Finanzkrise:Europa zittert um Spanien

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Furcht vor der Pleite: Erst musste Spanien einräumen, dass es am Finanzmarkt keine bezahlbaren Kredite bekomme. Jetzt zeichnet sich ab, dass Madrid schon an diesem Wochenende den Euro-Rettungsschirm in Anspruch nehmen könnte. Nach Einschätzung des IWF benötigt der Bankensektor mindestens 40 Milliarden Euro. Doch warum ist Spaniens Krise so gefährlich?

Hans von der Hagen

Nun also Spanien. Noch vor kurzem hatte das Land beteuert, dass es keine Hilfen aus dem europäischen Rettungsfonds in Anspruch nehmen wolle. Doch nun scheint zunehmend klar: Bereits am Wochenende könnte Spanien die Hilfsmilliarden anzapfen. Bislang hat das Land nach Angaben der EU-Kommission allerdings nicht um Unterstützung gebeten. Gleichwohl betont die Kommission, dass bei einem Antrag Spaniens auf Hilfen aus dem EFSF Fonds die entsprechenden Instrumente zur Verfügung stünden. Was bedeutet das? Die spanische Krise in Fragen und Antworten.

Brennende Barrikaden und Kohlearbeiter: Protest Anfang Juni in Vega del Rey in Nordspanien. (Foto: REUTERS)

Warum braucht Spanien voraussichtlich Geld?

Das größte Problem Spaniens sind die Banken. Als der Immobilienmarkt boomte, vergaben die Finanzinstitute zu eilfertig Kredit. Mittlerweile sind die Immobilienpreise teils drastisch gefallen. Viele Schuldner können ihre Darlehen nicht mehr zurückzahlen. Nun muss das Land die eigenen Banken stützen. Doch mittlerweile ist das Misstrauen der Anleger so groß, dass Spanien am Finanzmarkt Geld nur noch zu Zinssätzen bekommt, die für das Land kaum mehr finanzierbar sind. Den Ernst der Lage spiegelt auch die drastische Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes durch die Ratingagentur Fitch. Sie bewertet spanische Staatsanleihen statt bisher mit einem A-Rating nur noch mit der Note BBB - und damit nur noch knapp über dem Ramschniveau. Fitch-Konkurrent Standard & Poor's hatte Spanien bereits Ende April herabgestuft.

Warum ist eine Ausweitung der Krise in Spanien so gefährlich?

Spanien ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, nach Deutschland, Frankreich und Italien. Die Wirtschaftsleistung ist fast fünf Mal so groß wie die Griechenlands. Sollte das Land zahlungsunfähig werden, hätte dies noch weit gravierendere Folgen als die Pleite Griechenlands, weil viele Banken im Euro-Raum Spanien Kredit gegeben haben. Somit ist die Gefahr groß, dass Spanien im Falle einer Verschärfung der Krise weitere Länder mit in den Abgrund reißt.

Wie viel Geld braucht Spanien?

Dazu gibt es noch keine endgültigen Angaben. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) braucht der Bankensektor mindestens 40 Milliarden Euro. Das habe ein Stresstest bei den Finanzinstituten des Landes ergeben. Der IWF stellte zugleich klar, dass dies nur die untere Grenze des Finanzbedarfs sei. Es könnten auch weit höhere Zahlungen nötig sein - womöglich doppelt soviel. In dem Stresstest seien noch keine zusätzlichen Kapitalanforderungen enthalten, die als Puffer für Umstrukturierungskosten und faule Kredite empfohlen werden. Ein IWF-Vertreter sagte, für eine erfolgreiche Rekapitalisierung der Banken wäre der Kapitalbedarf inklusive des Puffers eineinhalb Mal bis doppelt so groß, um die Märkte zu überzeugen, dass Spanien Schocks sicher abfedern könne. Damit würde sich die gesamte Kapitalmenge auf bis zu 80 Milliarden Euro addieren.

Auch Experten hatten zuvor geschätzt, dass die Geldinstitute Hilfen von 75 bis 100 Milliarden Euro brauchen könnten. Allein die Krisenbank Bankia will vom Staat mehr als 23 Milliarden Euro haben. Nach Angaben der Zentralbank halten die Finanzinstitute Spaniens noch 184 Milliarden Euro an "problematischen" Immobilen, dazu gehören auch die Kredite und gepfändete Häuser. Unklar ist, welchen Teil der Bankenhilfe Spanien selbst aufbringen kann - und für welche Summe womöglich nun die EU einspringen muss.

Wie ist der Zeitplan zur Rettung der Banken?

Die spanische Regierung betonte, einen Plan zur Sanierung der Institute gebe es erst dann, wenn der Internationale Währungsfonds (IWF) und die zwei beauftragten Beratungsfirmen ihren Bericht zur Lage der Geldhäuser vorgelegt hätten. Am kommenden Montag wird der IWF seinen Bericht zur Situation im Land vorstellen. Allerdings hieß es inoffiziell auch, dass die Zahlen des IWF auch schon an diesem Freitag veröffentlicht werden könnten. Der Report der beiden Beratungsunternehmen Roland Berger und Oliver Wyman wird für den 17. und 18. Juni erwartet.

