Marktforschung:Die GfK wird amerikanisch

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Gute Einschaltquote: Die Kennedys im Fernsehen, da versammelte sich Anfang der 60er-Jahre schon mal die ganze Familie, einschließlich Enkelkind, vor dem Gerät. (Foto: mauritius images)

Das Unternehmen ermittelt die TV-Einschaltquoten und das Konsumklima, und war damit weltweit erfolgreich - doch mit der Digitalisierung kam der Niedergang. Nun wird Deutschlands größter Marktforscher von einem US-Konkurrenten geschluckt.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Was die Deutschen fernsehen, welche Spielzeuge und Süßigkeiten ihre Kinder bevorzugen, wie Hausbesitzer künftig heizen wollen und wie es gerade um die Konsumlaune steht - die GfK weiß all das. Das Zahlenorakel aus Nürnberg ist aus der Gesellschaft für Konsumforschung hervorgegangen und zählte noch vor wenigen Jahren mit 13 000 Beschäftigten und 1,5 Milliarden Euro Umsatz zu den größten Marktforschern weltweit. Kurzzeitig stand die GfK sogar kurz davor, zur globalen Nummer zwei aufzusteigen. Dann aber geriet der Konzern in Not, verschwand von der Börse und wurde vom Finanzinvestor KKR zerlegt. Und nun verliert die GfK ihre Eigenständigkeit. Deutschlands größter Marktforscher wird vom US-Konkurrenten Nielsen IQ geschluckt - und das Überraschende daran ist: Es regt hierzulande niemanden auf.

Nicht einmal fränkischen Regionalmedien war die Nachricht, die Nielsen IQ und die GfK am 1. Juli verbreiteten, einen lokalpatriotischen Zwischenruf wert. Die beiden Firmen wollen sich zusammenschließen, sobald die Kartellbehörden das erlauben, vermutlich um die Jahreswende. Wobei der Begriff "Zusammenschluss" beschönigt, dass der dreimal größere US-Riese die deutsche Nummer eins schluckt. Formal übernimmt die Muttergesellschaft von Nielsen IQ, der US-Finanzinvestor Advent, die GfK für kolportierte 2,7 Milliarden Euro. Hauptquartier des neuen Gebildes wird Chicago, Vorstandsvorsitzender vermutlich Nielsen-IQ-Chef Jim Peck. Die GfK behält zwar ihren Namen und auch der Standort Nürnberg werde bleiben, heißt es. Wie viele Menschen dort und überhaupt für die GfK in Zukunft arbeiten werden, ist jedoch unklar. Nach jahrelanger Schrumpfkur sind es aktuell 8000 Mitarbeiter weltweit; zuletzt erwirtschafteten sie 1,6 Milliarden Euro Umsatz.

Für Nostalgie ist schon lange kein Platz mehr

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Die Übernahme kommt nicht überraschend. Seit Monaten sucht KKR nach einem Käufer für die GfK. Die Private-Equity-Firma, die auch am Medienhaus Axel Springer beteiligt ist, hält mit knapp 47 Prozent zwar nur eine Minderheit an dem Nürnberger Marktforscher. Sie hat dort aber das Sagen. Der Mehrheitseigentümer GfK-Verein holte KKR 2017 an Bord, weil er den Problemen bei der damaligen GfK SE nicht mehr Herr wurde. Zwischenzeitlich hat sich der von Firmen, Institutionen und Privatpersonen getragene GfK-Verein in NIM umbenannt, was für "Nuremberg Institute for Market Decisions" steht. Nach eigenen Angaben ein "Non-Profit-Institut zur Erforschung von Konsum- und Marktentscheidungen", wurde die Organisation 1934 von Hochschullehrern gegründet. Einer von ihnen war Ludwig Erhard, der es nach dem Krieg zum Wirtschaftsminister und Bundeskanzler brachte. Ihr hübsch formulierter Plan: "Die Stimme des Verbrauchers zum Klingen bringen."

Für Nostalgie ist bei der GfK allerdings schon lange kein Platz mehr. Dazu ging es der Firma zu lange zu schlecht, dazu ist auch der Konzentrationsprozess zu gewaltig, den die Markt- und Meinungsforschungsbranche erlebt. Technisch treibt ihn die Digitalisierung voran. Auf ökonomischer Seite wird die Branche von großen Finanzinvestoren gesteuert. Erst vor zwei Jahren kaufte Advent dem US-Datenkonzern Nielsen die Sparte Nielsen IQ für 2,7 Milliarden US-Dollar ab. Parallel zum aktuellen Deal zwischen Nielsen IQ und GfK treibt die Private-Equity-Gesellschaft Hellman & Friedman die Fusion der US-Marktforscher IRI und NPD Group voran. Auch die Nummer zwei der Branche, die britische Kantar Group, gehört einem Finanzinvestor, nämlich Bain Capital. Ständig wechseln kleinere Einheiten großer Marktforscher ihre Eigentümer oder werden kleine Spezialisten von Branchenriesen aufgekauft. Überleben werde nur, wer globalen Kunden auch globale Daten über das Kaufverhalten von Verbrauchern liefern könne, sagen Experten.

