von Unternehmen mit steigenden Ansprüchen an Diversität und Transparenz in der Vergütung. (Foto: Patrick Saringer/oh)

Die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hilft Arbeitnehmerinnen - das reicht aber nicht.

Von Julia Brandl

"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gilt als wichtiger Grundsatz der Bezahlung. Und trotzdem hält sich hartnäckig eine Gehaltslücke zwischen Frauen und Männern. Wenn es nach dem Bundesarbeitsgericht geht, soll es für Betroffene nun leichter werden, Verbesserungen zu erreichen, wenn sie sich wegen ihres Geschlechts bei der Bezahlung benachteiligt sehen. Statt der Betroffenen müssen in Streitfällen künftig die Arbeitgeber nachweisen, dass eine schlechtere Bezahlung von Frauen in vergleichbaren Positionen sachliche Gründe hat. Kann der Arbeitgeber dies nicht, muss er die Regeln für die Vergütung laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz nachbessern.

Beschäftigten wird es für den Gang zum Arbeitsgericht in Zukunft ausreichen, dass die Gehaltsstatistik ihres Arbeitgebers zeigt, dass Männer mehr verdienen als Frauen in vergleichbaren Positionen. Ob dies der Fall ist, darüber müssen Arbeitgeber bereits jetzt Auskunft geben, wenn auch nur auf ausdrückliche Anfrage. Und diese Anfragen könnten jetzt endlich mehr werden. Damit könnte die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen mittelfristig abgebaut werden, so jedenfalls die Hoffnung.

Ein Blick auf die Interessen der Arbeitgeber ist hilfreich, um eine Vorstellung zu bekommen, wie realistisch es ist, Gehaltsunterschiede auf diesem Weg abzubauen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind Gehälter ein teils maßgeblicher Kostenfaktor. Eine Nachbesserung der Vergütung liefe auf langfristig höhere Gehälter hinaus. Außerdem lässt der Vorwurf einer Benachteiligung von Frauen bei der Vergütung den Arbeitgeber schlecht gegenüber Belegschaft und Öffentlichkeit aussehen. Arbeitgeber werden sich daher nach Kräften bemühen, ihre bisherige Vergütungspolitik zu rechtfertigen, sowohl um zusätzliche dauerhafte Kosten zu verhindern, als auch um ihr Ansehen als fairer Arbeitgeber zu verteidigen. Die Bedeutung dieser Interessen macht es schwerer, Streitfälle zu klären. Stattdessen dürfte mit Nebenwirkungen zu rechnen sein. Folgende Punkte sind hier wichtig:

Wer auf seinen Arbeitgeber angewiesen ist, wagt es eher nicht, Rechte gerichtlich geltend zu machen. Daran werden auch offenkundige Indizien für Benachteiligung beim Gehalt nichts ändern. Ermutigt sehen könnten sich diejenigen, die mobil sind, Angebote von anderen Arbeitgebern haben oder von Berufs wegen Diskriminierung bekämpfen. Es ist bezeichnend, dass bisherige Initiativen von Investigativ-Journalistinnen ausgegangen sind. Wer hingegen das Risiko scheut, für die Aussicht auf mehr Gerechtigkeit oder X Prozent mehr Gehalt bei nächster Gelegenheit den Job und damit das Einkommen zu verlieren, wird nicht ermutigt sein: Beschäftigte mit kleinen Einkommen, in Teilzeit und in befristeten Arbeitsverhältnissen. Gerade für diese Beschäftigten wäre es wichtig, dass die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen geschlossen wird.

