Internationale Raumstation ISS:Der effizienteste Supercomputer arbeitet im Weltall

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Die Internationale Raumstation (ISS) mit dem angedockten europäischen Wissenschaftslabor Columbus (Mitte unten links) in der Erdumlaufbahn. (Foto: dpa)
  • Die Strahlung im Weltall schadet Computern, die meisten Laptops auf der ISS überleben nur kurz.
  • Seit einem Dreivierteljahr befindet sich ein Supercomputer an Bord der Raumstation.
  • Mit dem Experiment wollen Wissenschaftler herausfinden, ob Computer weniger empfindlich reagieren, wenn diese bei Sonnenstürmen gedrosselt werden.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Mark Fernandez sieht einen an mit diesem Blick, den nur Lausbuben und Wissenschaftler so bezaubernd hinbekommen. Er weiß natürlich, dass niemand die Antwort auf die Frage kennt, die er gerade gestellt hat, also steht er mit freudigem Gnihihihi-Blick in dieser Nachbildung der International Space Station ( ISS) und kann es gar nicht erwarten, einem endlich die Antwort zu verraten - und damit auch, was die mit seiner Arbeit zu tun hat.

Die Frage lautet: "Was war die Reaktion auf den berühmten Funkruf 'Houston, wir haben ein Problem' der Apollo-13-Besatzung?" Fernandez macht es spannend, dann präsentiert er die Antwort von Nasa-Mitarbeiter Jack Lousma: "Hier ist Houston. Sagen Sie das noch einmal, bitte!"

Fernandez ist bei Hewlett Packard Enterprise verantwortlich für den Computer, der seit einem Dreivierteljahr auf der ISS installiert ist und dort auf Transistoren und Prozessoren geprüft wird, für ihn ist diese Antwort an die Apollo-13-Astronauten von höchster Bedeutung: "Es könnte bei einem Flug zum Mars bis zu 48 Minuten dauern, bis die Besatzung eine Antwort von der Erde erhalten wird", sagt Fernandez: "Und nun stellen Sie sich mal vor, diese Antwort würde lauten: 'Hier ist Houston. Sagen Sie das noch einmal, bitte!' Bei einem Staubsturm, einer Sonneneruption brauchen die Astronauten möglichst schnell eine Lösung. Diese Lösung darf nicht von der Erde kommen, sie muss im Raumschiff dabei sein."

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Spaceborne Computer heißt der Rechner, der diese Lösungen liefern soll: Er ist ein sogenannter Supercomputer, er schafft eine Billion Berechnungen pro Sekunde, dennoch gilt er als "commercial off-the-shelf", also quasi von der Stange ohne aufwendige, kostspielige und zeitraubende Hardware-Modifikationen für die Reise ins Weltall. "Normalerweise braucht es Jahre der Entwicklung, um den Anforderungen der Weltraumbehörde Nasa für die harschen Bedingungen gerecht zu werden. Der modernste Prozessor an Bord der ISS ist zum Beispiel ein 386", sagt Fernandez. Der wurde bereits Mitte der 1980er-Jahre vorgestellt. "Auf einem Flug zum Mars sollte jedoch möglichst die modernste Technologie an Bord sein. Wir haben deshalb nicht das Rad neu erfunden, sondern schicken das modernste Rad ins All."

Dieses Rad ist ungefähr 30 Mal so schnell wie ein handelsüblicher neuer Laptop - und schon die sind um Kategorien schneller als die Bordrechner. Das Problem ist nur: Es gibt ungefähr 100 Laptops an Bord der ISS, aber fast alle sind kaputt - wegen der Strahlung. Der Spaceborne Computer soll es besser machen. Im August vergangenen Jahres ist er mit dem Raumschiff Dragon C113 von Hersteller Space-X zur ISS gebracht und an Bord gezogen worden, seit 284 Tagen ist er angeschlossen und führt seitdem Berechnungen aus.

