Muskatnüsse, Chilischoten, Lorbeerblätter, Zitronengras: Hunderte Dosen und Päckchen reihen sich nebeneinander. Meter um Meter. Regal um Regal. Wer nach so etwas Schlichtem wie Salz sucht, braucht Geduld. Denn hier ist alles in solchen Mengen vorhanden, dass leicht der Überblick verloren geht. Die Gewürzecke im Edeka-Center St. Pauli ist größer als mancher Sexshop auf der Reeperbahn, und auch sie will verführen.
Erst kürzlich hat Edeka den Konsumtempel in der einstigen Rindermarkthalle in Hamburgs Stadtteil St. Pauli eröffnet. Wo früher Kühe trampelten, ist ein Supermarkt von einer Dimension entstanden, wie sie viele bloß aus den USA kennen dürften. Doch was die Besserverdiener des angesagten Viertels locken soll, erzählt gleichermaßen viel über das Innenleben von Edeka.
Denn die einst feine, kleine Genossenschaft, gegründet 1907, ist längst zur Händlergruppe der Superlative aufgestiegen. Zu einer Super-Genossenschaft, die Außenstehende wegen ihrer Struktur kaum mehr durchblicken können. So groß, so schillernd und so undurchsichtig wie der Giga-Shop in der Rindermarkthalle.
Edeka wird immer mächtiger
Dabei wäre gerade jetzt Transparenz sehr wichtig, weil Edeka immer mächtiger wird. Bis Mitte 2015 will der Verbund die Supermärkte des Erzrivalen Tengelmann übernehmen. Dazu gehört neben Tengelmann und Kaiser's auch der Lieferservice Bringmeister. Mit dem Verkauf der Geschäfte trennt sich die Familienfirma Tengelmann, geführt von Karl-Erivan Haub, nicht nur von einem Umsatz von 1,8 Milliarden Euro und knapp 16 000 Beschäftigten.
Die Übergabe der 451 Filialen ist auch ein Kniefall vor der Konkurrenz. Und der Sieg der Genossen über die Kapitalisten.
Für Edeka ist es die Chance, nun Berlin und München zu erobern und in Nordrhein-Westfallen besser Tritt zu fassen. Einst war Tengelmann der größte Lebenseinzelhändler des Landes, doch das ist lange her. Hinter der Eignerfamilie liegen verlustreiche Jahre, sie haben den Stolz auf ihre Märkte teuer bezahlt.
Heute ist Edeka ganz oben. Mit einem Umsatz von 46,2 Milliarden Euro dominiert die Gruppe den Lebensmittelhandel. Weit vor Aldi, Rewe und der Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland). Zusammen verfügen die großen Vier dem Kartellamt zufolge über 85 Prozent Marktanteil - und liefern sich bittere Preiskämpfe. Trotzdem spielt Edeka fast schon in einer eigenen Liga: Mit gut 327 900 Mitarbeitern gehört Edeka zu den größten Arbeitgebern der Republik.
All das sehen viele mit Skepsis. Kleine Hersteller bangen darum, ob und zu welchen Preisen ihre Produkte gelistet werden. Die Gewerkschaft Verdi sorgt sich um die Belegschaft. Edeka schaffe es vielfach, Mitbestimmung gezielt draußen zu halten, so Verdi. Dort hätten "Tausende Beschäftigte weder den Schutz von existenzsichernden Tariflöhnen noch einen Betriebsrat", kritisiert Stefanie Nutzenberger aus dem Verdi-Bundesvorstand.
Verwirrendes Märkte-Sammelsurium
Wer die Vorwürfe verstehen will, muss sich mit dem Aufbau von Edeka beschäftigen. Und der ist verwirrend. Denn es gibt ihn nicht, den Edeka-Laden. Neben dem Konsumtempel in St. Pauli finden sich in Hamburg auch Edeka-Shops, die dem Feinkosthaus Dallmayr in München ähneln. Andere sind so klein und schlecht sortiert, dass einem schon der Einkauf den Appetit verdirbt. Auf dem Land dagegen gibt es noch Kaufmannsläden alten Schlags, die als Kontaktbörse dienen.
