Eon-Chef Bernotat:"Warum redet die Politik nicht mit uns?"

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Eon-Chef Wulf Bernotat über die Nähe zur Macht, längere Atomlaufzeiten und steigende Strompreise.

Markus Balser

Ein Hauch von Havannah-Tabakblättern weht durch das Zimmer im 9. Stock der Eon-Zentrale am Rande der Düsseldorfer Altstadt. Der Vorstandschef des größten privaten Energiekonzerns in Europa, Wulf Bernotat, 62, schaut gut gelaunt über seine Halbbrille. Bernotat ist noch gut zwei Monate im Amt. Ende April geht einer der mächtigsten Energiemanager des Landes- und eine der größten Reizfiguren der deutschen Wirtschaft - in den Ruhestand. Vorher aber will Bernotat Klartext reden- und geht auf Konfrontationskurs zur Politik der Bundesregierung: "Die Kernkraft zu verdrängen, wäre der falsche Weg", warnt Bernotat.

Eon-Chef Wulf Bernotat (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Bernotat, Ihr Verhältnis zur Politik begann ja mal ganz entspannt...

Bernotat: Wie kommen Sie darauf?

SZ: Sie haben mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder in einer Referendargruppe in Hannover gepaukt. Was haben Sie da mitgenommen: Streitlust, Machtinstinkt oder dickes Fell?

Bernotat: Auf jeden Fall Lust an der Diskussion über politische Themen. Ich erinnere mich an ein Wochenendseminar im Teutoburger Wald, wo es ziemlich hoch her ging. Gerhard Schröder war damals Juso-Vorsitzender und sehr gut im Debattieren. Er stand auf der linken Seite der Sozialdemokraten und hatte entsprechend radikale Thesen. Ich war allerdings selten seiner Meinung.

SZ: Daran hat sich nicht viel geändert. Er hat Ihnen 2000 den Atomausstieg eingebrockt. Sind Sie noch sauer?

Bernotat: Ach was. Wir verstehen uns nach wie vor. Schröder war ja nicht allein, sondern führte damals eine Regierung, die diesen Beschluss forciert hat. Bis heute bin ich mir nicht mal sicher, ob er selbst den Ausstieg wirklich für nötig hielt. Vor allem die Grünen haben das Thema damals stark getrieben.

SZ: Im Herbst schien der Weg für die Kernkraft plötzlich wieder frei. Union und FDP machten die Renaissance zum Programm. Jetzt schießt Bundesumweltminister Norbert Röttgen quer und rät seiner Partei CDU doch zum schnellen Abschalten. Schlägt der deutschen Atomkraft jetzt endgültig die letzte Stunde?

Bernotat: Das wäre ein Fehler.

SZ: Warum?

Bernotat: Der Grundgedanke bei diesem Vorschlag scheint ja zu sein, die Kernkraftwerke Stück für Stück durch Erneuerbare Energien zu ersetzen. Wenn deren Anteil auf 40 Prozent steigt - heute liegt er bei 16 - ist nach dieser Rechnung die Kernkraft überflüssig. Das hätte aber negative umwelt- und wirtschaftspolitische Konsequenzen.

SZ: Was meinen Sie?

Bernotat: Erneuerbaren Energien gehört die Zukunft, keine Frage. Aber die Kernkraft sofort und eins zu eins durch Erneuerbare verdrängen zu wollen, wäre der falsche Weg. Das Erreichen unserer Klimaziele würde so in weite Ferne rücken. Wir würden in den nächsten 20 Jahren eine CO2-freie Technik durch eine andere ersetzen - und dabei nichts für den Klimaschutz gewinnen. Wir kommen ja heute schon auf knapp 40 Prozent CO2-freie Energie - 16 Prozent aus Erneuerbaren und 23 Prozent aus der Kernkraft. 2030 würden diese 40 Prozent nach den Plänen des Umweltministers allein von den Erneuerbaren getragen. CO2 hätten wir so nicht eingespart. Für das Klima wären das dann zwei Jahrzehnte Stillstand. Wollen wir das wirklich?

SZ: Jedenfalls will die Mehrheit der Deutschen den Atomausstieg.

Bernotat: Das stimmt nur bedingt. Nach jüngsten repräsentativen Umfragen akzeptiert eine Mehrheit die Kernenergie als Brückentechnologie, erst recht wenn die Endlagerfrage gelöst ist. Ich glaube, die Bevölkerung sieht durchaus die Vorteile der Kernenergie in dieser Brückenfunktion.

SZ: Glauben Sie wirklich? Die nächsten Massendemonstrationen landauf, landab sind schon in Planung.

