Jeroen Dijsselbloem:Verlegenheitskandidat für den Euro-Gruppen-Vorsitz

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Jeroen Dijsselbloem: Sozialdemokrat und gelernter Agrarökonom. (Foto: dpa)

Ein Neuling soll es richten, wenn es brennt im Euro-Land. Geschieht kein politisches Wunder, wird Jeroen Dijsselbloem neuer Vorsitzender der Euro-Gruppe. Für den 46 Jahre alten Niederländer wäre es ein steiler Aufstieg. Erst Anfang November wurde er selbst zum Finanzminister seines Landes ernannt.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Europas mächtige Finanzpolitiker, mehrheitlich konservativ, denken ernsthaft darüber nach, einen Sozialdemokraten und gelernten Agrarökonomen mit ausgewiesener Erfahrung in Landwirtschaft und Bildungspolitik in das höchste Amt zu hieven, das sie zu vergeben haben. Geschieht nicht noch ein politisches Wunder, dürften sie Jeroen René Victor Anton Dijsselbloem am 21. Januar 2013 zum Vorsitzender der Euro-Gruppe wählen.

An diesem Tag will Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker zurücktreten. Juncker führte das Gremium der Finanzminister seit dessen Gründung 2005, er gehört zu denjenigen, die den Euro aus der Taufe hoben.

Für den 46 Jahre alten Dijsselbloem wäre es ein steiler Aufstieg. Erst Anfang November wurde er selbst zum niederländischen Finanzminister ernannt. Nur drei Monate später hätte er das höchste Amt der Euro-Länder inne. Der Vorsitzende der Euro-Gruppe muss mit allen Finanzministern regelmäßig sprechen, persönlich verhandeln, Gesetze und Absichtserklärungen vorbereiten, Sitzungen leiten, moderieren. Kurz - er muss immer bereitstehen, um zu löschen, wenn es brennt im Euro-Land. Und das hat es in den vergangenen Monaten mehr als genug getan.

Der Neuling Dijsselbloems musste seit seiner Ernennung zum niederländischen Kassenhüter schon jede Woche ein bis zwei Tage und Nächte mit seinen europäischen Kollegen in Brüssel tagen, um Griechenland, Zypern und Spanien zu retten oder die europäische Bankenaufsicht zu verhandeln.

Weil es genauso weitergehen dürfte, ist es eher überraschend, dass auf den erfahrenen Juncker in Dijsselbloem ein Politiker folgen soll, auf dessen Agenda bisher weder Europa noch Finanzpolitik standen. Wer in Brüssel solche Fragen stellt, erntet Schweigen, Schulterzucken oder Floskeln. Gescheit, umgänglich und verträglich sei der Niederländer, sagt einer seiner Euro-Kollegen. Aber auch "recht bestimmt" in seinen Ansichten. Was immer das heißen mag.

Einige Finanzminister zählen den Sozialdemokraten zu den moderaten Austeritätspolitikern. Das würde erklären, warum Frankreichs Staatspräsident François Hollande dem Niederländer zustimmen könnte. Andere sagen, Dijsselbloem stehe für strikte Sparpolitik, sei also eher der Kandidat Deutschlands. Er selbst schweigt.

Unbestritten ist Dijsselbloem ein Kandidat aus Verlegenheit. Alle anderen Bewerber scheinen aus dem Rennen zu sein. Im Sommer scheiterte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Veto von Hollande. Europäischer Arithmetik folgend, kann deshalb auch der französische Ressortchef Pierre Moscovici nicht Chef der Euro-Gruppe werden. Außerdem scheiden alle Länder aus, die mit dem Kampf gegen die Krise beschäftigt sind.

Luxemburgs Ressortchef Luc Frieden winkte ab, die Finnin Jutta Urpilainen erwog keine Kandidatur. Einzig Dijsselbloem blieb auf der Liste. Wird er gewählt, werden ihn seine Lebenspartnerin und die beiden Kinder künftig weniger sehen.

© SZ vom 18.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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