Steuerskandal:Der Wankelmut des Fiskus

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Warum die plötzliche Kehrtwende des Hamburger Finanzamts im Umgang mit der Privatbank Warburg so viele Fragen aufwirft.

Von Klaus Ott, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, München/Frankfurt

Das Gespräch, das am 17. November 2016 in der Hamburger Finanzbehörde wegen Steuerbescheiden der Privatbank M. M. Warburg stattfand, hatte weitreichende Folgen. Ohne diesen Termin gäbe es heute wahrscheinlich keinen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft. Und keine Fragen zur Rolle von Olaf Scholz, damals Erster Bürgermeister, heute Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD. Die vier Damen und vier Herren des Fiskus, die damals im Herbst zusammen saßen, waren sich nach eingehender Diskussion einig: Man werde nicht gegen Warburg vorgehen. Eine Änderung früherer Steuerbescheide solle unterbleiben. Der Verdacht, Warburg sei in Cum-Ex-Geschäfte zu Lasten des Fiskus verwickelt, beruhe lediglich auf einigen Indizien und Vermutungen, so die Begründung.

So steht es in einem zweiseitigen Gesprächsvermerk des für Warburg zuständigen Finanzamts für Großunternehmen in Hamburg zu dem Termin vom 17. November 2016. Dem Vermerk zufolge ging es seinerzeit auch um die Gefahr einer Amtshaftung. Also darum, dass Warburg gegen die Hansestadt vorgehen könnte, sollte der dortige Fiskus angeblich zu Unrecht gewährte Steuererstattungen zurückfordern. Solche Rückforderungen könnten dramatische Folgen für Warburg haben, befürchtete die Gesprächsrunde in der Finanzbehörde dem Vermerk zufolge. Inzwischen hat Warburg in der Sache Cum-Ex insgesamt 155 Millionen Euro an das Finanzamt zurückgezahlt - Geld, das die Bank nun ihrerseits vom Fiskus einklagen will, weil man zu Unrecht illegaler Deals verdächtigt werde.

Eine der Teilnehmerinnen des Treffens im November 2016 hatte wenige Wochen vorher, am 5. Oktober, noch ganz anders agiert. In einem 29-seitigen Vermerk von diesem Tag begründete die Beamtin des Finanzamts für Großunternehmen ausführlich, warum gegen Warburg vorgegangen werden müsse. Das Finanzamt beabsichtige, Steuerbescheide für die Jahre 2009 bis 2011 zu ändern, so steht es in diesem Vermerk. Die 29 Seiten waren für die Finanzbehörde gedacht, der Hamburger Version des Landesfinanzministeriums. Für die nächsthöhere Ebene in der Hierarchie. Wegen der umstrittenen und höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfragen - und wegen der Tragweite für Warburg - werde um Zustimmung zu der besichtigten Vorgehensweise gebeten, notierte die Sachbearbeiterin.

Betriebsprüfer kannten Ermittlungsakten

Die für Warburg zuständige Betriebsprüfung hatte vorher Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Köln einsehen können. Die Staatsanwaltschaft wiederum hatte Warburg Anfang 2016 erstmals durchsucht und allerlei Belastungsmaterial zusammengetragen. In den Akten ging es unter anderem um Hanno Berger, der als Drahtzieher vieler Cum-Ex-Geschäfte gilt und der sich Jahre vorher in die Schweiz abgesetzt hatte. Die deutsche Justiz geht inzwischen davon aus, dass dies eine Flucht gewesen sei. Es gibt einen Haftbefehl gegen Berger; ob die Schweiz ihn ausliefert, bleibt abzuwarten. Damals, im vorvergangenen Jahrzehnt, war Berger bei Warburg ein gern gesehener Gesprächs- und Geschäftspartner gewesen. Heute würde die Bank Hanno Berger, der alles abstreitet, wahrscheinlich nicht einmal mehr zum Hintereingang hereinlassen.

Wie auch immer, der Sinneswandel beim Fiskus in Hamburg beschäftigt den kürzlich eingesetzten Untersuchungsausschuss in der Hansestadt, der aufklären soll, ob es politische Einflussnahmen gab. Auch das Landgericht Bonn, wo der ehemalige Warburg-Generalbevollmächtigte wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung vor Gericht steht, will alles wissen. Der Anklagte weist wie die Bank alle Vorwürfe zurück.

Das Landgericht hat bereits mehrere Beschäftigte des Hamburger Fiskus als Zeuginnen vernommen. Dabei ging es auch um die Kehrtwende beim Hamburger Fiskus und die guten Kontakte zwischen Warburg und dem Hamburger Senat. Und um Spannungen und Streitgespräche beim Hamburger Fiskus wegen Warburg. Der Prozess in Bonn dauert an, und im Untersuchungsausschuss legen die Abgeordneten erst jetzt so richtig los.

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