"Stück Scheiße", "Drecks Fotze", "Sondermüll". Wenn es nach dem Berliner Landgericht geht, sind solche Facebook-Kommentare nicht verboten, sondern "haarscharf an der Grenze des noch hinnehmbaren". So steht es in einem aktuellen Gerichtsbeschluss nach einem Verfahren, in dem Renate Künast gegen Facebook geklagt hatte. Der Grünen-Politikerin wurde in einem Facebook-Post einer rechten Seite ein verfälschtes Zitat angedichtet, unter dem sie dann massiv beschimpft wurde. Der Fall zeigt, dass es noch immer vorkommt, dass deutsche Gerichte auch brutal und aggressiv klingende Äußerungen im Netz nicht ahnden. Zugleich unternimmt die deutsche Justiz allerdings in den letzten Monaten immer mehr, um es nicht mehr weitgehend den Social-Media-Konzernen zu überlassen, zu entscheiden, was online gepostet werden darf und was nicht.
In Hessen tut sich besonders viel. Dort wird bald die bisher größte Spezialstaatsanwaltschaft gegen strafbare Online-Hetze in sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube oder Twitter ihre Arbeit aufnehmen. Die Ermittler des neuen Spezialdezernats sollen Beiträge mit strafbaren Inhalten wie Beleidigung, Volksverhetzung, verfassungsfeindlichen Symbolen oder Holocaustleugnung verfolgen. Vor allem sollen strafbare Beiträge nicht nur gelöscht werden, wie es bisher das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verlangt - es sollen auch die Täter hinter den Posts vor Gericht gebracht werden. Nach dem Mord an Walter Lübcke war diskutiert worden, wie vulgäre Posts im Netz die Stimmung gegen den CDU-Politiker angefacht hatten. Auch nach dem Mord wurde Lübcke online als "Ratte" und "Dreckssau" beschimpft.
Die neuen Staatsanwälte werden Teil der hessischen Cybercrime-Ermittlereinheit ZIT. Die ermittelt seit fast zehn Jahren in Fällen schwerer Internetkriminalität wie organisiertem Drogenhandel im Darknet oder Kinderpornographie. Die Beamten zählen zu den besten Cybercrime-Ermittlern Deutschlands. Schon häufiger konnten sie Täter ermitteln, die eigentlich durch besondere Anonymisierungssoftware ihre Spuren verwischt hatten. Erst in diesem Jahr gelang es ihnen, die Betreiber der größten aus Deutschland betriebenen Darknet-Plattform für Aufnahmen von sexualisierter Gewalt an Kindern ins Gefängnis zu bringen.
Bereits heute arbeiten rund ein Dutzend Staatsanwälte an der ZIT. Aus Justizkreisen heißt es, dass man für das neue Dezernat gegen strafbare Hetze mit einer erheblichen Aufstockung rechnet. Die soll im Haushalt für 2020 festgeschrieben werden. Erst kürzlich ist die ZIT aus Gießen in größere Räume im Zentrum Frankfurts umgezogen. Die neue Ermittlereinheit ist Teil eines umfassenderen Pakets, das der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir unter dem Schlagwort "Hessen gegen Hetze" am Donnerstag in Wiesbaden vorgestellt haben.
Opferorganisationen sorgen dafür das besonders viele Posts ermittelt werden
Das besondere an der neuen Initiative: Erstmals arbeiten Online-Ermittler für ihre Strafverfolgung direkt mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Opfer von Hetze unterstützen. Die Organisationen können in einem speziellen Meldeverfahren Beiträge, die sie für strafbar halten, direkt an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Das Verfahren dürfte dafür sorgen, dass besonders viele Posts bei der Staatsanwaltschaft landen. In Deutschland gibt es mehrere Organisationen, die zum Teil jahrelange Erfahrung in der Beobachtung strafbarer Hass-Beiträge in sozialen Netzwerken haben. Solche Organisationen wollen die Ermittler für eine Zusammenarbeit gewinnen, und ihnen einen privilegierten Kanal zur Verfügung stellen. Auch Medienunternehmen sollen Posts bei der Staatsanwaltschaft anzeigen können. Die Ermittler werden nicht nur Posts von Nutzern aus Hessen ermitteln, sondern alle ihnen gemeldeten Inhalte auf strafrechtliche Relevanz prüfen. Wenn Verdächtige in anderen Bundesländern identifiziert wurden, wird das Verfahren entsprechend weitergeleitet.
Vor allem sollen durch die neuartige Kooperation mit den Organisationen Posts schneller zur Anzeige kommen. Das könnte es den Ermittlern einfacher machen, die Täter hinter den Posts zu finden. Wenn sie nämlich wenige Tage nach der Veröffentlichung bei den Betreibern der sozialen Netzwerke die IP-Adresse der Nutzer abfragen, können sie in einem nächsten Schritt über die Internetanbieter wie Vodafone, Telekom oder o2 die tatsächliche Adresse und den bürgerlichen Namen erhalten. Normalerweise halten Provider in Deutschland diese Informationen nur wenige Tage vor und löschen die Daten anschließend.
Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann betonte, dass es auch bei der neuen Initiative stets wichtig sei, die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und strafbaren Inhalten genau zu ermitteln. "Ich bin froh, dass wir in Zusammenarbeit mit der ZIT, aber auch mit vielen anderen Akteuren nun dabei sind, ein System zu entwickeln, dass solche abstoßenden Kommentare einer schnellen rechtlichen Prüfung unterzieht."
Gefährderansprachen gegen Facebook-Hetzer
Im Notfall sollen die Ermittler des Spezialdezernats auch rund um die Uhr, sieben Tage die Woche gegen strafbare Online-Hetzer vorgehen. So sollen die extremen Auswüchse von Shitstorms besser eingedämmt werden, die sich oft spontan ereignen und schnell in einer Masse strafbarer Posts eskalieren können.
In Justizkreisen denkt man auch über Gefährderansprachen gegen Nutzer nach, wenn dies dem Spezialdezernat immer wieder mit fragwürdigen Posts auffallen. Bei solchen Ansprachen würde die Polizei bei den Nutzern zuhause klingeln und sie darüber aufklären, das sie im Visier der Justiz sind. Das Mittel soll, so die Hoffnung der Ermittler, gerade gegen Hetzer effizient sein, die ihre Posts bewusst so formulieren, dass sie sich knapp unter der Grenze des Strafbaren bewegen. Dieses Phänomen beobachten Hate-Speech-Experten in den letzten Monaten vermehrt bei "unverbesserlichen" Hetzern als Reaktion auf stärkeren Ermittlungsdruck.
Als weiterer Teil der heute in Wiesbaden angekündigten großen Initiative gegen Online-Hetze wird Hessen im Bundesrat eine Gesetzesverschärfung vorschlagen: Beleidigung soll zum Offizialdelikt werden. Als solcher könnte sie stets von Behörden verfolgt werden - auch wenn ein Opfer selbst die Beleidigung nicht angezeigt hat.