Leonhard Knoll ist seit vielen Jahren auf Hauptversammlungen unterwegs. Dort löchert der Berater und Wirtschaftsprofessor die Firmenchefs mit seinen Fragen. "Da bekommt man immer mal wieder Informationen zugesteckt", erzählt Knoll. Und so brachte er den Stein ins Rollen, der nun als Sexaffäre den Dax-Konzern Munich Re peinigt.
Auf der Hauptversammlung des Weltmarktführers fragte der Aktionär im April nach " Fringe Benefits im rosaroten Bereich", freiwilligen Sozialleistungen der anderen Art. Vorstandschef Nikolaus von Bomhard antwortete prompt: "Nach unseren Recherchen konnte nicht ausgeschlossen werden, dass es hier gewisse Exzesse gegeben hat."
Inzwischen ist bekannt: Die Versicherung Hamburg-Mannheimer hat im Jahr 2007 eine wilde Sex-Sause in einer Budapester Therme veranstaltet, um besonders verdiente Mitarbeiter bei Laune zu halten. Die Hamburg-Mannheimer ist mittlerweile in der Ergo Versicherung aufgegangen, die wiederum Tochter der Munich Re ist.
"Unglaublich peinlich" sei ihm die Reise seiner Vertriebsleute, gesteht Ergo-Chef Torsten Oletzky dem Spiegel. Allein die Abendveranstaltung kostete 83000 Euro. Es gab Himmelbetten und rund 20 Prostituierte mit farbigen Armbändern - ein klarer Verstoß gegen die Richtlinien des Unternehmens.
Die Sache bringt auch Munich-Re-Chef Bomhard in Verlegenheit, der viel auf die konservative Risikopolitik seines Unternehmens und seine klimapolitischen Initiativen hält. Ein Sprecher nennt die Vorgänge in Budapest "inakzeptabel" und sagt: "Dieses Verhalten verstößt gegen elementare Verhaltensgrundsätze, deren Einhaltung wir von unseren Mitarbeitern konzernweit selbstverständlich erwarten.
Realität übertrifft Phantasie
Eine Blaupause der verruchten Veranstaltung findet sich in Markus Wills Thriller Bad Banker. Darin feiert eine von ihm erfundene Investmentbank in London 2006, auf dem Höhepunkt der Gier vor der Finanzkrise, eine rauschende Weihnachtsparty.
Der Chef hat für seine Top-Leute 20 Edelprostituierte organisiert. "Um sie von den anwesenden Ehefrauen und Bankerinnen zu unterscheiden, habe ich mir ausgedacht, dass sie ein blaues Bändchen um das Handgelenk tragen", erzählt Autor Will.
Als er nun von den Vorgängen bei der Hamburg-Mannheimer in Budapest las, war er verblüfft: "Ich hätte nie gedacht, dass die Realität meine Phantasie noch übertrifft."
Bei der Hamburg-Mannheimer gab es offenbar Bändchen in drei verschiedenen Farben: eine für Hostessen, die keine sexuellen Dienstleistungen anboten, eine für Prostituierte, die nur dem Fußvolk der Versicherung zur Verfügung standen, und eine für die Frauen, die für die Top-Verkäufer reserviert waren.
Die großen Finanzvertriebe MLP und AWD schließen aus, dass es in ihren Unternehmen ähnliche Lustreisen gegeben habe. "So etwas kommt bei uns nicht vor", heißt es auch bei den Versicherungskonzernen Axa und Generali. Dass Sexpartys ein branchenübliches Incentive, ein Leistungsanreiz für Vertreter sein könnten, hält auch Markus Dumsch für abwegig.
Der Sprecher der Interessengemeinschaft der Vertretervereinigungen der Allianz sagt: "So etwas habe ich nicht erlebt - und ich bin auf vielen Reisen der Allianz dabei gewesen, dort geht es stets sehr familiär zu."
Kritischer sieht Verdi-Gewerkschafter Jörg Reinbrecht die Angelegenheit: "Der Imageschaden für die Branche ist groß." Deshalb sollten sich die Vorstände Gedanken machen, ob der Vertrieb von Versicherungen über Scheinselbstständige der richtige Weg sei, oder ob man das nicht besser mit Angestellten mache.
Luxuriöse Reisen und pompöse Feste für bewährte Vertreter gehören zum Anreizsystem jeder Versicherung. Nur mit einem Pokal oder einer Urkunde lassen sich die wenigsten zu Höchstleistungen anspornen. Dass es beim Feiern auch mal so laut wird, dass sich andere Hotelgäste beschweren, kommt vor. Auch ein Ballett Tropical darf Programm sein.
Dass sogar Belohnungen für Geschäftspartner in Form sexueller Dienste in der Wirtschaft nicht unüblich waren, zeigt eine interne Anweisung der Deutschen Bank, die diese erst im Jahr 2008 an ihre Mitarbeitern gab. "Die Deutsche Bank billigt keinerlei Erwachsenenvergnügungen und wird solche Ausgaben nicht ersetzen", heißt es in einer Spesenrichtlinie. Die Firmenkreditkarte solle für derartige Vergnügungen nicht genutzt werden.
Verantwortliche haben Firma verlassen
Auch Ergo hat Konsequenzen aus der Affäre gezogen. Seit 2008 gilt ein Verhaltenskodex, der dafür sorgen soll, dass sich so etwas nicht wiederholt. Die Verantwortlichen haben die Firma verlassen. Aktionär Knoll ist zufrieden: "Damit ist für mich die Sache abgehakt."