Nachhaltiges Wirtschaften:Wie sich das Recht auf Reparatur schrittweise durchsetzt

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Im von der EU vorangetriebenen Recht auf Reparatur sind zum Beispiel Geräte wie Waschmaschinen erfasst, die Fachleute als "Weiße Ware" bezeichnen. (Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn)

Weniger Elektroschrott, mehr Langlebigkeit: Eine EU-Richtlinie schreibt vor, dass in den kommenden Jahren mehr Unternehmen Ersatzteile für ihre Geräte bereitstellen müssen. Das tun viele Anbieter jetzt schon. Der Aufwand ist enorm, aber er lohnt sich.

Von Lea Hampel

Etwa 40 000 Mal haben im vergangenen Jahr Menschen einen Umschlag in ihrem Briefkasten gefunden. Darin: ein Gurt mit Plastikteil, keine zehn Zentimeter lang, vergleichsweise simpel, aber wichtig. Der Brustgurt eines Kinderrucksacks stellt sicher, dass die Kleinen nicht so schwer an Brotzeitdosen und Trinkflaschen tragen. Dieser Gurt ziert Zehntausende Rucksäcke, die - mal als Elefant, mal als Tiger - täglich in deutschen Kindergärten an den Garderobenhaken hängen. Und der Gurt geht, lassen die Zahlen vermuten, Zehntausende Male im Jahr verloren. Die Firma "Fond of", die hinter den Rucksäcken steckt, verschickt die Gurte auf Nachfrage, unkompliziert und kostenlos. Sie greift damit einer Entwicklung voraus, die auf viele Firmen in den kommenden Jahren zukommen wird.

Auf europäischer Ebene ist das Recht auf Reparatur bereits auf dem Weg, voraussichtlich im Frühsommer tritt die EU-Richtlinie in Kraft. Auch die Ampelregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag ein Recht auf Reparatur angekündigt. Der genaue Zeitplan ist laut Umweltministerium noch unklar. Fest steht: Wird aus EU-Recht demnächst nationale Gesetzgebung, greifen verschiedene existierende und künftige Regelungen ineinander, unter anderem eine neue Öko-Design-Richtlinie. Kunden haben dann künftig unter anderem ein Recht auf eine Reparatur beim Hersteller, auch wenn die Gewährleistungszeit abgelaufen ist. Außerdem müssen Firmen Reparaturanleitungen und -preisangaben online stellen und Ersatzteile langfristig und erschwinglich verfügbar halten. Zunächst gilt das nicht für alle Produkte, sondern nur für Laptops, Tablets und Smartphones und sogenannte weiße Ware, also vor allem größere Haushaltsgeräte wie Kühlschränke oder Spülmaschinen.

Die Firma "Fond of" verschickt für ihre Kinderrücksäcke auf Kundenanfrage kostenlos Ersatzteile. (Foto: Fond of)

Noch sei das Recht auf Reparatur ein "kleiner, zahnloser Tiger", sagt Marion Jungbluth vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Vor allem viele Kleingeräte seien von der neuen Richtlinie nicht erfasst. Als Beispiele nennt Jungbluth Kaffeemaschinen. Auch Möbelstücke sind ausgenommen.

35 Millionen Tonnen Abfall sind Produkte, die eigentlich repariert werden könnten

Mittelfristig könnten die gesetzlichen Vorgaben aber durchaus ihre Wirkung entfalten und zu einem Umdenken führen. Schon jetzt setzen immer mehr Firmen darauf, ihren Kunden so gut wie möglich Ersatzteile zur Verfügung zu stellen. Das gilt sowohl für Unternehmen, die von der Neuregelung betroffen sind, als auch für Vertreter anderer Branchen. Die Zahl reparaturfreundlicher Anbieter wachse kontinuierlich, sagt Verbraucherschützerin Jungbluth. Der Wasserfilterhersteller Brita und der Haushaltsgerätehersteller Miele sind zwei Beispiele von vielen. Oder eben "Fond of", die Firma, die die Kinderrucksäcke herstellt und zudem Schuhe, Trinkflaschen und andere Produkte für Kinder verkauft. Manche bieten die Einzelteile gegen Geld an, andere schicken sie, wie der Wasserfilterhersteller Brita, den Kunden sogar umsonst. Dahinter stehen Nachhaltigkeitsüberlegungen - und Marketinggründe.

