Folgen der Volksabstimmung:Was Europa bei einem Nein der Griechen droht

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Nichts ist mehr ausgeschlossen. Selbst ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone ist nun denkbar - falls die Bevölkerung sich bei dem angekündigten Referendum gegen die Gemeinschaftswährung und gegen die Rettungsbemühungen für ihr klammes Land entscheidet. Die Folgen eines solchen Votums wären nicht nur für Griechenland gewaltig. Ein Überblick.

Catherine Hoffmann, Harald Freiberger, Markus Zydra und Helga Einecke

Die Entscheidung traf die Welt völlig unvorbereitet: Der griechische Premier Giorgos Papandreou will eine Volksabstimmung über das Rettungspaket von Euro-Partnern und Internationalem Währungsfonds durchführen. Er selbst wird am Freitag im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Die Aufregung ist groß, an den Börsen schlagen die Kurse Kapriolen, in den Hauptstädten der Euro-Zone herrscht Unruhe und Verunsicherung.

(Foto: SZ-Graphiken: Burgarth; Quellen: Thomson Datastream, EZB, Reuters)

Was nach dem EU-Krisengipfel abgewendet schien, ist mit dem anstehenden Referendum plötzlich doch möglich: Griechenland könnte fallen - mit unabsehbaren Folgen für die Euro-Zone und die Finanzbranche. Was also geschieht, wenn es dem griechischen Regierungschef nicht gelingt, die Zustimmung für den Euro in ein "Ja" zum Brüsseler Spardiktat umzumünzen? Oder wenn Papandreou bereits am Freitag das Vertrauen des Parlaments einbüßt?

Griechische Wirtschaft - Schluss mit Leben auf Pump

Schon jetzt zahlt Athen eine hohen Preis für das jahrelange Leben auf Pump: Seit die Regierung am Geldtropf der Staatengemeinschaft hängt und sparen muss, ist die Wirtschaftsleistung um mehr als 13 Prozent eingebrochen. Im Falle einer unkontrollierten Staatspleite könnte alles noch schlimmer kommen. Griechenland müsste alle Zins- und Tilgungszahlungen einstellen. Ein Kollaps der griechischen Finanzhäuser wäre kaum zu vermeiden. Die Sparer würden in Panik versuchen, ihr Vermögen zu retten. Athen müsste seine Banken verstaatlichen, das Abheben von Geld beschränken und die Ausfuhr von Kapital verbieten.

Wahrscheinlich würde Griechenland aus dem Euro austreten - wenn es denn so einfach ginge - und die Drachme wiedereinführen. Damit ließe sich kurzfristig wieder geld- und finanzpolitische Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Außerdem würde die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft dadurch wiederhergestellt, dass die neue Drachme massiv abwerten würde, schätzungsweise um 50 Prozent. Auf einen Schlag würden griechische Waren und ein Urlaub auf Kreta für Ausländer günstig sein.

Die Schattenseite dieser Politik: Wenn der Staat seinen Schuldendienst einstellt, leiht ihm kein Investor der Welt mehr Geld. Athen könnte weder Löhne noch Renten vollständig zahlen. Die Wirtschaft würde ins Chaos stürzen und die Demokratie einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt.

Ein Schuldenschnitt von 50 Prozent oder sogar mehr bei griechischen Anleihen würde Europas Banken schwer treffen. Die Bankenaufsicht Eba ermittelte kürzlich für die größten Institute einen Kapitalbedarf von 106 Milliarden Euro - bei einem 50-Prozent-Schnitt. Sollte die Abwertung aber 80 Prozent betragen, müssten die Banken weitere 25 Milliarden Euro abschreiben, errechnete die Schweizer Bank Credit Suisse.

(Foto: SZ-Graphiken: Burgarth; Quellen: Thomson Datastream, EZB, Reuters)

Am stärksten betroffen sind griechische Institute, die am meisten Anleihen ihres Heimatlandes in den Büchern haben. Allein sie brauchen bei einem 50-Prozent-Schnitt 30 Milliarden Euro frisches Kapital. An zweiter Stelle folgen die spanischen Großbanken mit 26 Milliarden Euro Kapitalbedarf, dann die französischen mit knapp zehn Milliarden.

In Deutschland fordert die Eba von vier Instituten mehr Eigenkapital: Die NordLB benötigt 660 Millionen Euro, die LBBW 346 Millionen, die Deutsche Bank rund 1,2 Milliarden und die Commerzbank 2,9 Milliarden. Diese Zahlen beziehen sich auf einen Schnitt von 50 Prozent. Fällt er höher aus, steigt der Kapitalbedarf entsprechend.

Das wäre vor allem für die Commerzbank ein Problem. Bankchef Martin Blessing sagt zwar, er werde alles tun, um zu vermeiden, dass er neues Staatsgeld braucht, zum Beispiel Gewinne einbehalten oder die Bilanz abbauen. Manche Analysten glauben aber, dass das schon bei einem 50-Prozent-Schnitt schwierig wird.

