Eine Reise in die Heimat kostet einen der mächtigsten Politiker Europas seinen Posten: EU-Handelskommissar Phil Hogan ist am Mittwochabend zurückgetreten. Schuld daran sind 23 Tage, die Hogan im Juli und August in Irland verbrachte. Dort soll der 60-Jährige gegen Corona-Regeln verstoßen haben - und verspielte damit das Vertrauen der irischen Regierung und der Führung seiner Partei Fine Gael, einer christdemokratischen Gruppierung. Premierminister Micheál Martin und Parteichef Leo Varadkar warfen Hogan vor, sich zu spät und halbherzig entschuldigt zu haben und uneinsichtig zu sein.
Über die Zukunft Hogans, der seit 2014 Agrarkommissar war und im Dezember auf das einflussreiche Handelsportfolio wechselte, durfte aber nicht Dublin entscheiden, sondern Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Big Phil", wie Hogan wegen seiner Körpergröße genannt wird, nahm ihr diese Entscheidung jetzt ab. Seine Rücktrittserklärung ist ungewöhnlich lang. In zehn Absätzen entschuldigt sich Hogan bei den Iren, preist die EU, dankt von der Leyen und verkündet pathetisch: "Es war die größte Ehre meines Lebens, als EU-Kommissar zu dienen."
Exklusiv Treffen der EU-Außenminister:Pandemie-Regeln gelten auch für Diplomaten
Wenn sich die EU-Außenminister in Berlin treffen, heißt das für alle, die aus einem Risikogebiet kommen: Ohne Bescheinigung über einen aktuellen, negativen Corona-Test keine Einreise. Das sorgt für Ärger.
Noch am Mittwochmittag hatte eine Sprecherin der Behörde gesagt, von der Leyen prüfe weiter, ob Hogans Verhalten Konsequenzen haben müsse. Der Ire hatte der Deutschen etwa 20 Seiten Dokumente mit Angaben zu seiner Reise überreicht. Am Dienstagabend verteidigte er sich zudem in einem Interview mit dem irischen Fernsehsender RTÉ. Das war jedoch kein Befreiungsschlag. Stattdessen teilte die Regierung danach mit, dass Hogan - anders als er im Gespräch beteuert hatte - sehr wohl gegen Regeln verstoßen habe.
"Ich war für niemanden ein Risiko"
Der Ire musste sich dreier Vorwürfe erwehren. Erstens besuchte er ein Golfturnier samt Abendessen, dessen Teilnehmerzahl Corona-Obergrenzen überschritt. Ein weiterer Gast, der irische Landwirtschaftsminister, trat zurück, kurz nachdem dies publik geworden war. Hogan entschuldigte sich und argumentierte, ihm sei vorher versichert worden, alle Regeln würden eingehalten.
Zweitens reiste er zweimal in einen Landkreis, den Iren wegen hoher Corona-Zahlen nur in Ausnahmefällen ansteuern sollen. Hier erwischte ihn auch noch ein Polizist, als er mit dem Handy am Ohr Auto fuhr. Hogan sagte, seine Besuche seien gerechtfertigte Ausnahmen gewesen.
Drittens hätte er sich nach der Einreise aus Belgien 14 Tage in Quarantäne begeben müssen, doch er brach diese ab, nachdem ein Corona-Test negativ ausgefallen war. "Ich war für niemanden ein Risiko", sagte er im Fernseh-Interview. Die Regierung stellte freilich prompt klar, dass ein Test nichts an der Quarantänepflicht ändere.
Hogan wurde in Dublin parteiübergreifend angefeindet
Von der Leyen stand vor einer heiklen Entscheidung; Hogan hat ihr diese nun erspart. Denn dass eine Regierung einen Kommissar massiv kritisiert, den sie einst nach Brüssel geschickt hat, wäre alleine kein Grund für einen Rauswurf gewesen. Die Kommissare sollen Europas Interessen vertreten und nicht ihr Heimatland. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass ständig Kommissare kommen und gehen, wenn die Regierung in ihrer Heimat wechselt. Auf der anderen Seite wird aber erwartet, dass Kommissare Befindlichkeiten ihres Landes in den Brüsseler Betrieb einspeisen und zugleich in der Heimat für die EU werben. Hogan konnte diese Rolle kaum mehr ausfüllen, da er in Dublin parteiübergreifend angefeindet wurde.
Als möglicher Nachfolger wird David O'Sullivan genannt, ein irischer Diplomat, der EU-Botschafter in Washington war. Von der Leyen könnte einen Wechsel auch nutzen, um die Aufgabenverteilung der Kommissare zu ändern. Dublin kann sich also nicht sicher sein, das wichtige Handelsressort zu behalten.