Dieser Logik folgt auch die Übernahme der GfK durch Nielsen IQ. Beide wollen nach eigenen Angaben "ihre sich ergänzenden Daten und Analyse-Tools zusammenführen, wodurch Kunden einen noch umfassenderen Überblick über die Ausgaben der Verbraucher während des gesamten Einkaufsvorgangs erhalten". Tatsächlich ergänzen sie sich: Die GfK ist stark bei der Datenerhebung und -auswertung im Bereich Technologie, und wenn es um größere, langlebige Gebrauchsgüter wie Hausgeräte oder Elektronik geht. Nielsen IQ hingegen hat den Schwerpunkt in der Erforschung des täglichen Konsumverhaltens bei kurzlebigen Gütern wie Lebensmitteln und Kosmetik. Und regional betrachtet ist Nielsen IQ in den USA stark, wo die GfK schwach unterwegs ist. Ihre Domäne ist Europa, wo sich wiederum Nielsen IQ schwer tut. "Gemeinsam haben wir die Möglichkeit, die Zukunft der globalen Verbraucher- und Handelsanalytik mitzugestalten", so Nielsen-IQ-Chef Jim Peck, "eine Zukunft, die schnell, agil und vernetzt ist".

Agile Start-ups machten der schwerfälligen GfK Konkurrenz

Genau dieses Tempo bereitete der GfK große Probleme. Zu Beginn dieses Jahrhunderts kauften die Nürnberger weltweit einen Marktforscher nach dem anderen und wuchsen so von einer nationalen zu einer globalen Größe. Doch es hakte bei der Integration der vielen Neuerwerbungen binnen kurzer Zeit, man arbeitete zum Teil in denselben Feldern mit unterschiedlicher Software und Methodik. Auch mit der Digitalisierung fremdelte man. Immer mehr agile Start-ups machten der schwerfälligen GfK Konkurrenz, weil sie Daten schneller erfassen und auswerten konnten. 2008 sollte die GfK mit der britischen TNS zur weltweiten Nummer zwei verschmelzen. Lokal-, Landes- und Bundespolitiker opponierten aber, weil London Sitz des neuen Konzerns werden sollte. Deutschland brauche einen eigenen großen Marktforscher, hieß es.

14 Jahre später sind solche Stimmen nicht zu hören. Vielleicht sitzt der Schreck zu tief, den der zeitweilige GfK-Niedergang Politikern und Öffentlichkeit eingejagt hat. Als Peter Feld 2017 die GfK-Führung übernahm, steckte die Firma tief in der Krise. Der Umsatz stagnierte, 2016 hatte das Unternehmen einen Rekordverlust von 136,5 Millionen Euro eingefahren, und reihenweise scheiterten Manager daran, die Talfahrt zu stoppen. KKR und GfK-Verein nahmen die GfK von der Börse. So konnte Feld in aller Ruhe die Sanierung angehen, mit den üblichen Werkzeugen von Finanzinvestoren: Er tauschte Führungspersonal aus, baute Hunderte Stellen ab, verschmolz oder verkaufte ganze Sparten wie den Bereich Custom Research (die Erforschung, wie Produkte bei Kunden ankommen). Als die in Nürnberg verbleibenden GfK-Mitarbeiter 2020 in einen lange geplanten Neubau umzogen, war ihre Zahl so geschrumpft, dass Büros leer blieben und vermietet wurden.

Feld baute aber keineswegs nur ab, sondern richtete die Rumpf-GfK auch neu aus. Er trieb die digitale Entwicklung voran und schuf mit gfknewron eine Plattform, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Handlungsempfehlungen für Markenfirmen in Echtzeit anbietet.

Wie viel wird von der GfK bleiben? "Künftig wird nach amerikanischen Spielregeln gespielt", sagt ein Betroffener. Es gibt Bedenken, die GfK könnte im Advent-Nielsen-Verbund untergehen. Ein GfK-Sprecher widerspricht: "Wir werden künftig einen globalen Fußabdruck haben, den wir bislang nicht hatten." NIM wird am neuen Gebilde nur noch eine Minderheit haben, freut sich aber immerhin, dass die GfK nach fünf dividendenlosen Jahren wieder eine Gewinnbeteiligung in die Vereinskasse gespült hat. Und Peter Feld hat die GfK kürzlich verlassen. Seine Mission ist erfüllt.

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