Ernährung:Gras für alle

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Kann Gras verdauen, anders als der Mensch: die Kuh. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gras ist für Menschen eher schwer zu verdauen. Aber vielleicht schlummert auf der Wiese doch die Lösung des globalen Hungers und der Klimakrise.

Von Tobias Bug

Treffen sich ein Landwirt und ein Forscher auf einer Messe und am Rand steht eine Kuh. Die Kuh hat einen Namen, sie heißt Anni, und ist mit ihren 800 Kilogramm ein echtes Schwergewicht. Allerdings sei ihre Box in Tierhalle 25 auf dem Berliner Messegelände kaum größer als sie selbst, schrieb der Tagesspiegel damals. Hätte sie sich also für das Fachgespräch zwischen Bauer und Wissenschaftler interessiert und sich umdrehen wollen, um zu hören, was die zwei da so tuscheln, sie hätte nicht gekonnt.

Dabei ist Anni so etwas wie ein Vorbild, für den Landwirt Christoph Geil von der Halbinsel Butjadingen und Volker Heinz, Chef des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik in Quakenbrück, beides in Niedersachsen. Denn sie kann etwas, was der Mensch nicht so gut kann: Gras essen. Heinz und Geil wollen den Menschen nun zum Grasesser machen. "Zwei Doofe ein Gedanke", so beschreibt Heinz am Telefon die Idee, die Geil und er vor drei Jahren auf der Landwirtschaftsmesse Grüne Woche hatten. Mit ihrer Idee wollen sie nicht nur die Art, wie wir essen, verändern, sondern nebenbei auch noch den weltweiten Hunger beenden und die Klimakrise lösen.

Allerdings ist das nicht so einfach: Wie jede Kuh hat Anni uns Menschen drei Mägen voraus. Sie hat nicht nur einen, muh - wie lächerlich, sondern vier davon. Anni ist nämlich Wiederkäuerin. Um zu verstehen, wie das funktioniert, hier eine kurze technische Anleitung: Sie beißt ins Gras, zermahlt es zwischen ihren Zähnen, schickt das Mahl in Magen eins, den Pansen, wo sich Bakterien darauf stürzen und es zersetzen. Dann geht's vom Pansen in Magen zwei, den Netzmagen, zurück in die eins, die zwei und hin und her und hoch ins Maul. Anni kaut nun wieder und schickt den grünen Brei in Magen drei. Der Blättermagen entzieht ihm Wasser und der Labmagen, Magen vier, verdaut ihn endlich, gewinnt Fette und Eiweiße, bevor der Darm sich die verbleibenden Nährstoffe krallt. Hintenraus kommt dann, nun ja, brauner Brei.

Aber Moment: Es ist ja nicht so, als hätten unsere Vorfahren nicht versucht, Gras zu essen. Ein ganz entfernter Vorfahre, so entfernt, dass ihn kaum jemand kennt, Paranthropus boisei sein Name, war Pflanzenesser. Er hatte breite Backenzähne, um Grünzeug zu mahlen. Er starb aus. Der Homo sapiens überlebte auch, weil er Werkzeuge erfand, um Tiere zu erlegen und Feuer nutzte, um sie zu grillen. Survival of the Fittest. 1,5 Millionen Jahre später nun haben Menschen das Wissen und die technischen Möglichkeiten, um wieder umzusatteln. Vom Fleisch- zum Pflanzenesser.

"Zwei Jahre lang haben wir alles falsch gemacht"

Dass Gras eine wertvolle Proteinquelle ist, wurde übrigens nicht am Grünen Wochentisch entdeckt. Der britische Biochemiker Norman Pirie entdeckte schon in den Sechzigern die Reichhaltigkeit des "Leaf Protein". Geil und Heinz schauen sich nun von der Kuh ab, wie man dem Gras das Eiweiß entzieht. Geils Hof ist der Blättermagen: Hier ziehen Maschinen den Saft aus dem gemähten Gras. Heinz' Institut ist so etwas wie der Labmagen: Hier gewinnen sie aus dem Saft Blatteiweiß, genannt Rubisco. Hintenraus kommt ein grüngrauer Brei - und daraus werden Frikadellen geformt und Würstchen, oder Käse. Der Käse habe schon etwas komisch geschmeckt, meint Christoph Geil, die Frikadelle war aber schon leckerer und top sei die Currywurst gewesen. "An Konsistenz und Geschmack arbeiten wir noch", sagt Volker Heinz.

"Zwei Jahre lang haben wir alles falsch gemacht", sagt Heinz auch. Aber in 2023 wollen sie große Fortschritte machen - und in etwa drei Jahren mit einem Hersteller Fleischersatzprodukte auf den Markt bringen. Der große Vorteil des Blattproteins gegenüber Ersatzprodukten aus Erbsen, Hafer, Weizen, Soja: Es braucht kein teuer gewordenes Klebemittel, um zusammenzuhalten, es pappt von ganz alleine.

So gesehen könnte das jetzt die Welt verändern. Allein Deutschland hat 4,5 Millionen Hektar Grünflächen, rechnet Heinz vor, das reiche für die Proteinversorgung von halb Europa. Und Heinz denkt nicht nur kontinental, sondern global: "Grüne Pflanzen gibt es überall, Rubisco ist das mit Abstand meistverfügbare Eiweiß der Welt." Kein Mensch müsste mehr hungern. Und: Der tierquälende, wasserverschwenderische und klimaschädliche Fleischmarkt könnte abgelöst werden. Denn auch die ausgepressten Grashalme können genutzt werden, für Verpackungen, Straßenbelag und klimafreundliche Energie. Könnte diese Kreislaufwirtschaft sogar einen negativen Kohlendioxidabdruck haben? Es bleibt noch viel zu tun, auf Butjadingen, in Quakenbrück - und der Welt.

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