Energie:So soll grüner Wasserstoff endlich den Durchbruch schaffen

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Um die Stahl- oder Chemieindustrie in Deutschland klimaneutral umzubauen, wird grüner Wasserstoff benötigt. (Foto: Sylvio Dittrich/IMAGO)

Er gilt als Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel. Nun hat die Energiewirtschaft einen Plan vorgelegt, wie die Industrie auf grünen Wasserstoff umsteigen kann. Die Frage ist nur: Gibt es genug davon?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Nicht ein Tag vergeht, an dem nicht deutsche Regierungsmitglieder die Chancen des Wasserstoffs preisen. Bundeskanzler Olaf Scholz schaut kurz vor seiner Abreise aus Japan noch schnell bei einer Spezialfirma für den Wasserstoff-Transport vorbei und spricht vom "neuen Gas". Vizekanzler Robert Habeck stellt den verunsicherten Mitarbeitern in der Raffinerie in Schwedt den Stoff als Teil ihrer Zukunft vor. Und am Montag hebt Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eine neue Forscher-Kooperation zum Thema aus der Taufe: Zwei Milliarden Euro sollen binnen vier Jahren in diesen Bereich fließen.

Der grüne, aus Ökostrom gewonnene Wasserstoff erlebt derzeit einen sagenhaften Hype als Klimaretter: Schließlich ließen sich ganze Stahlwerke auf die sauberen Moleküle umstellen, dazu Kraftwerke, Flugzeuge, Schiffe, der Straßen-Güterverkehr. Und seit die Energieströme aus Russland zu versiegen drohen, ist der Siegeszug des Wunderstoffes auch eine ökonomische und strategische Überlebensfrage. Aber ist das Land dafür schon reif?

Der mächtige Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat nun einen ersten Plan entwickelt, wie der rasche Schwenk zum Wasserstoff gelingen könnte. Der liegt der Süddeutschen Zeitung vor. In 14 Punkten dekliniert er durch, wo noch Hindernisse bestehen und wie die sich aus dem Weg räumen lassen. "Ein zeitnaher und erfolgreicher Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft wird immer dringlicher", sagt BDEW-Chefin Kerstin Andreae. Nötig sei nun "ein mutiger Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft".

Dem Verband, der das Positionspapier erarbeitet hatte, schwebt dafür nicht weniger als ein "Wasserstoffhochlaufgesetz" vor, das "die Transformation der Gaswirtschaft beschleunigt". So sei ein komplett neues Förderprogramm nötig, das sowohl Erzeugung als auch Nutzung von Wasserstoff belohnt und das etwa über sogenannte Differenzverträge, wie sie auch die Ampelkoalition will. Unternehmen bekommen hier Investitionskosten ersetzt, jedenfalls jene, die sie nicht über gesunkene Kosten etwa für CO₂-Zertifikate kompensieren können. Nach Vorstellung des Energieverbands sollten Projekte hier auch in Wettbewerb treten können. Unterstützt würde, was sich zu den günstigsten Bedingungen realisieren lässt.

Hemmnisse sollen beseitigt werden

Parallel müssten auch die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden; schließlich soll aus ihnen per Elektrolyse der "grüne" Wasserstoff hergestellt werden. "Hemmnisse für den Erneuerbaren-Ausbau sind immer auch Hemmnisse für die Erzeugung von grünem Wasserstoff", sagt Andreae. Auch Genehmigungsverfahren rund um die neue Technologie müssten schneller vonstattengehen.

Es sind allerdings nicht die einzigen Hemmnisse. Die EU etwa berät gerade über Standards für grünen Wasserstoff, zunächst für den Verkehrsbereich. Sie könnten später auch auf den restlichen Wasserstoff angewandt werden - und dort aus Sicht der Energiewirtschaft zum Flaschenhals werden. Die Branche verlangt etwa, Wasserstoff auch dann als "grün" zu klassifizieren, wenn er zwar aus fossilem Strom erzeugt wurde, die Hersteller dafür aber zuvor Grünstrom-Zertifikate erworben haben, wie sie auch viele Ökostrom-Anbieter verwenden. Der Wasserstoff müsste also nicht zwingend mit Strom aus einem benachbarten Windpark erzeugt werden.

Bliebe noch die Verwendung des Wasserstoffs. So brauche es mehr Klarheit, ab wann ein Gaskraftwerk als "Wasserstoff-ready" gilt, also auch H₂ einsetzen kann. Auch Wärmekraftwerke, wie sie viele Stadtwerke betreiben, wollen die Versorger gerne mit Wasserstoff betreiben - samt Förderung, versteht sich. In Gebäuden, also vor allem in deren Heizungen, solle Wasserstoff künftig als erneuerbarer Energieträger gelten. So könnten Stadtwerke weiter ihre Gasnetze verwenden, nur eben irgendwann für Wasserstoff. Auch deren entsprechende Ertüchtigung müsse vorangetrieben werden, verlangt die Branche.

Und das alles unter der Bedingung, dass es genug von dem Stoff gibt. Auch der Energieverband verlangt mehr Importprojekte und die nötige Infrastruktur. Doch die neue Leidenschaft ruft auch andere auf den Plan. Am Mittwoch wollen Umwelt- und Entwicklungsverbände ein gemeinsames Papier zu Wasserstoff vorlegen, sie fürchten einen Boom zulasten der Ärmsten. "Der Hochlauf von grünem Wasserstoff muss dringend beschleunigt werden", sagt zwar auch Verena Graichen, Vizechefin des Umweltverbands BUND. Dies dürfe aber nicht auf Kosten der Erzeugerländer gehen. Schließlich dürften nicht nur die Länder profitieren, die sich mit Wasserstoff von fossilen oder russischen Rohstoffen befreien wollen - sondern auch diejenigen, die ihn produzieren.

Korrektur: In einer früheren Fassung dieses Artikels haben wir Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger fälschlicherweise der SPD zugeordnet. Sie ist jedoch FDP-Mitglied.

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