Laut einer Analyse der EU-Kommission entstehen jährlich 35 Millionen Tonnen Abfall allein dadurch, dass Produkte entsorgt werden, die repariert werden könnten. Weil alles immer günstiger verfügbar ist, haben Kunden gelernt, einfach eine neue elektrische Zahnbürste im Drogeriemarkt zu kaufen, wenn die alte nicht mehr angeht. Parallel dazu ist die Zahl der Geschäfte, die auf Reparaturservices spezialisiert sind, über die Jahre gesunken - weil es zu wenig Nachfrage gab, aber auch, weil die Fachkräfte fehlen. Zudem sind viele Produkte längst so gebaut, dass sie schwer zu reparieren oder Ersatzteile teuer sind. Wie stark Ersatzteilpreise schwanken, haben die Verbraucherzentralen bei einem Marktcheck kürzlich festgestellt: So gab es beispielsweise einen Waschmittelbehälter für Waschmaschinen sowohl für 5,95 Euro als auch für 72,60 Euro zu kaufen.

Grundsätzlich - und selbstverständlich mit Ausnahmen - gilt dabei eine Regel: Je hochwertiger und damit oft auch hochpreisiger die Produkte, desto öfter bieten Unternehmen eine Reparatur an. So wie "Fond of". Ein Kinderrucksack kostet immerhin zwischen 45 und 75 Euro, die Schulranzen des Unternehmens sind noch teurer. Für beide Produktgruppen ist die Herstellergarantie aber auf vier Jahre erhöht. Ein weiteres Beispiel: Miele. Der Haushaltsgerätehersteller hat seit Jahrzehnten bei Kunden den Ruf, zwar hohe Preise zu verlangen, aber dafür besonders zuverlässige und reparierbare Geräte herzustellen. In seinen Garantieangeboten geht das Unternehmen auch weit über gesetzliche Vorgaben hinaus.

Von der Konkurrenz abheben - das geht in Zukunft vor allem mit Service

Der Aufwand, den die Unternehmen dafür betreiben, ist enorm. Beim Wasserfilterhersteller Brita etwa wird besonders oft die Filterwechselanzeige als Ersatzteil geordert. Aber nicht immer wird aus der ersten Nachricht deutlich, was genau der Kunde sucht. "Meist bitten wir noch um Fotos, um die verschiedenen Produkte und Ersatzteile besser zuordnen zu können, falls Konsumenten sich nicht sicher sind", mit diesen Worten berichtet ein Sprecher aus dem Alltag der Kundenservice-Abteilung. Der Aufwand für Lagerung, Handling und Versand sei "erheblich".

Miele hält mehr als 72 000 verschiedene Ersatzteile vorrätig, mindestens bis 15 Jahre nach Ablauf einer Serie bleiben sie verfügbar. Der Küchengeräteproduzent Krups, der zur französischen SEB-Gruppe gehört, lagert rund acht Millionen Ersatzteile, um sie schnell zur Verfügung stellen zu können. Und beim Kinderproduktehersteller Fond of arbeiten im Durchschnitt sechs Mitarbeiter und eine eigene Näherin an Reparatur- und Ersatzteilanfragen. Weil der Aufwand so groß ist, stand zeitweise die Überlegung im Raum, den Service doch gebührenpflichtig zu machen. "Wir könnten damit durchaus zusätzlich Geld neben dem Kerngeschäft verdienen", sagt Eilin Merten, die das Kundenmanagement leitet. Bisher hat man sich aber dagegen entschieden, vor allem aus Marketinggründen.

Kunden hierzulande geben an, dass es ihnen wichtiger geworden ist, wie reparierbar Produkte sind. Laut der EU-Analyse würden drei von vier Befragten einen Gegenstand lieber reparieren lassen, als ihn neu zu kaufen. In sogenannten Repair-Cafés versuchen Menschen landauf, landab, vom alten Toaster bis zur lückenhaften Tastatur alle möglichen Gegenstände eigenhändig instand zu setzen. Den Youtube-Kanal von Miele, auf dem Erklärvideos zu Reparaturen zu sehen sind, haben fast 20 000 Menschen abonniert. Die Kunden, sagt auch der Brita-Sprecher, "fragen viel häufiger nach Ersatzteilen und erwarten auch, dass ein Unternehmen diese Anfragen entsprechend bedienen kann". Eilin Merten von Fond of berichtet von unzähligen Mails von Kunden, die überrascht sind, wie leicht sie Ersatzteile bekommen. Oft, sagt sie, sei den Kunden Nachhaltigkeit wichtig. In Zeiten steigender Preise dürften finanzielle Überlegungen hinzukommen: Zwölf Milliarden Euro zahlen europäische Verbraucher pro Jahr für Produkte, die sie ersetzen müssen, statt sie reparieren zu können.