Bernotat: Die Bevölkerung lässt sich überzeugen, wenn man das als Regierung nur will. Schauen wir doch nur mal nach England. Dort hat Tony Blair seinerzeit einer äußerst kernkraftkritischen Öffentlichkeit klargemacht, dass strenge Klimaziele und Versorgungssicherheit ohne neue Kernkraftwerke unmöglich sind. In Deutschland geht es ja noch nicht mal um den Bau neuer Anlagen, sondern nur um längere Laufzeiten für bestehende Kernkraftwerke. Ja: Die Kernkraft ist eine Brückentechnologie. Aber wir müssen uns darüber verständigen, wie weit es bis zum anderen Ufer ist.

SZ: Sie fordern noch längere Laufzeiten? Was schwebt Ihnen vor?

Bernotat: Wenn wir mit der Kernkraft strengere Klimaziele erreichen wollen, reichen acht Jahre mehr wahrscheinlich nicht aus.

SZ: Schon jetzt türmt sich der Atommüll - und niemand weiß wohin mit der strahlenden Altlast. Wie können wir da weitermachen wie bisher?

Bernotat: Erstens besteht das Problem auch ohne Laufzeitverlängerung. Und zweitens kann ich den Ärger der Atomgegner sogar teilweise verstehen.

SZ: Wie bitte?

Bernotat: Auch mich ärgert es, dass die Endlagerfrage auch für hochradioaktive Abfälle noch immer nicht entschieden ist. Leider schiebt die Politik das Thema seit Jahren vor sich her, obwohl sie am Zug ist. Der Einstieg in die Kernenergie war vor vierzig Jahren ein politischer Entschluss. In dieser Legislaturperiode muss endlich über ein Endlagerkonzept entschieden werden.

SZ: Sie lassen kein gutes Haar an der Energiepolitik in Deutschland.

Bernotat: Das stimmt so nicht. Ich sage nur: Wir brauchen endlich ein tragfähiges Energiekonzept. Ich begrüße es sehr, dass sich die neue Regierung das ganz oben auf die Agenda geschrieben hat, denn das letzte Energiekonzept stammt noch aus den 80er Jahren.

Lesen Sie weiter, wie Wulf Bernotat die Strompreiserhöhungen verteidigt.

SZ: Keine andere Branche hat eine so große Nähe zur Macht. Warum klären Sie das nicht direkt mit den Ministerien oder der Kanzlerin?

Bernotat: Wir brauchen einen Dialog zwischen Politik, Energiewirtschaft und Gesellschaft. Den muss die Politik anstoßen. Aber bislang passiert nichts. Dabei sind wir es, die das Geschäft betreiben. Ohne uns wird der Umbau der Branche nicht stattfinden. Warum redet die Politik nicht mit uns über das Energiekonzept? Warum wird so etwas nicht mit uns zusammen erarbeitet?

SZ: Vielleicht, weil die Energiekonzerne nicht das beste Image haben.

Bernotat: Zu unrecht. Obwohl wir daran auch nicht ganz unschuldig sind.

SZ: Sie nehmen Verbraucher aus und schaden der Umwelt - nur ein Teil der gängigen Kritik. Haben Sie sich in all den Jahren an das Leben als Buhmann der Nation gewöhnt?

Bernotat: Nein, das wäre auch schlimm. Wir haben vielleicht zu lange versäumt, über unsere Leistungen zu reden. Wir versorgen täglich zuverlässig Millionen Menschen mit Wärme und Licht. In keinem anderen Land gibt es weniger Stromausfälle und eine sicherere Versorgung. Was die Versorger leisten, ist für Verbraucher schwer wahrnehmbar. Strom kommt eben aus der Steckdose. Dass dahinter gewaltige Investitionen und eine Riesenorganisation steckt, nimmt kaum jemand wahr.

SZ: Preiserhöhungen schon. Seit mehr als einem Jahr sinken an der Börse die Strompreise. Eon und viele andere fordern von Mai an dennoch von Kunden deutlich mehr. Wer soll das verstehen?

Bernotat: Vier Prozent im Durchschnitt - das ist nach einem Jahr Preisstillstand nicht deutlich mehr. Die Stadtwerke und auch unsere Endversorgungsunternehmen kaufen den Strom zu Börsenpreisen im Voraus ein, meist eineinhalb Jahre vor Lieferung. Im Sommer 2008 hatten wir Rekordpreise an der Strombörse. Was jetzt geliefert wird, geht auf Verträge vor der Krise zurück. Die hohen Preise kommen also mit anderthalbjähriger Verspätung bei den Kunden an.

