Essay:Die da oben machen, was sie wollen? Dann tut was!

Lesezeit: 7 Min.

Gewerkschafter demonstrieren für mehr Lohn: Vorstände der 30 Dax-Konzerne verdienen heute im Durchschnitt 54 Mal so viel wie ihre Mitarbeiter. (Foto: dpa)

Panama Papers, VW-Boni, Schlecker-Skandal - viele wollen es immer schon gewusst haben: Die Eliten sind gierig und enthemmt. Aber Wut alleine ändert nichts.

Essay von Alexander Hagelüken

Ein Abendessen mit Freunden und Bekannten, über Politik wird da oft gar nicht so viel geredet. Klar geht es auch heute mal um die Flüchtlinge, aber länger dann darum, wie traurig es ist, dass sich Simona und Michael trennen. Und wie altpädagogisch die sich in der Kita im Nachbarort anstellen. Ist die Zweijährige da gut aufgehoben? Der Abend diesmal aber verläuft anders als sonst. Denn nach einer Weile drängt es einen Besucher, ganz grundsätzlich zu werden. Dazu, was die Süddeutsche Zeitung und andere Medien da enthüllen mit den Panama-Papieren. "Ja und?", findet er: "Politiker lassen sich schmieren, Unternehmer verstecken ihr Geld, Reiche zahlen keine Steuern? Das wusst' ich eh."

Widerspruch am Tisch. Weil es doch etwas anderes ist, Politikern und Wirtschaftsbossen Sauereien bloß zu unterstellen, als diese mit mühsam gecheckten Panama-Daten zu belegen. Weil eine Demokratie genau das braucht: Fakten statt Gerüchte. Eine solide Grundlage, um Missstände zu korrigieren.

Darauf kann man sich zunächst mal einigen. Doch dann melden sich ein paar, die bisher geschwiegen haben. Ganz vorsichtig, sie wollen die Recherche nicht schmähen. Doch sie wirken fast amüsiert darüber, wie sich jemand über die empörende Botschaft der Enthüllungen überhaupt empören kann. "Reiche und Politiker zocken uns ab", sagt eine resigniert, "daran wird sich nichts ändern. Die ganze Veröffentlichung bringt doch nix." In diesem Moment ist dem Autor womöglich anzumerken, dass ihn so viel Fatalismus aus der Fassung bringt.

Deutschland ist doch keine Bananenrepublik

Seit Anfang April finden es jede Menge Außenstehende sehr beachtlich, dass seit der Veröffentlichung der Panama Papers ein globales Geflecht von Schattenfirmen unzähliger Wirtschaftsfiguren und Politiker offengelegt ist. Der Zukunftsforscher Eike Wenzel etwa sagt: "Wir müssen lernen, dass sich ein Paralleluniversum gebildet hat, in dem Geschäftsleute und Player des politischen Systems ihre ganz individuelle Realität schaffen und nach stramm egoistischen Maximen agieren." Was er damit beschrieben hat, klingt fast schon klischeehaft, wie im schlechten Film: Es gibt gar nicht wenige Leute in gläsernen Türmen und exklusiven Villen, die ihr Geld sehr gerne an den Behörden vorbei in jene ganz reale Scheinwelt der Briefkastenfirmen einspeisen, während die anderen brav ihre Steuern zahlen.

Wer das Ganze so zusammenfasst, bei dem schwingt die Empörung mit. Der Impuls, etwas zu ändern im Verhältnis der Mächtigen und ihrer Mitbürger. Doch beim Abendessen, im Büroflur und in den sozialen Foren begegnen einem in diesen Wochen häufig auch die Fatalisten und Zyniker, die mit den Achseln zucken. Sie wirken eingesperrt in dem Glauben, dass es doch nie gerecht zugehen wird in ihrem Leben. Voll kalter Wut über die Eliten aus Wirtschaft und Politik. Aber ohne Antrieb, kaputt zu machen, was sie kaputt macht.

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Ist es naiv, das etwas überraschend zu finden? Deutschland ist doch keine Diktatur, keine Bananenrepublik und kein gesetzloses Land, das Kapitalisten einfach ausplündern können. Sondern eine wohlhabende und funktionierende Demokratie, in der niemand verhungern muss, mit einer boomenden Wirtschaft und einem ausgeglichenen Haushalt. Das Land, wo Milch und Honig fließen, hätten sie früher gesagt. Das scheint aber nicht das Land zu sein, in dem die Fatalisten leben.

Die vergangenen Jahre haben das Land komplett verändert

Mit den abendlichen Gesprächen im Kopf macht man sich auf, mal ein wenig nachzubohren, um die Kluft zwischen den Eliten und den übrigen Bürgern zu verstehen. Und den Fatalismus in einem Land, das von anderen noch immer für sein soziales Netz, seine Marktwirtschaft und seine Fortschrittlichkeit gelobt wird - wobei die Vorstellung, dass in Deutschland Milch und Honig fließen, ebenfalls eine merkwürdige Fehleinschätzung ist, die vor allem weniger privilegierte Menschen hierzulande regelrecht auf die Palme treibt.