Anfang Dezember sollen die Griechen über das Rettungspaket der EU abstimmen; an den Weltbörsen wird bis zu diesem entscheidenden Tag zu jeder Sekunde darüber befunden, wie die Griechen wohl abstimmen könnten. Die Finanzmärkte handeln zukünftige Ereignisse. Die Pleite Griechenlands und der Austritt des Landes aus der Euro-Zone gilt unter Investoren wieder als mögliches Schreckensszenario.

Es stehen deshalb turbulente Wochen bevor, denn Unsicherheit belastet die Finanzmärkte; diese Belastung drückt sich in erratischen Kurssprüngen aus. Mal geht es hoch, dann gleich wieder abwärts. Der Handelstag am Mittwoch hat das eindrücklich bestätigt. Der deutsche Aktienindex Dax fiel am Vormittag auf 5800 Zähler, um sich dann am Nachmittag auf 5900 Punkte zu erholen - in die Gewinnzone. Eine Meldung, der Euro-Rettungsfonds EFSF verschiebe Anleiheplatzierungen für Irland-Hilfen wegen der aktuellen Marktbedingungen, hatten den Markt am Mittag einmal mehr verunsichert.

"Die politische Verunsicherung ist so groß, dass ungeahnte Gerüchte wie Unkraut empor treiben", sagte Robert Halver, Marktstratege der Baader Bank. Die meisten Investoren gehen davon aus, dass die jüngste Kursrally beendet ist. Der Dax hatte in den vergangenen vier Wochen deutliche Kursgewinne verbucht; der Index kletterte von 5200 auf 6300 Punkte. Nun kaufen Anleger wieder verstärkt Bundesanleihen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nach Schätzungen von Analysten griechische Staatsanleihen im Umfang von 50 Milliarden Euro gekauft. Außerdem refinanzierten sich griechische Banken bei ihr mit 90 Milliarden Euro. In Höhe dieses Betrages mussten sie Wertpapiere bei der Notenbank hinterlegen. Sollte Griechenland zahlungsunfähig werden, sind bei der EZB also etwa 140 Milliarden Euro in Gefahr.

Dem steht ein Eigenkapital von über 80 Milliarden Euro in der konsolidierten Bilanz aller Notenbanken im Euro-Raum gegenüber. Nun kommt es darauf an, wie wertlos die griechischen Papiere werden. Eine Abschreibung um die Hälfte könnten die Notenbanken verkraften, von 60 Prozent an wird es schwieriger. Schlimmstenfalls kommt es zu Verlusten, auch bei einigen nationalen Notenbanken.

Aber deshalb ist eine Notenbank noch lange nicht pleite, denn sie ist keine normale Geschäftsbank und unterliegt keinem Zwang zu Kapital und Gewinn. Die Bundesbank hat schon in den siebziger Jahren mit einem negativen Eigenkapital gelebt. Damals waren es Wechselkursschwankungen, die die Verluste verursachten. Die einzelnen Euro-Staaten können entscheiden, ob sie über mehrere Jahre ihre Notenbank mit einem negativen Kapital belassen, oder ob sie den Betrag ausgleichen. Zwingend ist das nicht. Allerdings können die Länder dann die Gewinne vergessen, die Notenbanken an den Fiskus abführen.

Viel Lust dürften die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) ja nicht darauf haben: Wenn aber Griechenland in eine chaotische Staatspleite schlittert, alle Rettungsversuche der Troika von IWF, EU und Europäischen Zentralbank versagen, dann wird das Land zum Kandidaten für den Fonds in Washington, der schon viele überschuldete Staaten aus dem Sumpf gezogen hat.

Die strikten Sparvorgaben würden dann aller Voraussicht nach weiter gelten, vielleicht sogar verschärft; ein neuer, womöglich größerer Schuldenerlass würde ausgehandelt; und mit etwas Glück für Athen würde das Konzept um einen Marshallplan für mehr Wirtschaftswachstum ergänzt. "Mit Sparen allein - das lehren Theorie und Lebenserfahrung - erzielt man keinen ausgeglichenen Haushalt", sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt bei Assenagon. Hüfner setzt auf eine Abwertung.

Die half auch Argentinien wieder auf die Beine, nachdem das Land Ende 2001 seine Zahlungen auf die Schulden eingestellt und sich vom IWF losgesagt hatte. Der günstigere Wechselkurs verbesserte die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und stärkte die Exportunternehmen. Schon im Jahr 2003 wuchs die Wirtschaftsleistung Argentiniens um stattliche neun Prozent. In den drei folgenden Jahren erhöhte sich das Bruttoinlandsprodukt noch einmal um sieben bis neuen Prozent. Und die Aktienkurse in Buenos Aires hoben ab. Das wäre ein Traum für Athen.

© SZ vom 03.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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