Was sagt die Bundesregierung dazu?

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte klar, dass Spanien bislang keinen Antrag auf Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm gestellt habe. Deutschland werde da auch "keinen Druck ausüben". Gleichwohl werde Europa bereitstehen, angeschlagenen Euro-Staaten zu helfen. "Wir haben alles das, was notwendig ist, für eine stabile Entwicklung der Eurozone", sagte Merkel. "Jetzt ist es an den einzelnen Ländern, sich sozusagen an uns zu wenden."

Steht Spanien wirtschaftlich so schlecht da wie etwa Griechenland?

Das kommt drauf an, welche Kriterien zu Grunde gelegt werden: Gemessen an der Staatsverschuldung steht Spanien weit besser das als Griechenland. Nach Einschätzung der Regierung könnte der Schuldenberg in diesem Jahr auf 80 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes wachsen. Ende 2011 waren es 67 Prozent.

Zum Vergleich: Griechenlands Schulden könnten in diesem Jahr trotz Schuldenschnitts rund 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen. Und selbst Frankreich dürfte zum Jahresende eine Verschuldung von mehr als 90 Prozent des BIP ausweisen. Gemessen an anderen Kriterien hat Spanien aber ganz erhebliche Probleme: Jeder Vierte ist hier ohne Job. Damit hat das Land eine der höchsten Arbeitslosenquote in der EU. Außerdem bricht die Industrieproduktion seit Monaten ein. Die Wirtschaft wird in diesem Jahr Prognosen zufolge um knapp zwei Prozent schrumpfen.

Bei Protesten gegen Kürzungen im Bergbau: Szene aus Nordspanien. (Foto: REUTERS)

Warum bekommt Frankreich mit seinem höherem Schuldenberg mühelos Geld, Spanien aber nicht?

Kredite sind ein Vertrauensgeschäft - und Spanien hat das Vertrauen der Anleger verloren. Dies spiegelt sich in den Zinsen wider, die Spanien am Finanzmarkt zahlen muss. Scherzhaft nennen Investoren den Zinsaufschlag, den Anleger etwa im Vergleich zu einer eher sicheren Anlage wie etwa einer deutschen Bundesanleihe zahlen, "Zitterprämie". Die Zitterprämie für Spanien ist so hoch, weil die Anleger davon ausgehen, dass das Land aus eigener Kraft nicht mehr aus der Krise findet - und womöglich sogar mal aus der Eurozone ausscheiden könnte. Das Wall Street Journal zieht in diesem Zusammenhang eine Parallele zur Krise im Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems im Jahr 1992: Damals schieden Großbritannien und Italien aus dem Mechanismus aus, Frankreich hingegen wäre notfalls von Deutschland gestützt worden. Ähnlich könnten Anleger heute denken, dass ein Verbleib Spaniens in der Währungsunion unsicherer ist als ein Verbleib Frankreichs.

Wie viele Länder haben mittlerweile den Rettungsschirm in Anspruch genommen?

Bislang sind dies Irland, Griechenland und Portugal. Spanien wäre also das vierte Land, dass den Rettungsfonds in Anspruch nehmen muss. Und es gibt noch einen weiteren Kandidaten: Auch Zypern hat angedeutet, dass es demnächst Hilfen in Anspruch nehmen könnte.

Würde Spanien mit einem Hilfsantrag - ähnlich wie Griechenland - an Souveränität einbüßen?

Seit vergangenem Herbst sehen die Leitlinien des EFSF die Möglichkeit eines reinen Bankenrettungsprogramms vor. "Spanien müsste daher nicht bei jeder Tranche, die vom EFSF ausgezahlt wird, seine gesamte Finanz- und Wirtschaftspolitik durchleuchten lassen", sagt der Ökonom Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft (IfW). Vielmehr gehe es um Sanierungsmaßnahmen für einzelne Institute bis hin zur Abwicklung. "Die Aufsicht über seinen Bankensektor würde das Land de facto aber verlieren", sagt der Forscher. Ein wesentlicher Vorteil eines Bankenrettungsprogramms sei, dass es relativ zügig eingesetzt werden könnte.

Wie reagieren die Finanzmärkte auf die Spekulationen über einen bevorstehenden Hilferuf Spaniens?

Viele Anleger hatten diese Entwicklung in den vergangenen Tagen bereits vorweggenommen. Am Aktienmarkt hatte der Dax schon vor den ersten Meldungen über einen möglichen Antrag Spaniens auf Milliardenhilfen im Minus gelegen. Im weiteren Handelsverlauf konnten die Aktien ihre Verluste sogar etwas reduzieren. Der Euro notierte etwas schwächer.

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