Eine knappe Minute nur hielt sich Kristalina Georgiewa mit Floskeln und Höflichkeiten auf, dann ließ sich nicht länger verbergen, was ihr bei der Erwähnung ihrer Vorgängerin tatsächlich durch den Kopf ging: Die "wunderbare" Christine Lagarde, so Georgiewa am Dienstag bei ihrer ersten Rede als neue Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), sei ja einst Mitglied des französischen Nationalteams im Synchronschwimmen gewesen. Und das Wort "synchron" komme einem auch heute wieder in den Sinn, denn die Weltwirtschaft stecke "in einem synchronen Abschwung". Bereits für 2019 geht der Fonds nach Georgiewas Worten davon aus, dass das Wirtschaftswachstum beinahe weltweit niedriger ausfallen wird als noch im Vorjahr - mancherorts gar so niedrig wie noch nie in diesem Jahrzehnt.
Nicht immer sind neue IWF-Direktoren gleich in ihrer ersten Rede derart mit der Tür ins Haus gefallen, wie es die Bulgarin jetzt getan hat. Aber offensichtlich war sie der Ansicht, dass angesichts der weltweit wachsenden Rezessionsgefahr keine Zeit für Geschwurbel bleibt. Zwar wies sie wiederholt darauf hin, dass es die Staatengemeinschaft selbst in der Hand habe, sich dem Abschwung gemeinsam entgegenzustellen. Sie deutete aber auch an, was passieren wird, wenn die gemeinsame Anstrengung ausbleibt: eine lang anhaltende Stagnation, Währungskriege, ein weiterer Anstieg des Populismus - kurzum, ein riskanter, demokratiegefährdender Mix.
Interessant ist, dass Georgiewa bei ihrer Rede in der Washingtoner IWF-Zentrale keine taktischen Rücksichten nahm, sondern die Probleme offen ansprach. Zwar nannte sie niemanden direkt beim Namen - aber sie rügte deutlich die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump, Chinas lange Praxis der Industriespionage oder die Weigerung finanziell starker Staaten wie Deutschland, mehr als bislang zur Stützung der Weltkonjunktur beizutragen.
Für besonders kritisch hält die IWF-Chefin dabei den Zoll-Konflikt zwischen den USA und China, der weltweit bereits zu einer deutlichen Abschwächung der Industrieproduktion und der Investitionen geführt habe. "Es besteht die ernste Gefahr, dass sehr bald schon auch der Dienstleistungssektor und der Konsum in Mitleidenschaft gezogen werden", sagte Georgiewa. Allein 2020 könne der Handelsstreit die Welt rund 700 Milliarden Dollar an Wirtschaftsleistung kosten - das entspräche dem Bruttoinlandsprodukt der Schweiz.
Nimmt man das Brexit-Chaos und all die anderen politischen Spannungen auf der Welt noch hinzu, sieht das Konjunkturbild aus Sicht der IWF-Chefin noch düsterer aus. "Selbst wenn das Wachstum 2020 wieder leicht anziehen sollte, könnten die gegenwärtigen Zerwürfnisse zu Veränderungen führen, die eine ganze Generation lang zu spüren sein werden: zerstörte Lieferketten, isolierte Handelssektoren, eine 'digitale Berliner Mauer', die Länder dazu zwingt, zwischen unterschiedlichen Systemen zu wählen", so Georgiewa.
Ihr Pessimismus deckt sich mit dem vieler anderer Experten. Torsten Sløk etwa, Chefökonom der Deutschen Bank in New York, veröffentlichte allein in den vergangenen Tagen ein ganzes Bündel an Grafiken, die zeigen, dass der Boom in den USA vorbei ist. Die Stimmung in den Firmen sei schlecht, die Auftragseingänge aus dem Ausland regelrecht miserabel, so Sløk sinngemäß. "Es ist kein Ende des Abschwungs in Sicht, das Rezessionsrisiko ist real."
Das System verbessern - nicht aufgeben
Georgiewa plädierte dafür, das Handelsrecht zu modernisieren und stärker auf die sozialen Folgen von Globalisierung und Arbeitsteilung zu achten. "Der Schlüssel ist, das System zu verbessern - nicht, es aufzugeben", sagte sie. Hinzukommen müssten jedoch eine global abgestimmte Geld- und Finanzpolitik. Die IWF-Chefin mahnte, die Leitzinsen dort, wo es wirtschaftlich geboten sei, niedrig zu halten - warnte aber auch vor den Folgen. Nicht nur dass sich Fonds, Lebensversicherungen und andere Investoren wegen der niedrigen Zinsen zu immer riskanteren Anlagestrategien gezwungen sähen. Vielmehr bestehe bei einer längeren Rezession auch die Gefahr vieler Firmenpleiten, weil sich unzählige Unternehmen zu hoch verschuldet hätten.
Entscheidend für eine Konjunkturwende sind aus Sicht des IWF aber nicht die Notenbanken, sondern die Regierungen. "Für Länder mit Spielräumen im Etat ist jetzt die Zeit, ihre fiskalische Feuerkraft einzusetzen", sagte Georgiewa. Das gelte vor allem für "Staaten wie Deutschland, die Niederlande und Südkorea, wo höhere Ausgaben vor allem in die Infrastruktur sowie in Forschung und Entwicklung die Nachfrage steigern und das Wachstumspotenzial stärken würden". Die Forderung der IWF-Chefin dürfte insbesondere bei CDU und CSU auf Kritik stoßen, die selbst im Abschwung auf einem ausgeglichenen Bundeshaushalt bestehen. Georgiewas Aussagen decken sich allerdings mit der langjährigen Haltung des IWF und dem, was der ganz überwiegende Teil angelsächsischer Volkswirte empfiehlt. Auch in Deutschland, wo die Ökonomie lange Zeit ein Eigenleben führte, dürften jene Wissenschaftler mittlerweile deutlich in der Mehrheit sein, die vor einem blinden Festhalten an der sogenannten schwarzen Null warnen.
Mit Blick auf die Digitalisierung und die Umwelt forderte Georgiewa mehr Bildung, bessere Berufschancen für Frauen, weniger Bürokratie und Korruption sowie ein entschlossenes Vorgehen gegen den Klimawandel. "Wenn es darum geht, das Leben der Menschen zu verbessern, beginnt die harte Arbeit zu Hause", sagte sie. Als Bulgarin, die hinter dem Eisernen Vorhang groß geworden sei, habe sie erlebt, welch schlimme Folgen schlechte Politik habe, wie sich die Dinge durch einen Politikwechsel und Unterstützung aus dem Ausland aber auch verbessern könnten. Nicht jeder jedoch hat diese Zusammenhänge schon verstanden, wie die IWF-Chefin andeutete: "Die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit steigt", sagte sie. "Die Bereitschaft, sich dafür einzusetzen, aber sinkt."