Finanzmärkte:An den Märkten herrscht wieder Angst

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  • Nach dem Brexit testen die Finanzmärkte, wie stabil nun die Banken Europas sind.
  • Vor allem italienische Institute geraten unter Druck. Und die Aktien der Deutschen Bank sind so wenig wert wie zuletzt im Jahr 1990.

Von Stephan Radomsky, Andrea Rexer, Meike Schreiber und Markus Zydra, München/Frankfurt

Philipp Hildebrand weiß, wie sich Krisen anfühlen. Er hat das schon einmal erlebt, wenn auch in anderer Funktion. Der 52-Jährige ist seit dreieinhalb Jahren der Vize-Chef von Blackrock, des größten Vermögensverwalters der Welt, früher war er Zentralbankpräsident der Schweiz. Ganz ruhig und gelassen sitzt er im 41. Stock des Opernturms in Frankfurt und lässt seinen Blick über die Stadt und sanften Hügel des Taunus schweifen. Hildebrand ist ein überaus selbstbewusster Zeitgenosse. Für seine Kunden verwaltet Blackrock 4500 Milliarden Dollar - in Tausenden Fonds, in Aktien, Renten, Anleihen, Rohstoffen. Doch Hildebrands Gelassenheit täuscht. Er macht sich große Sorgen, dass die Finanzkrise nach Europa zurückkehrt. "Wir kriegen neun Jahre nach der Finanzkrise nun die zweite Welle", sagt er.

Denn zwei Wochen nach dem Brexit ist die Welt der Banken so durcheinander wie schon lange nicht mehr. Vor allem Italiens Kreditinstitute stehen unter Druck: Die Aktienkurse fallen, Investoren geben kein Kapital mehr, die Regierung in Rom und die Notenbank erwägen, ein milliardenschweres Rettungsprogramm für die Institute aufzulegen. Doch auch anderswo führt der Brexit dazu, dass die Institute leiden und deren Börsenbewertung fällt. Die Aktie der Deutschen Bank sackte zwischenzeitlich sogar auf 11,22 Euro ab - tiefer als in der Finanzkrise. So wenig waren die Papiere des größten Kreditinstituts der Republik zuletzt im Jahr 1990 wert.

Noch ein paar Tage nach dem Votum in Großbritannien versuchten die Notenbanker bei ihrem Treffen im portugiesischen Sintra zu beruhigen: Der Brexit sei ökonomisch betrachtet kein großes Problem, die Euro-Zone würde nur um etwa 0,1 Prozent weniger wachsen. Das sei verschmerzbar, sagte damals noch Vitor Constancio, der Stellvertreter von EZB-Chef Mario Draghi. Vorsichtig fügte er hinzu: "Aber das kann sich jede Minute ändern. Es gibt ein generelles Misstrauen gegen europäische Banken."

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Nur wenige Tage später war klar, dass der 72-jährige Notenbanker mit seiner Vorahnung Recht behalten sollte. Die Finanzmärkte nahmen das Votum der Briten zum Anlass, die Stärke des europäischen Bankensystems zu testen. Kein Börsenbarometer zeigt das besser als der Euro Stoxx Banks, in dem die wichtigsten Banken des Kontinents zusammenfasst sind: Er stand am Donnerstag nur mehr bei 78 Punkten - und schrammte damit haarscharf am historischen Tief von 72 Punkten vorbei.

Fallende Kurse sind gefährlich, denn in diesen Momenten findet sich kaum ein Privatinvestor, der Banken frisches Kapital geben würde. Vor allem die italienischen Banken brauchen Geld, um die Verluste aus den faulen Krediten auszugleichen, die sie in überdurchschnittlichem Maße noch in ihren Büchern haben. Vor allem die Großbank Monte Paschi di Siena und einige kleine Regionalbanken stehen sehr schwach da. Aber auch die Unicredit, zu der die deutsche Hypo-Vereinsbank gehört, leidet unter der Skepsis gegenüber den italienischen Banken. Jetzt soll es dort ein ehemaliger Fallschirmspringer richten, ein Elite-Krieger. Am Dienstag übernimmt Jean-Paul Mustier den Chefsessel der italienischen Groß- und Krisenbank - und die Branche in ganz Europa schaut hin. Zwar hat Mustier die Uniform schon lange gegen den Nadelstreifen getauscht, und dennoch hat der französische Investmentbanker bis heute viel Militärisches an sich, berichten seine Weggefährten: den Bürstenhaarschnitt, den befehlsgewohnten, bisweilen rüden Ton im Umgang mit Untergebenen und vor allem die unbedingte Bereitschaft, hart durchzugreifen, wo er es für angebracht hält. Anlass zum Durchgreifen hat er bei Unicredit zur Genüge. Innerhalb eines Jahres ist der Kurs der Unicredit-Aktie um mehr als zwei Drittel eingebrochen. Beobachter erwarten, dass Mustier schon im Herbst eine neue Strategie vorschlägt - und das wird auch Auswirkungen auf die deutsche Tochter HVB haben, die innerhalb des Konzerns die höchsten Gewinne abliefert. Bei Unicredit kristallisieren sich die Probleme der gesamten europäischen Bankenbranche: Sie leidet unter den Niedrigzinsen, der lahmen Konjunktur und der Unsicherheit nach dem Brexit-Referendum. Hinzu kommen nicht aufgearbeitete Altlasten aus der Finanzkrise: 360 Milliarden Euro faule Kredite haben die italienischen Banken in ihren Büchern, die Unicredit hat davon 80 Milliarden.

