Das eine, vereinte Europa gibt es nicht. Auch nicht im Widerstand gegen das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union. Das zeigt sich in den ersten Ergebnissen einer öffentlichen Konsultation zum ISDS, mit der die Europäische Kommission Meinungen ihrer Bürger zum sogenannten Investorenschutz einholen wollte - einem Thema, das in der Öffentlichkeit besonders umstritten ist. ISDS steht für Investor-State Dispute Settlement - internationale Streitschlichtungsverfahren zwischen Unternehmen und Staaten im Fall vermeintlicher Enteignungen durch eben jene Staaten.
Das Ergebnis zeigt, dass die Bürger nur in wenigen Ländern ernsthaftes Interesse am Thema haben: Mehr als drei Viertel der Stimmen kommen aus Großbritannien, Österreich und Deutschland. Es ist davon auszugehen, dass sich vor allem Bürger und Organisationen an der Konsultation beteiligt haben, die etwas am Investorenschutz auszusetzen haben.
Der Investorenschutz ist einer der großen Streitpunkte in den TTIP-Verhandlungen. Kritiker sagen: Die entsprechenden Klauseln in einem Freihandelsabkommen ermöglichten es Konzernen, sich Geld aus Staatskassen zu erklagen - und das vor intransparenten Schiedsgerichten, die keiner Landesverfassung verpflichtet seien. Staaten hätten schlechte Karten, sich in Berufungsverfahren zu wehren. Die Befürworter argumentieren: Ohne Rechtssicherheit vor nichtstaatlichen Gerichten würde niemand investieren - kein Unternehmen liefere sich gern Gerichten eines Landes aus, mit dem es ohnehin im Clinch liege.
Wegen der schärfer werdenden öffentlichen Debatte um den Investorenschutz hatte nun die EU-Kommission über ein Online-Formular gefragt, was Bürger von den umstrittenen Verfahren halten und was sie vorschlagen, um diese zu verbessern. Es zeigte sich: Außerhalb von Deutschland, Österreich und Großbritannien interessiert sich kaum jemand für das Thema - womöglich sind aber auch die TTIP-Gegner außerhalb dieser Länder schlecht organisiert.
149 399 Stimmen wurden in der Online-Umfrage abgegeben, mehr als ein Drittel von ihnen kam aus Großbritannien. Auf Österreich und Deutschland entfielen jeweils etwas mehr als zwanzig Prozent der Stimmen, mehr als 30 000 Beiträge pro Land. In beiden Ländern fahren Aktivisten besonders lautstarke Anti-ISDS-Kampagnen.
Hinter dieser "Spitzengruppe" sinkt die Zahl der Stimmen pro Land massiv: Aus Frankreich und Belgien kamen noch jeweils sechs Prozent, dann wird die Beteiligung verschwindend gering. In den 20 Staaten mit den wenigsten Stimmen beteiligten sich insgesamt nur wenig mehr als 2000 Menschen. Selbst aus großen Ländern wie Spanien oder Italien kamen jeweils weniger als zwei Prozent der Beiträge. In Zypern stimmten gerade einmal sechs Personen ab, in Estland fünf.
Mehr als 99 Prozent der Stimmen kamen von Einzelpersonen, der Rest von NGOs, Industrieverbänden oder Gewerkschaften. Die Befragung war wegen des großen Interesses verlängert worden und lief insgesamt vom 27. April bis 13 Juli. Dopplungen seien aus der Datensammlung allerdings noch nicht herausgefischt, schreibt die Kommission.
Die Kommission wollte unter anderem wissen, was die Bürger zu den Themen Enteignung, Ethik der Schiedsrichter, schikanösen Klagen und Berufungsmöglichkeiten für die unterlegene Partei wissen.
Nach Meinung der EU-Kommission geht ein großer Teil der Stimmen auf die Kampagnen von TTIP-Kritikern zurück. Frank Hoffmeister, Vizekabinettschef des Handelskommissars Karel De Gucht, sagte der SZ: "Die Konsultation war eine ziemlich mutige Entscheidung des Kommissars. Es kamen mehr als 100 000 Stimmen zusammen. Vieles ist natürlich copy-paste." Die Kommission hält den Gegnern vor, in einer "konzertierten Aktion" zahlreiche identische Beiträge abgegeben zu haben und mit dieser "Attacke" das IT-System lahmgelegt zu haben.
Vermutlich im Herbst will man in Brüssel eine detaillierte Auswertung der Einreichungen vorlegen. Dann wird sich entscheiden, in welcher Form ISDS Teil der Verhandlungen bleibt.