Italien:Ein neuer Sündenfall

Italien: Kulisse wie im antiken Theater: die Monte dei Paschi di Siena. Die Finanzprobleme der Bank werden auf europäischer Bühne verhandelt.

Kulisse wie im antiken Theater: die Monte dei Paschi di Siena. Die Finanzprobleme der Bank werden auf europäischer Bühne verhandelt.

(Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

Premierminister Renzi will die angeschlagenen Banken des Landes im Alleingang retten. Damit würde er gegen EU-Regeln verstoßen. Das ärgert die Regierung in Berlin.

Von Cerstin Gammelin, Markus Zydra, Berlin/Frankfurt

Das Zögern passt nicht zur medialen Präsenz. Ob in Zeitungen oder im Fernsehen, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stand über das Wochenende stets parat, um zu erklären, wie es weitergehen soll mit Europa. Er sprach über Rüstung, Flüchtlinge und Clouds - zögerte aber unübersehbar, darüber zu reden, wofür er per Amt zuständig ist: für Banken, Euro-Länder, Finanzen. Die Euro-Zone, sagte Schäubles Sprecher am Montag auf Nachfrage, sei eben gerade nicht dringlich. Der Minister freue sich sehr, "dass wir uns im Moment in der Euro-Zone in einer stabilen Lage befinden".

Doch wie sieht es in Italien aus, der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone? Die dortigen Banken ächzen unter Bergen fauler Kredite. Eigentlich bräuchten die Institute frisches Kapital, doch die Investoren geben nichts, schon gar nicht nach dem Brexit. Der italienische Premier Matteo Renzi möchte nun angesichts der prekären Situation die Regeln der Bankenunion kippen und das nationale Bankensystem mit Milliarden aus dem Staatshaushalt retten, obwohl die Regeln der Bankenunion genau dies untersagen.

Sieht so eine "stabile Lage" aus? An dieser Stelle wird es still im Bundesfinanzministerium. Italien, das war schon Schäubles Sorgenkind, als es darum ging, in den 1990er-Jahren die Währungsunion zu konstruieren. In Interviews versuchte er damals, die Zauderer zu überzeugen. Und heute? Der Minister, sagte sein Sprecher, habe dem, was die Bundeskanzlerin vor ein paar Tagen gesagt habe, nichts hinzuzufügen.

Dass Schäuble auf Angela Merkel verweist statt selbst zu sprechen, ist ungewöhnlich. Es zeigt, wie groß die Sorge in Berlin ist, dass die Glaubwürdigkeit der Euro-Zone leidet, und zwar unmittelbar nach dem Beschluss der Briten, die Europäische Union zu verlassen. Und dass sich niemand in Berlin findet, der Renzi aufruft, die Regeln einzuhalten, zeigt andererseits auch, wie fragil die politische Lage in Italien ist. Renzi ist für die Bundesregierung in den bewegten Brexit-Zeiten trotz allem ein verlässlicher Partner. Die Euro-Zone ist auf politische Stabilität in Rom angewiesen.

Italien würde seinen maroden Banken am liebsten Milliarden aus dem Staatshaushalt zuschießen

Die Regeln der Bankenunion darf Renzi dennoch nicht brechen. Einerseits, weil sowohl die Kredit- als auch die Glaubwürdigkeit der Banken aus der Euro-Zone daran hängen. Andererseits, weil Italien dann in die Fußstapfen von Deutschland und Frankreich treten würde. Die beiden Länder hatten 2004 den Stabilitäts- und Wachstumspakt kurzerhand zu ihrem Vorteil außer Kraft gesetzt; seither werden die Regeln in der ganzen Euro-Zone kaum mehr eingehalten.

Rom, Berlin und Brüssel suchen fieberhaft nach einem Ausweg aus dem Dilemma: einerseits die Regeln zu beachten, andererseits Renzi zu stabilisieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel skizzierte zuletzt am Rande des Europäischen Rates, wie ein Ausweg aussehen könnte. Die EU-Staaten hätten gerade mit Blick auf die Bankenunion daran gearbeitet, bestimmte Festlegungen, bestimmte Regeln zur Abwicklung und zur Rekapitalisierung von Banken aufzustellen. "Wir können ja nicht alle zwei Jahre die Dinge wieder neu machen." Alle hätten "sehr viel Kraft darauf verwendet", weshalb sie glaube, "dass beide Rechtsgrundlagen genügend Raum bieten, um auch den spezifischen Bedingungen einzelner Mitgliedstaaten entsprechen zu können". Das klingt kompliziert, zeigt aber, dass sich Berlin kompromissbereit zeigt.