Und schon sind Politik und Notenbanker wieder im Krisenmodus - und denken laut über Staatshilfen nach, um die Banken zu retten. Der EZB-Banker Constancio sagte am Donnerstag: Man müsse auf ein Versagen mancher Märkte reagieren, dazu zähle auch eine "kleine öffentliche Unterstützung, um die Stabilität einiger Bankensektoren spürbar zu verbessern". Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi kämpft schon seit Monaten dafür, die italienischen Banken mit Kapitalspritzen zu stärken, zuletzt hat er beim EU-Gipfel vergangene Woche eine Abfuhr erhalten, als er sich die Genehmigung für Hilfen in Höhe von 40 Milliarden Euro holen wollte. Am Freitag schließlich meinte der italienische Notenbankchef Ignazio Visco auf einer Veranstaltung in Rom: Die gegenwärtige Situation sei voller Risiken für die Finanzstabilität, staatliche Unterstützung sei deshalb nötig und auch nach den EU-Regeln möglich. Die Lage ist auch politisch heikel. In Italien haben viele Kleinsparer, Firmen und Gewerkschaften den Banken über Anleihen Geld geliehen.

Die Situation führt Europa vor Augen, wie wenig die Bemühungen, den Bankensektor zu regulieren, gebracht haben. In der Finanzkrise hat die Politik versprochen, dass Staatshilfen für Banken in Zukunft nicht mehr vorkommen werden. Und tatsächlich gibt es inzwischen ein Regelwerk, das solche Fälle ausschließt. Nach den Regeln der Bankenunion ist klar: Eine Pleite-Bank muss vom Markt, die Aktionäre und die Gläubiger müssen den Verlust tragen - und nicht mehr der Steuerzahler.

Die Bankenaufsicht bei der EZB kann die Pleite einer Bank feststellen und den Abwicklungsprozess einleiten. Die Geldpolitiker bei der EZB fürchten dann allerdings eine neue Finanzkrise, die den gesamten Bankensektor in Europa erfassen könnte. Die EZB steckt in der Bredouille.

"Wenn wir dort jetzt Staatsgeld reinstecken, dann schützt das nur die Gläubiger."

Blackrock-Vizechef Hildebrand spricht von "Frustration", wenn er über die Lage der Banken redet. Die Türme der krisengeplagten Deutschen Bank sind 100 Meter Luftlinie entfernt. Europa habe es in den vergangenen Jahren verschlafen, das Bankensystem zu sanieren. Ein "riesiger Fehler" sei das gewesen, denn Europas Wirtschaft brauche für starkes Wachstum gesunde Banken. Er fordert, dass Italiens Steuerzahler den heimischen Bankensektor retten sollen. Das ist nach den Regeln der Bankenunion nicht vorgesehen, doch Hildebrand nennt eine Ausnahmeklausel: "Wenn man eine italienische Großbank Pleite gehen lässt, dann erzeugt man eine Ansteckung bei den Banken in ganz Europa.

Diese Stinkefinger-Skulptur setzte der Künstler Maurizio Cattelan anlässlich einer Modenschau 2014 vor die Mailänder Börse. Wem wohl die Geste gilt? (Foto: Gabriel Bouys/AFP)

Die Stabilität der Euro-Zone wäre gefährdet." Das rechtfertige ein Eingreifen. Doch ist das wirklich so? Lassen sich die Regeln nicht anwenden, weil die Banken ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und sie immer noch im gleichen schlechten Zustand wie in der Finanzkrise sind? Nicht alle sehen das so. Ein paar Straßenzüge von Frankfurts Bankentürmen entfernt sitzt Jan Pieter Krahnen in seinem Büro am House of Finance der Goethe Universität. "Wir müssen endlich auch Kreditinstitute abwickeln. In Italien betrifft es nur einige wenige Bankinstitute, das kann das System durchaus verkraften. Wenn wir dort jetzt Staatsgeld reinstecken, dann schützt das nur die Gläubiger", fordert der Bankenprofessor. Er saß in der renommierten Liikanen-Kommission, die für die Europäische Union Vorschläge zu Strukturreformen im Bankenmarkt vorgelegt hat. Die Abwicklung von Instituten war eine der Kernforderungen der Experten.

Das größte Problem der Banken sei nicht ein Kapitalmangel, sondern die mangelnde Profitabilität. Es gebe schlichtweg immer noch zu viele Banken in Europa, die zu wenig Gewinn machten. "Die zwei wesentlichen Probleme sind, dass die Banken betriebsbedingte Kündigungen ausschließen und die Digitalisierung ihres Geschäfts unterlassen haben." Die Banken stehen also unter Druck, weil sie sich nicht reformiert haben. "Was wir jetzt sehen, ist eine Krise der Restrukturierungsverweigerer. Es ist daher ganz wichtig, auch für den inneren Frieden in Europa, dass wir jetzt die Regeln tatsächlich anwenden", fordert der Bankenprofessor.

Andererseits: So schlimm wie 2008 ist die Situation noch lange nicht, wie sich auch auf den Gängen von Blackrock beobachten lässt. Bierbänke werden geschleppt, durch die bodentiefen Fenster fällt die Sonne. Man feiert den Start einer viertägigen Radtour. Auch Philipp Hildebrand ist dabei, er und seine Kollegen fahren in vier Tagen 400 Kilometer von Frankfurt nach München. Das stärkt den Teamspirit in einer Firma, in der alles ziemlich gut läuft. Der Bankenkrise zum Trotz.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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