Fed-Chef Bernanke:Zwischen Wall Street und Main Street

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Nur mit Ach und Krach bestätigt: Für Fed-Chef Bernanke beginnt die zweite Amtszeit stürmisch. Sie wird ein Balanceakt bleiben.

Nikolaus Piper, New York

Am Ende waren alle erleichtert. Nach europäischer Zeit am späten Donnerstagabend bestätigte der Senat mit der komfortablen Mehrheit von 70 zu 30 Stimmen Ben Bernanke für eine zweite Amtszeit als Präsident der Notenbank Federal Reserve.

Schüchtern aber intelligent: Fed-Chef Ben Bernanke. (Foto: Foto: Reuters)

In seinem Glückwunsch lobte Präsident Barack Obama die "Weisheit und die Führungsqualitäten" Bernankes. Der Kurs des Dollars stieg, die Aktienkurse an der Wall Street erholten sich und das Gold wurde billiger - alles Indizien des Vertrauens. In der wichtigsten Notenbank der Welt stehen die Zeichen auf Kontinuität, und das ist nach der Krise allemal Anlass zur Erleichterung.

Man kann die Dinge aber auch aus einer anderen Perspektive sehen. Ben Bernanke wurde mit dem schlechtesten Ergebnis in der 97-jährigen Geschichte der Federal Reserve bestätigt. Ähnlich umstritten war lediglich der legendäre Paul Volcker im Jahr 1983, und der bekam immerhin noch 84 Stimmen. In seiner eigenen Partei, den Republikanern, ist Bernankes Mehrheit mit 22 zu 18 Stimmen sogar noch knapper.

Verbindender Zorn auf Wall Street

Die Tatsache, dass der Chef der Federal Reserve auf so viel Opposition im eigenen Land stößt, wird in den kommenden vier Jahren Konsequenzen haben, man weiß nur noch nicht welche: Wird er politischem Druck nachgeben und ein schwacher Fed-Chef werden? Oder wird er im Gegenteil in Rechnung stellen, dass Unabhängigkeit sein wichtigstes Kapital ist und deshalb die Zinsen noch etwas früher erhöhen als notwendig? Im einen Fall würde er Inflation riskieren, im zweiten den Rückfall in eine neue Rezession.

Um was es geht, lässt sich am besten anhand der Äußerungen von Bernanke-Gegnern zeigen. "Unser nächster Fed-Chef muss einen sauberen Bruch mit der gescheiterten Politik der Vergangenheit repräsentieren," erklärte zum Beispiel die linke demokratische Senatorin Barbara Boxer aus Kalifornien kurz vor der Abstimmung. "Es wird Zeit, dass Main Street einen Fürsprecher in der Fed bekommt."

"Main Street", wörtlich: "Hauptstraße", ist das Synonym für das einfache, durchschnittliche Amerika. Wo deutsche Politiker von "Normalbürgern" oder von den "Menschen draußen im Lande" sprechen, da führen ihre amerikanischen Kollegen "Main Street" an.

"Main Street" steht immer im Gegensatz zu Wall Street und zur Regierung in Washington. Der Zorn auf die Wall Street eint linke Demokraten und rechte Republikaner. Ben Bernanke symbolisiert Washington ebenso wie Wall Street und ist daher der ideale Blitzableiter für den derzeit grassierenden Volkszorn. Dies erklärt zum Teil das Abstimmungsergebnis vom Donnerstag.

Bernanke selbst ist sich dieser Zusammenhänge sehr bewusst. "Ich komme aus Main Street..., das alles ist sehr real für mich," sagte er im vergangenen Herbst, als die Debatte um seine Wiederwahl begann.

Tatsächlich ist Bernanke alles andere als ein Mann der Wall Street. Er wurde 1953 als Sohn eines Drogisten in Dillon geboren, einer armen Kleinstadt in South Carolina. Die Arbeitslosenrate liegt dort heute bei 17,2 Prozent, weit über dem Landesdurchschnitt; das Haus, in dem Bernanke seine Kindheit verbrachte, wurde im vorigen Jahr zwangsversteigert, weil der Besitzer seine Raten nicht mehr bezahlen konnte.

Dass es die jüdische Familie Bernanke überhaupt in das christlich-konservative und rassengetrennte South Carolina verschlug, hat direkt mit der Weltwirtschaftskrise zu tun. Sein Großvater Jonas Bernanke war ein Offizier der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg gewesen.

Student in Harvard, Professor in Princeton

Nach 1918 wanderte er nach Amerika aus und betrieb in New York einen Drugstore. Für den sah er nach dem Börsenkrach von 1929 keine Zukunft mehr; er kaufte eine kleine Apotheke in Dillon und benannte sie nach seinen Initialen: Jay Bee Drug Co.

Zu seinen Jugenderinnerungen gehörte ein Gespräch mit seiner Großmutter über die Weltwirtschaftskrise. Sie berichtete ihm von einer Stadt, in der ein paar Schuhfabriken schließen mussten, und die daraufhin so arm wurde, dass die Kinder barfuß herumlaufen mussten. "Warum haben sie nicht einfach die Fabriken wieder geöffnet und den Kindern Schuhe gemacht?" fragte er die Großmutter und bekam vermutlich keine befriedigende Antwort darauf.