"Er wird von den Solarzellen an der ISS mit Strom versorgt und von der Kälte des Weltalls gekühlt", sagt Fernandez mit einer Begeisterung, die nur Lausbuben und Wissenschaftler hinkriegen. "Es gibt Gratis-Kühlung und Gratis-Elektrizität und deshalb eine Billion Gratis-Berechnungen pro Sekunde. Es ist der effizienteste Supercomputer der Welt." Wie fast alle läuft auch dieser mit dem freien Betriebssystem Linux.

Die ersten Ergebnisse stimmen zuversichtlich

Die Wissenschaftler wollen bei diesem Experiment herausfinden, ob es möglich ist, das Problem der Strahlung dadurch wenigstens abzumildern, dass man den Rechner bei einem Sonnensturm langsamer laufen lässt. Wenn das funktionierte, könnte man sich für künftige Missionen den aufwendigen Schutz für die Computer sparen. Um einen Vergleich zu haben, läuft auf der Erde eine Maschine desselben Typs.

Es gibt einen Monitor, auf dem die Live-Berechnungszeiten des Computers auf der Raumstation mit denen seiner Zwillingsmaschine auf der Erde verglichen werden, und während des Besuchs in der ISS-Nachbildung sind die Zahlen erstaunlich ähnlich: 11,60 Minuten zu 11,60 Minuten. 13,82 zu 13,83. 10,80 zu 10,79. "Das Gerät hat den Transport zur Raumstation und die Installation ohne Schaden überstanden, bislang gibt es auch keine Verlangsamung, die viele erwartet hatten", sagt Fernandez.

Das bedeutet freilich nicht, dass es bislang keine Zwischenfälle gegeben hätte. Das System wurde bislang ein Mal bei einem Tausch des Equipments für andere Experimente geplant heruntergefahren und neu gestartet, zwei Mal fiel der Strom ohne Warnung aus. "Zunächst hatte es einen Feueralarm gegeben", sagt Fernandez: "Beim zweiten Mal hat ein Astronaut mit dem Knie einen Notfallschalter berührt."

"Ich wünsche mir, dass der Computer an seine Grenzen getrieben wird"

Fernandez freut sich über diese Zwischenfälle: "Es ist mir völlig egal, warum es ein Problem gibt oder was das Problem verursacht hat - ich wünsche mir sogar, dass der Computer an seine Grenzen getrieben wird." Es habe zum Beispiel auch Probleme mit Festplatten gegeben, die ausgefallen seien: "Sie funktionieren - oder sie funktionieren nicht. Wir haben allerdings 20 davon im Computer, also kann das System ein fehlerhaftes Laufwerk isolieren und dennoch weiterarbeiten."

Darauf wurde Fernandez zufolge bei dieser Maschine besonders geachtet: Bei einem Problem soll das System nicht einen Administrator auf der Erde um Hilfe bitten müssen - was während einer Reise zum Mars wie bereits erwähnt möglicherweise viel zu lange dauern würde -, sondern erst einmal selbst nach einer Lösung suchen. "Danach kann es eine Nachricht zur Erde schicken: 'Das ist passiert. So bin ich mit diesem Problem umgegangen. Solltet Ihr weitere Informationen benötigen, dann findet Ihr das in diesem Datenpaket.' Wir wollen, dass der Computer möglichst schnell seine Arbeit fortsetzt", sagt Fernandez: "Das ist eine völlig neue Herangehensweise an Fehlersuche und -meldung, und wir haben bislang gezeigt, dass es funktioniert."

Bis September wird der Spaceborne Computer auf der ISS getestet, nach 375 Tagen im Weltall soll er zurück zur Erde gebracht werden. "Wir werden mein Baby untersuchen und analysieren, was ein Jahr im Weltall mit ihm angestellt hat. Niemand hat daran geglaubt, dass es funktionieren würde. Es hat jedoch geklappt, und nun wollen andere bei der nächsten Mission dabei sein. Das ist aufregend", sagt Fernandez - und blickt dabei wieder so, wie es nur Lausbuben und Wissenschaftler hinbekommen.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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