Hinter der glänzenden Fassade des europäischen Spitzenreiters verbirgt sich für viele eine graue Wirklichkeit. Die vergangenen Jahre haben das Land komplett verändert. Die soziale Ungleichheit wächst, die Frustration über die Jobsituation bei vielen ebenso. Während die Profite bei Unternehmen und die Gehälter bei Spitzenverdienern explodierten, auch dank niedrigerer Steuern, stagnierten die Löhne bei denen, die sich der Mittelklasse zugehörig fühlen.

Im Bekanntenkreis gibt es diese Krankengymnastin, die sich wie viele Berufseinsteiger von einem befristeten Job zum nächsten hangelt und lieber kein Kind kriegt. Und die Mittfünfzigerin, die für die Töchter den Beruf drangab und seit der Scheidung wie andere Schlecht bezahlte mit drei Putz- und Verkaufsjobs jongliert.

Der US-Autor Steven Weisman beschreibt das Paradox der Globalisierung so: Die Weltwirtschaft wuchs, die reichsten fünf Prozent der Menschheit profitierten ebenso wie viele Menschen in den Entwicklungsländern. Eher verloren haben die 20 Prozent dazwischen, etwa Arbeiter in den USA und Deutschland. Sie verdienen immer noch mehr als ein indischer Ingenieur, müssen aber damit rechnen, dass ihre Arbeitskraft irgendwann überflüssig wird: Die vergangenen Dekaden fühlten sich für sie oft wie Abstieg an, wie eine lange anhaltende Depression, wie der amerikanische Journalist George Packer in seiner Studie "Die Abwicklung" anhand von Einzelbiografien beschrieben hat.

Und sind die Gegensätze nicht auch bei uns krass geworden? Vorstände der 30 Dax-Konzerne verdienen heute im Durchschnitt 54 Mal so viel wie ihre Mitarbeiter. Die wiederum müssen sich fragen: Ist der wirklich 54 Mal so viel wert wie ich? Nach einer Studie der Harvard Business School in 40 Staaten finden es Mitarbeiter allenfalls fair, wenn ein Chef fünf Mal so viel verdient wie sie selbst.

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Bei den Fatalisten und Zynikern muss sich hilflose Wut angestaut haben darüber, wie brutal moderner Kapitalismus die Welt in Reich und Arm aufteilt. Für sie scheint es längst ausgemacht zu sein, dass die Elite für sich andere Maßstäbe gelten lässt. Freie Finanzmärkte wurden ihnen als unverzichtbar verkauft, aber dann mussten sie mit ihrem Steuergeld die Banken retten. Volkswagen steht wegen des Abgasskandals an der Wand, aber die Manager wehren sich gegen weniger Boni. Der Drogeriekönig Anton Schlecker nahm mit seiner Pleite Tausenden Mitarbeitern den Arbeitsplatz, aber vorher soll er Millionen auf die Seite geschafft haben.

Enthüllungen können weltweit einen Aufbruch auslösen

Auch wenn einen solche Doppelmoral schaudert: Fatalismus zementiert nur die Verhältnisse. Er erlaubt denen, die sich auf Kosten anderer bedienen, so weiterzumachen wie bisher. Nur wer mit heiligem Zorn aufsteht, um dreiste Mitglieder der Eliten in die Schranken zu weisen, verbessert die Lage - auch für sich. Wie viele der Fatalisten versuchen, lokalen Abgeordneten mit ihren Anliegen auf die Füße zu treten? Wie viele engagieren sich in einer Partei, einer Gewerkschaft, einer NGO?

Der schnelle Einwand, das sei sinnlos, ist billig. Die Republik ist voller Fälle, in denen Fehlentwicklungen korrigiert werden. Deutschland hat gerade einen Mindestlohn und eine Mietpreisbremse eingeführt, obwohl Arbeitgeber und Vermieter massiv opponierten. Korruptionsverdacht in der politischen Klasse wird genau untersucht, wie sich bei Christian Wulff aufs Penibelste zeigte. Seit die Banken gerettet werden mussten, sind die Gesetze schärfer. Und die Staatsanwaltschaft will Anton Schlecker dafür anklagen, dass er Geld beiseitegeschafft haben soll.