Der Aufbau der Bankenunion folgte den Erfahrungen aus der großen Finanzkrise 2008. Damals wurde deutlich, dass Europas Bankensektor eine zentrale und einheitliche Aufsicht und Abwicklungsbehörde brauchte. Die EZB kontrolliert seit November 2014 die 128 größten Banken der Währungsunion. Dazu gesellt sich seit 1. Januar die gemeinsame Bankenabwicklung in Brüssel bei der zuständigen Behörde SRM. Dort sollen Pleite-Institute in Teilen gerettet oder komplett liquidiert werden. Bislang gab es noch keinen solchen Fall. Das einheitliche Abwicklungsregime soll vermeiden, dass noch einmal wie in der Finanzkrise 2008 der Steuerzahler zur Rettung von Banken zur Kasse gebeten wird. Für eine marode Bank, so sieht es das Regelwerk vor, sollen zuallererst die Aktionäre und dann die Gläubiger - also Investoren von Anleihen der Banken - haften (Bail-in). Selbst Spareinlagen über 100 000 Euro sind im schlimmsten Fall pfändbar. Die Bürger haften nicht mehr in ihrer Funktion als Steuerzahler - als Sparer unter Umständen aber schon.

Für Berlin ist Italien ein wichtiger Partner, den man nicht brüskieren möchte - gerade nach dem Brexit

Renzi möchte das verhindern, denn er befürchtet politischen Aufruhr und einen Bankenansturm der Sparer. Viel zu viele italienische Bürger besitzen Bankanleihen, die bei Anwendung der Regeln große Wertverluste erleiden würden. Der italienische Premier möchte deshalb lieber Staatsgeld nachschießen. Er beruft sich darauf, dass 2008, als die anderen EU-Staaten begannen, ihre Banken mit Staatsgeld zu sanieren, dies möglich gewesen sei. Warum also sollte er nicht das gleiche Recht haben? Weil er damit die Glaubwürdigkeit der Bankenunion untergräbt, noch bevor diese so richtig ihre Arbeit aufgenommen hat, würden die Gegner wohl antworten.

Italiens Banken stehen schlecht da. Die vier größten Institute des Landes leiden unter faulen Kredite im Wert von rund 85 Milliarden Euro. Der gesamte Bankensektor soll auf etwa 360 Milliarden Euro schlechter Darlehen sitzen - das entspricht knapp einem Viertel des Bruttoinlandprodukts. Die italienischen Banken haben seit dem Brexit-Votum rund ein Drittel an Börsenwert verloren. Die fallenden Aktienkurse unterstreichen, dass kaum ein Investor bereit sein dürfte, den italienischen Banken frisches Kapital zu geben, um deren Verluste aus dem Kreditgeschäft auszugleichen.

Der Brexit verschlimmert die Lage, weil dadurch das Wachstum in der Euro-Zone schwächer ausfällt als erwartet: Weniger Wachstum führt statistisch zu einer höheren Kreditausfallwahrscheinlichkeit und damit zu noch höheren Abschreibungen. Italiens Banken leiden darüber hinaus wie die deutsche Konkurrenz unter der Niedrigzinsphase. Doch Deutschland kann den Nullzins aufgrund der guten Konjunktur besser verkraften.

Die Bankenaufseher bei der EZB dringen auf eine Lösung. So muss die drittgrößte Bank Monte dei Paschi di Siena bis zum 3. Oktober einen neuen Geschäftsplan vorlegen, mit dem der Anteil der faulen Kredite am gesamten Darlehensumfang bis 2018 fast halbiert werden soll. Allein der Glaube, dass dieses Vorhaben gelingt, fehlt. Die Aktie fiel am Montag um weitere acht Prozent. Die Spekulanten wittern Profite in dem Chaos. Der Milliardär George Soros wettete zuletzt auf fallende Kurse bei der Deutschen Bank - und gewann.

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