Es war am Dienstagnachmittag um Punkt 14.09 Uhr deutscher Zeit, als für die Weltfinanzmärkte eine Horrorvorstellung wahr zu werden schien: Der Geldfluss an der Wall Street drohte auszutrocknen. Wer sich als Bank für wenige Stunden Kapital leihen wollte, hatte plötzlich ernste Probleme. Kaum jemand rückte noch Bargeld heraus - und wenn, dann nur gegen hohe Zinsen: Auf sechs, acht, in der Spitze gar zehn Prozent schossen die Sätze für sogenannte Wertpapierpensions- oder Repo-Geschäfte nach oben. "Das war verrückt", sagte Händler Scott Skrym der Agentur Bloomberg.
Die US-Notenbank Fed reagierte sofort: Erstmals seit der großen Finanzkrise des Jahres 2008 pumpte sie binnen weniger Stunden gleich zweimal Geld in den Markt, um das Räderwerk des globalen Finanzsystems am Laufen zu halten - insgesamt 128 Milliarden Dollar. Am Mittwoch senkte der geldpolitische Ausschuss der Fed zudem die Tagesgeldzielspanne, jenen Leitsatz, der den Banken signalisieren soll, zu welchem Zins sie sich untereinander Geld leihen sollten, um ihren Mindestreserveverpflichtungen bei der Fed nachzukommen. Die Spanne liegt nun bei 1,75 bis zwei Prozent, einen viertel Punkt unter dem bisherigen Niveau.
Experten sehen keine Schocksituation am Finanzmarkt
Fed-Chef Jerome Powell sagte nach der Ausschusssitzung, die Konjunkturaussichten seien prinzipiell weiter gut. Es gebe aber Risiken wie etwa den amerikanisch-chinesischen Handelsstreit. Zwar haben die vorübergehende Geldflaute bei Repo-Geschäften und die Leitzinssenkung direkt nichts miteinander zu tun. Beide Vorgänge verdeutlichen aber die Nervosität, die angesichts der fragilen Weltwirtschaftslage derzeit unter Managern, Politikern, Notenbankern und Finanzmarkthändlern herrscht.
Manche warnen sogar bereits vor einer neuen Finanzkrise, denn auch die Turbulenzen des Jahres 2008 begannen damit, dass sich die Finanzhäuser untereinander kein Geld mehr leihen wollten. Umgekehrt warnen viele Experten aber auch vor Panik: Zwar seien rapide Zinsanstiege und Zentralbankeingriffe am Repo-Markt eher die Ausnahme, bisher gebe es aber keine Hinweise auf neue systemische Probleme, hieß es. "Es liegt hier keine Schocksituation vor", sagt der Zinsexperte eines deutschen Bankhauses.
Von zwei Seiten Geld aus dem Markt abgesaugt
Wer verstehen will, was sich gerade abspielt, muss sich diesen kaum beachteten Winkel des Finanzmarkts genauer anschauen. Ökonomen, Analysten und Börsianer lassen ihn gerne links liegen, doch er ist von zentraler Bedeutung. Auf dem Repo-Markt besorgen sich Banken oder auch hoch spekulative Hedge-Fonds, die eine Verbindlichkeit begleichen und für kurze Zeit Liquidität brauchen, die entsprechenden Mittel. Viele Geldmarktfonds und Investmentgesellschaften, die auf Cash sitzen, nehmen das Angebot gerne an: Sie leihen ihr Bargeld für einen Tag oder eine Nacht aus und nehmen als Sicherheit im Gegenzug Wertpapiere des Schuldners "in Pension". Zudem erhalten sie einen niedrigen Zins, das Geschäft muss sich schließlich auch für den Geldgeber lohnen.
Doch warum nun schossen die Zinsen plötzlich in die Höhe? Fachleute glauben, dass es zwei Dinge waren, die zufällig zusammentrafen und den Geldmarkt aus dem Gleichgewicht brachten. So brauchten viele US-Unternehmen Anfang der Woche dringend Bares, weil sie zum Stichtag 15. September ihre vierteljährlichen Steuern an die Finanzämter des Bundes, der Bundesstaaten und der Kommunen überweisen mussten. Auf der anderen Seite gab es wenig Geld im System, weil zum selben Zeitpunkt viele Käufer von Wertpapieren fällige Rechnungen begleichen mussten. Es wurde also von zwei Seiten gleichzeitig Cash aus dem Finanzsystem abgesaugt - das war wohl schlicht zu viel auf einmal.
Fed-Chef Powell bestätigte diese Analyse weitgehend. Man beobachte den Markt genau, der zeitweise Zinsanstieg habe aber weder Folgen für die Wirtschaftsentwicklung, noch behindere sie die Notenbank bei der Steuerung des Zinsniveaus. Er gehe davon aus, dass sich die Sätze wieder auf dem gewünschten Niveau einpegelten.
Präsident Trump greift die Fed scharf an
Die Senkung der Tagesgeldspanne einen Tag später begründete Powell mit den gestiegenen Risiken für die Wirtschaftsentwicklung. Mit ihrer Entscheidung stütze die Notenbank die Konjunktur und schaffe zugleich eine Art Puffer für den Fall, dass es tatsächlich spürbar bergab gehen sollte. Powell räumte ein, dass es in der Fed-Führung unterschiedliche Ansichten zur Wirtschaftslage gibt. Für den Beschluss, die Zielspanne um einen viertel Punkt herabzusetzen, votierten sieben von zehn stimmberechtigten Ausschussmitgliedern. Zwei plädieren gegen jede Zinssenkung, einer forderte dagegen eine noch stärkere Reduzierung um einen halben Punkt.
Präsident Donald Trump griff die Fed nach deren Beschluss einmal mehr scharf an. "Jay Powell und die Federal Reserve versagen erneut. Kein Mumm, kein Gespür, keine Vision", schrieb er bei Twitter. Powell sei "ein furchtbarer Kommunikator". Der Fed-Chef selbst ging nicht auf die Kritik ein. Er ließ aber zugleich durchblicken: Eine sofortige Senkung des Leitzinses "auf null oder sogar darunter", wie sie Trump zur Verbesserung seiner Wiederwahlchancen im Jahr 2020 verlangt hatte, wurde bei der Ausschusssitzung nicht einmal diskutiert.