So sind die gut 11 600 Edeka-Märkte ein wildes Sammelsurium. 80 Prozent werden von mehr als 4000 selbständigen Kaufleuten auf eigene Rechnung geführt. Das ist daran zu erkennen, dass neben dem gelb-blauen Edeka-Logo der Name des Eigners prangt. Die Genossen entscheiden in ihren Läden über Sortiment und Löhne - und sie sind mehr oder minder aufgeschlossen für Betriebsräte. Beliefert werden sie von einem der sieben Großhandelsbetriebe in Deutschland.
Diese Großhandelsbetriebe ähnelten Fürstentümern, heißt es. Ihre Chefs haben starke Mitspracherechte und genießen in der Region große Freiheiten. So gibt es viele Fürsten, viele Gremien und viele Aufsichtsräte. Die Entscheidungswege sind lang, wer letztlich das Sagen trifft, ist kaum nachvollziehbar.
Gut 20 Prozent der Läden werden zudem direkt von den regionalen Großhandelsbetrieben geführt. Für diese Betriebe gilt der im Einzelhandel übliche Tariflohn. Wie gut eine Kassiererin oder ein Einräumer bezahlt wird, unterscheidet sich oft schon innerhalb weniger Straßenzüge. Das hängt davon ab, ob ein Genosse oder ein Großhandelsbetrieb den Laden führt.
Doch das Ganze ist noch verschachtelter. Den Genossen gehört die Zentrale in Hamburg. Der Zentrale wiederum gehören 50 Prozent an den Großhandelsbetrieben. Klare Verhältnisse sehen anders aus, doch fest steht: Der Edeka-Vorstandsvorsitzende Markus Mosa ist als Chef der Zentrale einer der mächtigen Männer im Verbund. An ihn berichten neben den Einkäufern auch die Juristen, er lässt die Eigenmarken entwickeln. Mosa verantwortet auch Werbekampagnen wie den schrägen Internet-Clip des Berliner Künstlers Friedrich Liechtenstein. Doch die Aktivitäten reichen noch weiter: Edeka betreibt 15 Fleischwerke, ein Fruchtkontor, einen Saftproduzenten und 17 Großbäckereien.
Die Gewerkschaft fürchtet Lohndumping
Und der Händler wächst und wächst: 2005 kaufte Edeka den alteingesessenen Hamburger Kaufmann Spar. Vor einigen Jahren übernahm Edeka dann die Tengelmann-Tochter Plus und flaggte die Läden auf die eigene Discount-Tochter Netto um. Denn auch die mächtige Billigkette (Umsatz: 11,5 Milliarden Euro) gehört zur Gruppe - und damit den Genossen.
Jetzt will Edeka-Chef Mosa die Tengelmann/Kaiser's-Märkte zuerst an die Großhandelsbetriebe geben und dann an einzelne Genossen weiterreichen. "Dadurch ermöglichen wir vielen, vor allem jungen Menschen die Chance auf Selbständigkeit unter dem genossenschaftlichen Dach."
Was richtig flott klingt, löst bei Verdi Alarm aus. Die Gewerkschaft fürchtet Lohndumping. Die "Chance auf Selbständigkeit", so Verdi-Frau Nutzenberger, bedeute "in Wahrheit ein Risiko für die Beschäftigten durch Niedriglöhne". Grund: Sobald die Betriebe an die Genossen übergehen, wird oft nicht mehr nach Tarif bezahlt.
Doch bis es soweit kommt, muss noch das Bundeskartellamt zustimmen. Bis dahin könnten Monate vergehen - und das Plazet gilt keinesfalls als sicher. Kartellamts-Präsident Andreas Mundt jedenfalls ist schon jetzt unzufrieden mit der hohen Konzentration in der Lebensmittelbranche. Er will den Deal intensiv prüfen.