SZ: Dann kann Strom ja ab sofort nur noch billiger werden.

Bernotat: Eigentlich schon. Wenn es keine Sondereffekte gäbe.

SZ: Sondereffekte?

Bernotat: Der Anstieg der Erneuerbaren Energien führt zu höheren Kosten durch die gesetzlich vorgeschriebenen Einspeisetarife. Allein 2010 werden Stromkunden in Deutschland zusammen 12,7 Milliarden Euro für Solaranlagen zahlen. Das wird in den kommenden Jahren noch deutlich mehr. Dennoch muss der Ausbau der Erneuerbaren weiter forciert werden.

SZ: Hohe Umsätze freuen die Börse. Ihr Aktienkurs ist binnen eines Jahres um 18 Prozent gestiegen.

Bernotat: Stimmt. Geht aber leider viel zu oft unter.

SZ: Wie oft schauen Sie auf den Bildschirm mit der Eon-Kurve?

Bernotat: Einige Male am Tag.

SZ: Nehmen Sie die Börse nicht eine Spur zu wichtig?

Bernotat: Ich glaube nicht. Aktionäre sind schließlich die Eigentümer des Unternehmens. Jeder angestellte Manager ist ihnen gegenüber verpflichtet.

SZ: Vergangene Woche begehrte mit L'Oreal-Chef Jean-Paul Agon der erste Spitzenmanager Europas offen gegen das Diktat der Finanzmärkte auf. Er will "nicht mehr unter einem Joch arbeiten". Brauchen wir eine kreativere, menschenfreundlichere Wirtschaft?

Bernotat: Gerade das wird ohne Finanzmärkte eine fromme Hoffnung bleiben. Denn woher soll das Geld kommen? Den Unternehmen wird Kapital anvertraut, in der Erwartung, dass sie es vermehren, und zwar nachhaltig und verantwortungsbewusst. Darauf basiert das ganze System des Kapitalmarkts. Wer das nicht erfüllt, dem wird das Kapital entzogen. Das Geld will dahin, wo es sich am besten vermehrt, und dabei achten die Kapitalmärkte heute sehr stark auf langfristig verantwortliches Handeln. Ich sehe da keine Diktatur.

SZ: Tun Sie sich deshalb so schwer damit, mehr in Ökostrom zu investieren? Sie stecken noch immer mehr Geld in konventionelle Kraftwerke. Warum?

Bernotat: Moment mal. Wir investieren zwei Milliarden Euro pro Jahr in Erneuerbare - viel mehr als andere...

SZ: ...aber weniger als die sechs Milliarden Euro für Strom aus Kohle, Gas und Atom. Es ist doch längst Zeit für die große Energiewende. Wo hakt es?

Bernotat: Auch wenn die Energiewende da ist: Ohne konventionelle Energien geht es noch nicht. Die Erneuerbaren sind an vielen Stellen einfach noch nicht weit genug. International investiert Eon deshalb zunehmend hohe Summen in Erneuerbare, aber speziell in Deutschland ist es zur Zeit schwierig. Gute Windstandorte an Land sind längst besetzt, die Wasserkraft ist am Anschlag, und auch bei Biokraftstoffen erreichen wir bald die Grenze. Die Windkraft auf hoher See hat sicher großes Potential, aber da müssen wir erstmal Erfahrung sammeln.

SZ: Die Bundesregierung will in ihrem nationalen Energieplan die Vollversorgung mit Erneuerbaren. 2050 sollen Wind, Wasserkraft und Sonne 90 Prozent des Bedarfs decken. Wenn die Energiebranche in dem Tempo weitermacht, wird daraus garantiert nichts.

Bernotat: Ich hoffe sehr, dass wir das schaffen. Nur geht es in der Energiepolitik nicht nur um Wünsche, sondern um das Machbare. Die größten Hoffnungen ruhen in Deutschland auf einem rapiden Wachstum bei der Windkraft auf hoher See. Um das Ziel zu erreichen, bräuchten wir bis 2020 etwa 4000 neue Kraftwerke in Ost- und Nordsee - alleine auf der deutschen Seite. Heute gibt es 20. Ich frage mich schon, wer so viele Windräder eigentlich bauen soll? Selbst die Regierung hat ihr Ziel inzwischen auf 2000 halbiert.

SZ: Ende April gehen Sie in den Ruhestand. Sie sind 62. Da wäre noch ein neuer Job drin. Was haben Sie vor?

Bernotat: Vor allem eins: weniger arbeiten.

SZ: Um mehr Zeit zu haben für...

Bernotat: ...mich.

© SZ vom 22.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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