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Und die Panama Papers? Sind gerade kein Beispiel dafür, dass Attentismus und Apathie gerechtfertigt wären. Der isländische Premier musste wegen der Enthüllungen zurücktreten, der spanische Industrieminister auch, der britische Regierungschef kam unter Druck. Die Enthüllungen könnten weltweit einen Aufbruch auslösen, gegen die Mängel des modernen Kapitalismus vorzugehen. Das wäre ein Signal: Die Bürger lassen nicht alles mit sich machen, sie kontrollieren, was manche aus den Wirtschafts- und Politik-Eliten treiben. Beteiligung lohnt sich in der Demokratie, sie ist der einzige Weg, um die Verhältnisse zum Besseren zu wenden.

Ein solches Signal käme im richtigen Augenblick. Denn der Frust, der sich bei vielen Menschen in den vergangenen 20 Jahren angestaut hat, bleibt den Aufbruch bisher schuldig. Er hat sich ganz anders ausgewirkt. Auf eine Weise, die für die westlichen Gesellschaften gefährlich wird.

Die erste sichtbare Reaktion auf den Frust ist die Weigerung, noch an der Demokratie teilzunehmen. In Wohnvierteln mit hoher Arbeitslosigkeit gehen weniger Bürger zur Wahl. Zwischen den Stimmbezirken unterscheidet sich die Beteiligung inzwischen um 30 Prozent. Deutlicher können Menschen kaum demonstrieren, dass sie aufgegeben haben, die Gesellschaft zu gestalten, in der sie doch leben.

Die zweite sichtbare Reaktion ist der Aufstieg der Populisten, von Donald Trump über den Front National bis zur AfD. Die beuten den Frust aus und richten ihn auf das Fremde, das Andersartige, auf Muslime und Importe aus China. Die liefern keine Verbesserungsvorschläge, sondern vergiften den sozialen Frieden.

In Deutschland und anderen westlichen Ländern wächst so auch die Sehnsucht nach radikalen Lösungen, man begegnet immer öfter Menschen, die sehr ungehalten, regelrecht hasserfüllt auf alles reagieren, was im weitesten Sinne mit dem Stichwort "Eliten" zu tun hat. Sowohl die Wahlverweigerung als auch die Hinwendung zu angeblichen Anti-Establishment-Parteien, die vor allem nationale Lösungen anstreben, bedrohen die westlichen Gesellschaften im Kern. Denn diese Gemeinwesen bauen ja darauf auf, dass die meisten Einwohner halbwegs an das System glauben und jeden Morgen mit dem festen Glauben in die Firma fahren, dass nicht nur ihnen automatisch alle Steuern vom Gehalt abgezogen werden, sondern dass alle Bürger den Staat gemeinsam finanzieren.

Wenn es die Eliten übertreiben, kann es auch mal richtig knallen

Doch was geschieht, wenn mehr und mehr Normalverdiener am System zweifeln? Weil sie denken, dass die Reicheren sich vor ihrer Pflicht drücken? Dann droht dem Gemeinwesen der Zusammenbruch.

Deshalb sind investigative Enthüllungen wie die Panama Papers eine große Chance. Falls der Abgrund, den sie aufzeigen, zu mehr führt als zu Rücktritten von Politikern. Falls er Gesetze anstößt, die Vermögenderen endlich wieder angemessene Steuersätze auf ihre Kapitalerträge und Erbschaften abverlangen. Und falls er gleichzeitig die Verfolgung der Hinterzieher voranbringt, die in den letzten Jahren schon intensiver geworden ist. Die G-20-Staaten wollen Steueroasen jetzt zwingen, Informationen herauszugeben und Briefkastenfirmen transparent zu machen. Am Ende müssten die Bürger, ob Optimisten oder Negativisten, das Gefühl bekommen, dass es den Reichen wirklich nicht mehr so leichtfällt, ihr Geld zu verstecken - und sie deshalb an das Finanzamt zahlen wie andere auch.

Ohne die Normalverdiener wird es einen solchen Erfolg nicht geben. Sie müssen ihren Volksvertretern bei jeder Gelegenheit zeigen, wie wichtig ihnen Gerechtigkeit ist. Sie müssen jene Parteien und NGOs unterstützen, die das globale Versteckspiel beenden wollen. Wenn die meisten Bürger mit den Achseln zucken, wird der Druck zu gering sein.

Zur Wahrheit gehört, dass sich für einen Erfolg auch die Eliten bewegen müssen. Der Reichenforscher Michael Hartmann vermisst bei prominenten Steuerhinterziehern von Uli Hoeneß über Klaus Zumwinkel bis Alice Schwarzer ein wirkliches Unrechtsbewusstsein. Ein Gefühl dafür, was sie tatsächlich getan haben. Das ist ein Warnsignal. Die Privilegierten und Vermögenden sollten erkennen, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, wenn sie das abgeben, was von ihnen gefordert wird. Von sozialem Frieden profitieren alle Mitglieder einer Gesellschaft. Wenn es die Eliten in ihrer Maßlosigkeit übertreiben, kann es auch mal richtig knallen. Und dann werden alle verlieren, auch die Reichen.

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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