Workshops, wie hier an einem Gymnasium in Bayern, in denen schon Jugendlichen nahegebracht wird, dass die Reparatur von Geräten eine nachhaltige Option ist, gibt es seit einigen Jahren immer mehr. In Deutschland ist außerdem eine Szene von Repair Cafés und Maker-Laboren entstanden. (Foto: Peter Hinz-Rosin/Photographie Peter Hinz-Rosin)

Für Hersteller wie Fond of ist ein Ersatzteilservice daher eine Investition in die Zukunft - und ein Wettbewerbsvorteil, wenn die Produkte selbst sich ähneln. "In Zukunft wird guter Service gerade für die Hersteller hochwertiger Produkte zu einem differenzierenden Faktor werden", sagt Merten. Damit rechnet auch Verbraucherschützerin Jungbluth. Ihr Verband fordert einen Index, anhand dessen Kunden erkennen können, wie gut reparierbar die Produkte eines Unternehmens sind. Nur dadurch, so Jungbluth, wäre eine wirkliche Vergleichbarkeit gegeben. Am besten fände sie sogar eine Vorgabe für Hersteller, die Haltbarkeit eines Gegenstandes angeben zu müssen - und die Gewährleistungsfrist von Reparaturen daran zu koppeln. "Für Unternehmen böte das die Chance, sich durch Langlebigkeit und höhere Qualität abzuheben", sagt Jungbluth.

Eine Zukunftsoption für guten Ersatzteilservice: 3-D-Druck

Noch einfacher wäre oft freilich ein anderer Weg zu mehr Ersatzteilen. "Wir leben in einer digitalen Gesellschaft, der 3-D-Drucker ist nicht ganz neu", sagt die Verbraucherschützerin. Die Möglichkeit, Teile eines Produkts anhand einer Datei nachdrucken zu können, wird ihrer Einschätzung nach bisher nicht oft genug genutzt. Auch hier setzt die neue EU-Richtlinie an. Die Reparatur mit Ersatzteilen, die im 3-D-Drucker entstehen oder nicht vom Original-Hersteller stammen, soll vereinfacht werden. Produktdesignerin Astrid Lorenzen befasst sich seit Jahren mit den Reparaturmöglichkeiten durch 3-D-Druck. Sie setzt große Hoffnungen auf eine deutsche Fassung des EU-Rechts. Neben dem Gesetzgeber sieht sie auch die Hersteller in der Pflicht, die schon jetzt handeln könnten. "Meinem Verständnis nach gehört es zu einem Gerät, das reparieren zu können", sagt sie. Noch sei das nur in Ausnahmen der Fall.

Solche Ausnahmen bilden die Firmen Krups und Miele. Miele bietet auf seiner Website Druckanleitungen zum Herunterladen - allerdings nicht für Ersatzteile, sondern für Zusatzprodukte wie einen Seifenblasenstaubsaugeraufsatz. Krups stellt bereits seit acht Jahren Ersatzteile per 3-D-Drucker her. 500 verschiedene Teile druckt die Firma in einem Reparaturzentrum in Frankreich. Ursprünglich war die Überlegung, mittels 3-D-Druck nicht mehr produzierte Teile nachliefern zu können. Mittlerweile ist ein anderer Vorteil in den Fokus gerückt: Lagerkapazitäten sparen.

Für 3-D-Druck-Expertin Lorenzen ist es kein Zufall, dass gerade Krups innovative Wege geht: In Frankreich sind 3-D-Ersatzteildaten und finanzielle Anreize Teil der Gesetzgebung. Bis hierzulande die neue Verschlusskappe aus dem 3-D-Drucker Standard wird, ist es aus Lorenzens Sicht noch ein weiter Weg. Zum einen ist ungeklärt, wer haftet, wenn sich jemand verletzt, weil in einem Gerät ein nachgedrucktes Teil eingebaut ist. Zum anderen sind "die rechtlichen Hürden für Design und Patente nach wie vor sehr hoch", sagt Lorenzen. In einer aus ihrer Sicht idealen Zukunft müssten diese Fragen geklärt sein und Firmen die Druckdateien für Ersatzteile stets mitliefern, wenn sie ein Produkt verkaufen. "Eventuell müsste teilweise auch das Design geändert werden, damit Ersatzteile nachdruckbar sind", sagt Lorenzen. Auch das ist übrigens Teil der EU-Pläne: ein vereinfachtes Design.

Offen bleibt die Frage, wie überprüft werden soll, ob alle Unternehmen sich an die künftig geltenden Vorgaben halten. Diesen Aspekt halten vor allem die Verbraucherzentralen für entscheidend. Bis der jedoch geklärt ist, dürfte mancher Träger eines Tierkinderrucksacks längst zum Schulranzen gewechselt sein. Immerhin: Auch für den gibt es einen Ersatzgurt.

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