Freihandel:So lassen sich Gegner und Befürworter von Freihandelsabkommen versöhnen

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Freihandel: Gegen den Freihandel: Demonstranten in München.

Gegen den Freihandel: Demonstranten in München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Feindbilder sind klar definiert: Die einen hoffen auf neue Jobs, die anderen fürchten den Ausverkauf des Rechtssystems. Hier der Versuch eines Brückenschlags.

Essay von Marc Beise

Am Anfang war das Wort, ist immer das Wort. Aber nicht nur eines. Zehntausende von Worte, Tausende von Seiten umfassen Handelsverträge heute, und nur das ist wirklich neu. Das Instrument selbst ist alt, fast so alt wie das Bedürfnis der Menschen, Waren und Dienstleistungen zu handeln. Solche Verträge auszuhandeln, war schon immer ein mühsames Geschäft, denn es geht um Interessen, Macht, Geld, Wohlstand.

Das ist ein Job für Experten: Handelsspezialisten, Diplomaten, Politikprofis. Den letzten Haken muss, klar, der Souverän machen, früher der Herrscher, heute die Vertreter des Volks - aber der letzte Haken ist dann meist auch genau das: ein eher pauschales Votum über alles. So hat das Jahrhunderte lang funktioniert. Aber so funktioniert es nicht mehr. Das Volk begehrt auf, erstaunlicherweise vor allem in Deutschland, Österreich und einigen anderen, eher ausgewählten Ländern, in denen es eine Mehrheit gegen die aktuell geplanten Handelsabkommen gibt. Die Sachkritik im Konkreten, etwa von Gewerkschaften oder Umweltverbänden, trifft sich mit grundsätzlichem Misstrauen gegen eine weitere Globalisierung, gegen Einschränkungen der nationalen Souveränität.

Wird die Welt nun schlechter oder besser, wenn man Grenzen öffnet?

So kommt es dann zu ungewöhnlichen Koalitionen von linken Attac-Aktivisten und rechten AfD-Vertretern. Sie alle eint das Misstrauen gegenüber "denen da oben". Man vertraut den Experten und auch den Politikern nicht mehr. Die einen gelten bei Bedarf als gekaufte oder naive Interessenvertreter des Großkapitals, die anderen als dumm und faul. Also muss man die Dinge selbst in die Hand nehmen und sich engagieren: gegen TTIP, das erst geplante europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen. Gegen Ceta, das bereits fertig ausgehandelte Abkommen mit Kanada. Gegen Tisa, das Abkommen über Dienstleistungen mit ausgewählten Industriestaaten.

TTIP, Ceta, Tisa: Zufällig werden die Handelsverträge, die so viel Ärger verursachen, überdurchschnittlich häufig mit vier Buchstaben abgekürzt: Eine dankbare Vorlage für die Gegner; kommt eben alles sehr ähnlich rüber. Ohnehin ist es eine hochprofessionelle Empörungsindustrie, die bereit steht, den Protest zu organisieren und zu orchestrieren. Sie hat gegenüber den Lobbyisten s der Wirtschaft deutlich aufgeholt. So viel Mobilisierung war selten, häufig durchaus auf hohem intellektuellem Niveau. Fragt sich nur, ob der Protest in seiner Rigorosität sinnvoll ist und der Druck, der dabei aufgebaut wird. Ist es wirklich hilfreich, wenn an diesem Samstag Zehntausende gegen die Vier-Buchstabenverträge auf die Straße gehen und den Eindruck vermitteln, Demokratie und Rechtssicherheit in Deutschland stünden kurz vor dem Ende? Manchmal tut die Selbstgerechtigkeit der Überzeugungstäter richtig weh.

Aber auch die andere Seite, um das gleich anzufügen, die Advokaten dieser Handelsverträge, vor allem Regierende und Wirtschaftsvertreter, sind von ihrer Position allzu sehr überzeugt. Auch sie sind manchmal bis zur Schmerzgrenze festgelegt, und vermutlich haben beide Seiten recht, wenn sie der jeweils anderen Arroganz, Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit vorwerfen. Unvergessen das abschätzige Wort eines früheren EU-Handelskommissars, der eine Petition von 470 000 EU-Bürgern mit den Worten kommentierte, das sei nett, aber er spreche für 500 Millionen Europäer.

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