Smartphone:Wie High-End-Handys das Filmemachen verändern könnten

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Bei den Pro-Modellen des neuen iPhone 12 kommen neben einem zusätzlichen Teleobjektiv auch leistungsfähigere Prozessoren zum Einsatz. (Foto: Apple Inc./dpa)

Moderne Telefone wie das neue iPhone sind vollgestopft mit Kameratechnik, für die man früher einen ganzen Lastwagen brauchte. In Corona-Zeiten könnte das die Branche tatsächlich verändern.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Der nächste große Filmemacher dürfte jetzt schon bald Filme mit einem dieser Geräte drehen", sagt Chivo über die nächste iPhone-Generation, und wenn der das sagt, dann sollte man zuhören. Chivo ist mexikanische Umgangssprache für cool oder toll, die englische Übersetzung lautet auch: goat, also Ziege - oder besser "Greatest of All Time". Chivo ist der Spitzname des legendären mexikanischen Kameramanns Emmanuel Lubezki, der als bislang Einziger drei Oscars in einer Sparte (2013-2015 für "Gravity", "Birdman" und "The Revenant") nacheinander gewonnen hat, und der sagt nun: "Als ich begonnen habe, Filme zu drehen, musste ich eine teure Kamera mieten und Filmrollen kaufen. Ich musste fürs Entwickeln zahlen und das Equipment für den Schnitt."

Lubezki hat für den iPhone-Hersteller Apple einen Kurzfilm produziert, der bei der Präsentation der Geräte in der vergangenen Woche gezeigt worden ist. Er betont freilich die Vorzüge des iPhone 12 Pro wie etwa die Kamera, die es Filmemachern ermöglicht, bis zu 60 Bilder pro Sekunde in 4K HDR Dolby Vision aufzunehmen. Die Botschaft ist nichts weniger als ein Versprechen, dass künftig nicht mehr nur jene Filme produzieren können, die sich das sündteure Equipment (und die Ausbildung, es zu benutzen) leisten können - sondern jeder, der ein solches Handy besitzt.

Die Dualkamera mit Weitwinkel- und 120-Grad-Ultraweitwinkelobjektiv sowie Zwölf-Megapixel-Sensoren ist jedoch nur ein Teil dessen, warum viele in der Unterhaltungsindustrie an eine Disruption der Branche glauben. Wer sich angesichts der Coronavirus-Pandemie in Hollywood umhörte, der erfuhr von zwei massiven Problemen. Erstens: Die Produktion von Filmen und Serien, wo derzeit nur eine gewisse Anzahl von Leuten sehr eingeschränkt arbeiten darf. Der Aufbau des Sets bei Dreharbeiten kam schon vor der Pandemie dem Start einer Rakete gleich, was an all den Dingen zu sehen war, um die sich ein Regisseur kümmern musste, bevor er die berühmten Worte "Und ... Action" rufen durfte. Nun ist es beinahe unmöglich.

Die Rechenpower des A14-Chips soll bei Nachtaufnahmen helfen, der Autofokusscanner auf Laserbasis (Lidar) die Konturen von Objekten erfassen und maschinelles Lernen die Ruckler beim Filmen verringern. "Man kann jetzt einfach rausgehen und einen Film drehen", sagt Lubezki. Er selbst hat seinen Apple-Kurzfilm in der Wüste erstellt: "An einem Ort wie diesem muss es schnell gehen, weil sich dauernd was verändert: Die Schatten werden länger, die Berge verändern ihre Farbe. Man will nicht über Technik nachdenken, wenn man das Leben einfangen will."

Apple verspricht also, was so ziemlich jeder Tech-Konzern erreichen will: Die Technik im Gerät soll so gut sein, dass sich die Kunden nicht mehr mit der Technik beschäftigen müssen. Gewinner sollen die Kreativen sein, die dann nicht mehr jahrelang an der Filmhochschule lernen müssen, wie sie einen Film drehen können, sondern quasi spielerisch schon als Teenager mit dem Handy in der Hand - wie ein Fußballspieler, der das Kicken nicht in der Jugendakademie der FC Bayern lernt, sondern auf dem Bolzplatz. Über schnelle Datenübermittlung sollen bei Dreharbeiten alle sofort auf ihren Geräten sehen können, was der Kameramann aufzeichnet - und live Anmerkungen machen. "Man kann drehen und drehen, bis einer dieser glücklichen Unfälle direkt vor einem passiert", sagt Lubezki.

Das führt zum zweiten Punkt, der das Filmemachen während der Pandemie erheblich erschwert hat: die Postproduktion. Wenn Leute nicht gemeinsam in einem Raum an einem Projekt basteln können, dann müssen sie sich einander die Zwischenergebnisse schicken - was bei Filmen und Serien unfassbare Datenmengen sind. Der Transport dauerte nicht nur lange, sondern war auch teuer. "Der Workflow dürfte sich dramatisch ändern, wenn 5G den Transport revolutioniert", sagt Michael Cioni von Frame, das für Produzenten in Hollywood die Arbeit in der Datenwolke Cloud ermöglicht: "Mit der Zeit wird 5G die Shuttles, die derzeit hin- und herfahren, überflüssig werden lassen, man wird auch räumlich voneinander getrennt effizient arbeiten können."

5G ist eines dieser Versprechen, das seit Jahren derart optimistisch abgegeben wird, dass es mittlerweile nach einem Hype klingt, der niemals wahr wird. Apple hat sich im Gegensatz zu vielen anderen Konzernen lange Zeit gelassen, den Mobilfunkstandard einzuführen, was nun als Indiz gewertet wird, dass es nun endlich so weit ist. Das erfreut all jene, die auf schnellen und vor allem kostengünstigen Transport riesiger Datenmengen angewiesen sind - also so ziemlich alle, die in der Unterhaltungsbranche arbeiten.

Das iPhone gilt Aufgrund seiner Attraktivität für den Massenmarkt als Indikator dafür, wohin sich eine Branche entwickeln wird, und wer mal ein paar Skateboarder - auch die sind in den Filmen der Apple-Werbeabteilung zu sehen - dabei beobachtet hat, wie sie sich gegenseitig bei ihren Tricks filmen und wie schnell danach auf sozialen Medien ein interessanter Film zu sehen ist, der weiß: Die Unterhaltungsindustrie verändert sich gerade gewaltig, weil Technik es kreativen Leuten ermöglicht, sich weniger auf Technik zu konzentrieren, sondern beim Drehen nur noch zu rufen: "Und ... Action!"

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