Die Weltwirtschaftskrise wurde das Thema seines Lebens. Er studierte Ökonomie an der Harvard-Universität und wurde Wirtschaftsprofessor in Princeton. Dort entwickelte er sich zu einem der weltweit führenden Experten für die Erforschung der Großen Depression. Sie zu verstehen sei der "heilige Gral" der Volkswirtschaftslehre, schrieb er einmal.

In Princeton baute er unter anderem das Bendheim Center for Finance auf, an dem junge Ökonomen aus der ganzen Welt über das Entstehen von Spekulationsblasen forschen. Alles in seinem Leben war eigentlich darauf ausgerichtet, seine Zeit zwischen Wissenschaft und Familie aufzuteilen. Er ist kein besonders guter Redner, er ist schüchtern und hat auch sonst kaum Eigenschaften, die man eigentlich für ein öffentliches Amt braucht.

Ein Streber

Außer der Tatsache, dass er als ungewöhnlich intelligent gilt. Als Präsident George Bush Bernanke für das Amt des Fed-Chefs vorschlug, soll seine Frau Anna geweint haben, weil sie wusste, dass das ruhige Wissenschaftlerleben jetzt vorbei sein würde.

Freunde bezeichnen Bernanke als einen "Nerd", was so viel heißt wie "Streber", "Fachidiot" oder "Bücherwurm". "Bernanke ist ein Nerd. Er ist nur zufällig der mächtigste Nerd der Welt", schrieb das Magazin Time, als es ihm wegen seiner Verdienste in der Rezession zum "Mann des Jahres" kürte.

Es ist eine schier unglaubliche Geschichte, dass ein Bücherwurm, der sich auf Wirtschaftsgeschichte spezialisiert hat, gerade in dem Augenblick auf dem richtigen Posten ist, um die Wiederholung dieser Geschichte zu verhindern. Dass er dies getan hat, steht außer Frage. Ohne die aggressive und unorthodoxe Politik der Federal Reserve wäre die Welt in eine neue, wenn nicht sogar schlimmere Krise gestürzt als 1929.

Aber das macht Bernanke noch nicht zum strahlenden Helden. Als der Fed-Chef "Mann des Jahres" wurde, schrieb ein amerikanischer Blogger, das sei so als würde man einen Brandstifter dafür ehren, dass er beim Löschen des von ihm gelegten Feuers so heldenhaft geholfen hat.

Dieses Bild ist nicht ganz falsch. Bernanke trug und unterstützte die Politik seines Vorgängers Alan Greenspan, die wesentlich zur Finanzkrise beigetragen hat. Er stimmte als Mitglied des Offenmarktausschusses jeder Zinssenkung der Fed zu und tat nichts gegen die haarsträubenden Zustände auf dem amerikanischen Immobilienmarkt. Noch im März 2007 behauptete er, die Krise dort sei "eingedämmt".

Schnell und entschlossen

Als er dann aber verstanden hatte, um was es geht, handelte er schnell und entschlossen. Er pumpte Geld in einem Ausmaß in die Wirtschaft, wie es vorher unvorstellbar gewesen wäre. Dass er dies tat, hat direkt mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun.

Bernanke teilte die Meinung des verstorbenen Nobelpreisträgers Milton Friedman, dass der Börsenkrach von 1929 nicht durch die Sparpolitik der Regierungen, sondern durch die Fehler der Fed zur Katastrophe wurde.

Bei einer Feier zu Friedmans 90. Geburtstag im Jahr 2002 sagte er zu dem Jubilar: "Was das Thema Depression angeht, hatten Sie recht. Wir (die Fed) waren die Schuldigen. Aber dank Ihnen werden wir es nicht mehr tun." Wir werden es nicht mehr tun - das war Bernankes Motiv seit dem Herbst 2007.

"Krieg der Vergangenheit"

Er wollte nicht der Fed-Chef sein, der eine zweite Große Depression verschuldet. Interessanterweise erntete Bernanke einige Kritik gerade aus den Reihen der Monetaristen. Anna Schwarz, eine enge Mitarbeiterin Friedmans, schrieb, Bernanke "kämpfe den Krieg der Vergangenheit".

Der Wirtschaftsprofessor Allan Meltzer meinte im SZ-Interview, Bernanke habe in der Krise zwar das Richtige getan, er verfüge aber über keine Strategie, wie die Fed die Abermilliarden von Dollar wieder aus dem Verkehr zieht, die sie in der Krise geschaffen hat.

Das ist nicht ganz richtig. Bernanke hat eine Strategie, er stellte sie sogar im Sommer bereits öffentlich vor: Eine lange Liste, zum Teil komplizierter Verfahren, um die Geldmenge einzuschränken. Die große Frage ist: Wird er sie auch umsetzen?

Der zweite Akt hat bereits begonnen

Und hier ist die Verbindung zum Abstimmungsergebnis vom Donnerstag. Alles was nötig ist, um eine Welle der Inflation zu verhindern, läuft auf höhere Zinsen und eine Verknappung des Kredits hinaus. Und dies wird sehr unpopulär sein auf "Main Street", besonders dann, wenn die Arbeitslosigkeit noch so hoch ist wie gegenwärtig und der Staatshaushalt mit einer Billion Dollar oder mehr im Defizit ist.

Am Montag beginnt Bernankes zweite Amtszeit offiziell. Der zweite Akt im Drama des Wirtschaftsprofessors, der in die Politik geworfen wurde, hat aber bereits begonnen.

© SZ vom 30.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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