Die Gerichte werden Kriterien entwickeln müssen, womit sich Arbeitgeber vom Vorwurf der geschlechtsspezifischen Diskriminierung entlasten können. Hier sind die Erfahrungen aus den USA interessant. In den USA gibt es seit den 1960er-Jahren Gleichbehandlungsgesetze. Verstöße werden mit für deutsche Verhältnisse sehr hohen Geldstrafen geahndet. Arbeitgeber waren daher von Anfang an sehr interessiert, wie sie ihre Entscheidungen bei Personalangelegenheiten gerichtsfest machen können. Die Gerichte akzeptierten bald die Existenz bürokratischer Verfahren für die Personalarbeit als Nachweis, dass Arbeitgeber Beschäftigte nicht wegen Geschlechts oder Hautfarbe benachteiligen. Daraufhin führten zahlreiche Betriebe Instrumente zur Formalisierung von Personalentscheidungen ein und ließen sich bescheinigen, dass sie diese Instrumente nutzen. Für Unternehmensberater wurde der Personalbereich ein lukratives Geschäftsfeld. Auch wenn die Nachfrage in Deutschland noch am Anfang ist, wächst das Angebot an Checks und Zertifikaten zur Gleichbehandlung in der Vergütung. Die Nachweispflicht wird dazu beitragen, dass der Markt für diese Leistungen in Zukunft an Fahrt aufnimmt.

Die Betriebsräte können Mitarbeitern helfen, die sich nicht trauen

Ob die Nutzung dieser Leistungen den Betrieben tatsächlich helfen wird, die Gleichbehandlung von Frauen und Männern bei Gehältern zu fördern, ist dagegen weniger klar. Erstens sind formale Verfahren nicht zwingend neutral, die Kriterien und Abläufe können Frauen weiterhin benachteiligen. So schneiden Frauen beispielsweise bei standardisierten Eignungstests schlechter ab und werden von Vorgesetzten für dasselbe Verhalten schlechter bewertet als ihre männlichen Kollegen. Es hängt von der Ausgestaltung ab. Zweitens ist es nahezu unmöglich, die Regeln in der Praxis strikt anzuwenden, da es bei Personalentscheidungen oft mehrere Anforderungen gibt, die zu berücksichtigen sind. Ausnahmen werden daher bleiben. Und schließlich werden Beschäftigte ihr Gehalt weniger hinterfragen, wenn der eigene Arbeitgeber ein Zertifikat für Gleichbehandlung erhalten hat - unabhängig davon, was eine solche Bescheinigung taugt.

Der Gesetzgeber überfordert Beschäftigte, wenn er ihnen die Möglichkeit gibt, individuell Auskunft über Gehälter einzuholen und ihre Rechte auf Gleichbehandlung in der Bezahlung gerichtlich geltend zu machen. Und er beschäftigt auch die bereits gut ausgelasteten Arbeitsgerichte mit zusätzlichen Herausforderungen. Eine Alternative ist, Gehälter der Beschäftigten ans schwarze Brett zu hängen, nach dem Vorbild von Alberta, Kanada. Für alle Professorinnen, Verwaltungsleute, Ärzte und andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die mehr als 100 000 kanadische Dollar im Jahr verdienen, können die individuellen Basisgehälter im Internet nachgelesen werden. Eine so weitreichende Maßnahme dürfte hierzulande am Datenschutz scheitern.

Und selbst wenn nicht, dürfte eine personenbezogene Offenlegung nur umsetzbar sein, wenn Betriebe mit Gehaltstransparenz umgehen können. Hierfür ist die Bereitschaft wichtig, Vergütung zum Thema und Entscheidungen nachvollziehbar zu machen. Was passiert, wenn dies nicht gelingt, darauf gab RTL vor ein paar Jahren in der Reality-Show "Was verdienst Du?" einen Vorgeschmack: geschockte Reaktionen, Neid, Mitleid und endlose Diskussionen. Eine weitere Option ist, den Betriebsräten bei diesem Thema mehr Verantwortung zu geben. Dies könnte Benachteiligten helfen, die sich selbst nicht trauen, Gleichbehandlung beim Gehalt einzufordern. Für den Arbeitgeber verbessert dies die Aussicht, dass die Vergütungspolitik schrittweise reformiert wird, abhängig von der finanziellen Situation des Betriebs. Das Geld für die Beratung wäre hier gut angelegt.

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