Matthias Müller kann sich eine Menge Partnerschaften vorstellen. Nur nicht mit den üblichen Verdächtigen. "Wir unterhalten uns nicht mit Apple und Google", sagt der VW-Chef. Die Digitalkonzerne Apple und Google sind die Tabu-Zonen der Autoindustrie: Seit Monaten rätseln die alten Autobauer, VW, Daimler, BMW, ob man nicht mit den Neuen zusammenarbeiten müsste. Wir haben die Autos, ihr die Computer und die Sensoren; alles, was man für die selbstfahrenden Autos der Zukunft braucht. "Vieles ist denkbar", sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. "Es kann zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit kommen." BMW-Chef Harald Krüger findet, dass beide Partner "von einer Kooperation profitieren" müssten, sonst funktioniere die Sache nicht. Die Frage ist: Wer profitiert, wer verliert, wenn die unterschiedlichen Welten aufeinandertreffen?
Eigentlich würden alle gerne mitspielen, wäre da nicht die Angst, bei der Umarmung mit den IT-Kolossen von der Westküste erdrückt und zu reinen Blechbiegern degradiert zu werden. Ein Auftragsfertiger von Apple werden wie der chinesische iPhone-Zusammenschrauber Foxconn? In der Bedeutungslosigkeit versinken, weil die IT-Konzerne gleich auch den Kontakt zum Kunden übernehmen? Sich mit den großen Datenkraken einlassen?
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Für Fiat Chrysler und Google ist es eine Premiere
Es geht um mehr als 100 Jahre Autogeschichte, und die gibt man nicht einfach auf. Außer, man heißt Fiat Chrysler, kurz "FCA". Der italo-amerikanische Autokonzern hat nun mit Google jenen Pakt geschlossen, den andere bislang abgelehnt hatten. Es ist ein kalkulierter Tabubruch: Google und FCA wollen gemeinsam an selbstfahrenden Autos arbeiten. Das ist eine Kooperation zweier sehr unterschiedlicher Industrie-Kulturen und ein spannendes Experiment, das man sich in Wolfsburg und München genau anschauen wird.
Für beide ist es eine Premiere. Für Google, weil der Konzern zum ersten Mal seine Software-Systeme und Sensoren in echte Autos packen kann. Und für Fiat Chrysler: Der fusionierte Autobauer war bislang nicht als technologische Avantgarde bekannt, im Gegenteil. Das mit sechs Milliarden Euro hochverschuldete Unternehmen gilt als technisch rückständig. Es fehlen die großen Investitionen, es fehlen seit Jahren wichtige neue Modelle.
Und anders als die Wettbewerber aus Deutschland, Frankreich und Asien ist FCA auf dem Gebiet des autonomen Fahrens noch ziemlich blank. Da passt es, wenn man zusammen mit Google in einer eigenen Fabrik im US-Bundesstaat Michigan zusammenarbeiten kann. Vorerst geht es nur um Tests; die Autos werden nicht verkauft. Aber was nicht ist, kann noch kommen. Man arbeite "erstmals mit einem Autohersteller zusammen", teilte die Google-Mutter Alphabet mit. Das klingt nach Durchbruch und Triumph: Google und FCA, es könnte der Beginn einer neuen, sehr intensiven Beziehung sein.
Es soll bescheiden anfangen: Mit 100 selbstfahrenden Autos, die Fiat Chrysler für die Tests in die Kooperation einbringt. Die Hybrid-Minivans des Modells Chrysler Pacifica sollen bis Ende des Jahres fertig sein. Es soll schnell gehen, denn Google arbeitet seit Jahren an selbstfahrenden Autos und will nun durchstarten: 2,4 Millionen Kilometer Tests am Stammsitz des Konzerns im kalifornischen Mountain View, in Austin, Texas, und in Arizona waren erst der Anfang. In Jahren, in denen die etablierten Autokonzerne noch an ihren Dieselmotoren feilten und ihre Lobbyisten in Brüssel aufmarschieren ließen, um über CO₂-Regulierungen zu streiten, verlegte Google schon mal die Zukunft in die Gegenwart und ließ kleine, selbstfahrende Elektroautos auf die Straße.
Das ist noch nicht lange her und die Branche lachte über die seltsamen Teletubbie-Fliewatüüts. Daimler-Chef Dieter Zetsche fand, die Dinger sähen aus wie eine "Mondlandefähre". Doch die Zeiten, in denen man eigene kleine Vehikel oder umgebaute Toyotas über Firmenparkplätze und Landstraßen manövrierte, sind vorbei. Nun wird es Ernst, mit Fiat.
Niemand braucht eine Kooperation so sehr wie Sergio Marchionne selbst
In Italien sehen viele ihren traditionsreichen Autobauer schon in neuen Sphären. Wer mit den Kaliforniern zusammenarbeite, könne nicht alles falsch gemacht haben. Dennoch drängt sich ein Verdacht auf: Dass Fiat das Rennen macht, liegt kaum daran, dass Fiat Chrysler die interessanteste Firma für Google ist. Es liegt daran, dass sonst niemand mitmachen wollte.
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Es heißt, die Italiener dürften die Technik nicht einmal exklusiv für sich beanspruchen. Was also treibt die 1899 gegründete "Fabbrica Italiana Automobili Torino" in einen solchen Deal? Es ist: ihr Chef. Sergio Marchionne, der 63-jährige Italo-Kanadier, der das Unternehmen seit zwölf Jahren führt, fädelte vor sieben Jahren die schrittweise Übernahme von Chrysler sein. Seitdem spricht er weniger über Autos als darüber, wie und wo und von wem Autos produziert werden. Marchionne hat eine Vision: Die Autowelt ist teuer, und wer all die hohen Entwicklungskosten finanzieren will, die in den nächsten Jahren auf die Branche zukommen, muss groß sein.
Seitdem antichambriert Marchionne, wo er nur kann: Zuerst wollte er Opel haben. Als er die Tochter nicht bekam, versuchte er, mit der Mutter General Motors anzubandeln. Als deren Chefin Mary Barra ihm einen Korb gab, zog der unermüdliche Marchionne weiter. Ford? Toyota? Volkswagen? Niemand biss an. Weil vielleicht niemand eine große Kooperation so sehr braucht wie Sergio Marchionne selbst. Jahrelange Brautschau, immer wieder Absagen. Das kann frustrieren. Nun hat er die Chance, die Google-Technik für selbstfahrende Autos zu testen. Das ist besser als nichts. Zumal es ihn nicht viel kostet.
So gesehen könnte Fiat, Traditions-Hersteller alter Italo-Ikonen wie dem Cinquecento, der erste Autobauer sein, der für Google das Blech biegt. Bisher waren Autobauer nur Autobauer und IT-Firmen reine Zulieferer. Gut möglich, dass sich die Rollen ändern, dass Fiat Chrysler irgendwann einmal zum Zulieferer wird, und zwar für Google.