Finanzmärkte:Die Stunde der Abrechnung ist gekommen

Finanzmärkte: Über der Piazza Venezia in Rom braut sich etwas zusammen - sinnbildlich für die aktuelle Lage des Landes.

Über der Piazza Venezia in Rom braut sich etwas zusammen - sinnbildlich für die aktuelle Lage des Landes.

(Foto: AFP)
  • Die politischen Wirren in Italien haben an den Finanzmärkten ein Chaos ausgelöst.
  • Doch Italien ist derzeit nicht das einzige Krisenland in Europa. Auch in Spanien, Portugal und vor allem in der Türkei sieht es nicht gut aus.
  • Der Zusammenhang zwischen alldem ist durchaus bedrohlich - und erste Experten warnen schon vor einer neuen großen Finanzkrise.

Von Nikolaus Piper, Ulrike Sauer, Rom, und Meike Schreiber, Frankfurt

Finanzkrisen beginnen meist mit einem Schock. Zu Beginn dieser Woche kam der Schock aus Rom. Die politischen Wirren in dem regierungslosen Land sorgten am Dienstagmorgen für Momente der Panik an den Finanzmärkten. Die Anleger flohen aus italienischen Staatsanleihen, weshalb deren Renditen auf 3,4 Prozent nach oben schossen, auf den höchsten Stand seit Mai 2013. Der Risikoaufschlag gegenüber zehnjährigen deutschen Bundesanleihen legte von 2,33 Prozentpunkten auf 3,26 Prozent zu. An der Mailänder Börse stürzten die Kurse um mehr als drei Prozent, der Dow Jones gab um bis zu zwei Prozent nach. "Was wir heute an den Märkten erleben, ist besorgniserregend und hat allein emotionale Rechtfertigungen", sagte der italienische Notenbankchef Ignazio Visco.

Druck kam von der Ratingagentur Moody's. Sie kündigte an, die Kreditwürdigkeit Italiens herabzusetzen, falls die künftige Regierung keine wirksamen Maßnahmen ergreift, um den Schuldenberg von 2300 Milliarden Euro abzubauen. "Auch das Fehlen einer glaubwürdigen Reformagenda, die Italiens Wachstumsaussichten nachhaltig steigert, würde sich negativ auf das Rating auswirken", teilte Moody's mit. Bisher bewertet die Agentur Italien mit Baa2. Die Note steht für eine durchschnittlich gute Anlage. Wird sie um zwei Stufen gesenkt, würden die italienischen Staatsanleihen als Ramschpapiere gelten. In diesem Fall dürfte die Europäische Zentralbank keine römischen Staatsanleihen mehr kaufen.

Zentralbankchef Visco warnte die europakritischen Parteien Lega und Cinque Stelle, die nun bei Neuwahlen im Herbst ihre Parlamentsmehrheit weiter ausbauen wollen. Am Schuldenabbau führe kein Weg vorbei, weil sonst die Anleger ihr Geld aus Italien abzögen, sagte er. "Die daraus folgende Finanzkrise würde unser Land weit zurückwerfen und den Ruf Italiens unauslöschlich beflecken", sagte Visco. Das Schicksal Italiens sei an Europa gebunden.

Möglicherweise wird den italienischen Europa-Freunden ihre Aufgabe erschwert von EU-Kommissar Günther Oettinger. Er sagte in einem Interview, die Märkte würden den Italienern signalisieren, keine Populisten zu wählen. Am Abend entschuldigte er sich dafür - in Italien sorgte die Einlassung jedoch für viel Kritik. Auch Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußerten sich kritisch dazu. "Ich rufe alle EU-Institutionen auf, bitte den Willen der Wähler zu respektieren", sagte Tusk. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, warnt die Deutschen, den Fall Italien nicht zu leichtzunehmen: "Wenn Italien also auch nur annähernd in Schieflage gerät, ist es zu groß, grundlegend gerettet werden zu können. Dann wird es düster aussehen für Europa", sagte Fratzscher dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Zusammenhang zwischen Italien und der Türkei ist bedrohlich

Italien ist allerdings nicht das einzige Krisenland in Europa. Auch in Spanien und Portugal steigen die Zinsen, unter anderem, weil in Spanien am Freitag ein Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsident Mariano Rajoy ansteht. Und dann die Türkei. Das Land steckt in einer schweren Währungskrise, die türkische Lira ist in den vergangenen Wochen abgestürzt. Zu Beginn dieser Woche hat sich die Lage etwas entschärft. Nachdem die türkische Notenbank den Leitzins zuvor drastisch von 13,5 auf 16,5 Prozent erhöht und ihre Geldpolitik vereinfacht hatte, erholte sich der Kurs kurzzeitig.

Direkt haben die Krise in Italien und in der Türkei nichts miteinander zu tun, schließlich ist Ankara nicht Mitglied in der Euro-Zone. Indirekt aber ist der Zusammenhang stark und bedrohlich. Sowohl die steigenden Zinsen in Italien als auch der Verfall der Lira in der Türkei sind Symptome für einen globalen Trend: Kapital flieht derzeit das Risiko. Und eines der größten Risiken dabei ist der Populismus. Länder, die ohnehin geschwächt sind, müssen für populistische Neigungen einen hohen Preis zahlen.

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