Energiewende:"Wer sich dem Wandel widersetzt, wird überrollt"

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Die Wirtschaft denkt zu kurzfristig, warnt WWF-Experte Thomas Duveau. Wie wir im Jahr 2050 leben werden und warum die Revolution im Alltag ankommt.

Markus Balser

Thomas Duveau ist Finanz- und Klimaexperte der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF). Neun Jahre hat er in der Finanzbranche gearbeitet. Dann wechselte er die Seiten. Nun beschreibt der WWF erstmals in einer wissenschaftlichen Studie, wie sich die Welt bis 2050 verändern wird - und liefert Stoff für Debatten. "Märkte und Politik stehen dem nötigen Umbau im Weg", warnt Duveau und fordert ein deutsches Klimaschutzgesetz.

Grün soll sie sein, die Zukunft, aber auch mobil, sagt Thomas Duveau. Nur umgesetzt werden müssen die Visionen noch: So könnte etwa der Verkehrsknotenpunkt Manggarai in Jakarta, Indonesien, dereinst aussehen - wenn es nach den Architekten von Budi Pradono ginge. (Foto: AP)

SZ: Herr Duveau, Sie sagen für das Jahr 2050 etwa 95 Prozent weniger Emissionen voraus. Gönnen Sie uns einen Blick in die Zukunft: Wie werden die Deutschen leben? Ohne Autos und in kleineren Wohnungen? Und wo sollen sie arbeiten? Kaum zu glauben, dass das Land dann noch Industrienation sein kann.

Duveau: Wir wollen doch nicht zurück ins Mittelalter. Deutschland wird ein industrialisiertes Land mit Hightech-Anspruch bleiben. Klar ist: Die Revolution wird im Alltag ankommen. Aber sie wird ihn anders umkrempeln, als viele glauben. In Deutschland wird die Zahl der Autos fast konstant bleiben, das gilt auch für die Anteile von Auto, Flugzeug und Bahn an der Verkehrsleistung. Trends wie Globalisierung und Mobilität setzen sich fort. Menschen werden weltweit doppelt so viel reisen. Wohnungen werden eher größer als kleiner, der Energieverbrauch wird nur leicht sinken. Und doch werden sich die Grundlagen unseres alltäglichen Lebens wandeln.

SZ: Wie genau?

Duveau: Autos werden elektrisch angetrieben, Flugzeuge fliegen mit Biokraftstoff. Häuser werden so gut gedämmt sein, dass Heizungen praktisch überflüssig sind und elektrische Geräte nur noch einen Bruchteil der heutigen Energie verbrauchen. In der Landwirtschaft wird es einen starken Wandel geben müssen. Nur in der Industrie sind Emissionen unvermeidlich. Die werden wir auffangen und unterirdisch bunkern müssen.

SZ: Klingt, als wäre es ein Kinderspiel. Tatsächlich wird das wohl eher ein Gewaltmarsch als ein Spaziergang. Gebäudesanierung, neue Infrastruktur für den Autoverkehr, Windparks statt fossile Kraftwerke. Der Umbau wird Milliarden kosten. Wer soll das zahlen?

Duveau: Sie täuschen sich. Die Höhe der Investitionen an sich ist gar nicht das Problem. Unsere Szenarien basieren auf innovativen Techniken, die zum Teil schon existieren - und die Kassen nicht sprengen werden. In der Spitze reden wir in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten für den Umbau von Sektoren wie Verkehr, Landwirtschaft, Energie und bei der Gebäudesanierung von insgesamt gut 30 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist nicht viel mehr, als wir heute in die Infrastruktur stecken. Und trotzdem: Die Finanzierung des Wandels wird zum kritischen Punkt. Denn Politik und Märkte denken in zu kurzen Fristen. Das könnte den Umbau letztlich gefährden.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Foto Duveau WWF (Foto: N/A)

Duveau: Ich war selbst lange in der Finanzbranche. Wenn sich ein Projekt nicht nach spätestens einem Jahr auszahlte, durfte ich es nicht realisieren. Beim Umbau der Energiewirtschaft denken wir aber in Zeiträumen von 20 bis 40 Jahren. Solche Horizonte sind in der Finanzwelt tabu. Die Folge: Geld fließt in Projekte, die kurzfristig Erträge bringen, wie effizientere Kohlekraftwerke. Die aber lösen unsere Probleme nicht. Sie verstärken sie, indem sie eine langfristige CO2-intensive Infrastruktur schaffen. Genau die gilt es jedoch zu vermeiden. Das bedeutet ein Dilemma: Wir haben nur ein kurzes Zeitfenster zum Umsteuern. Wir müssen jetzt handeln, um ab 2020 Veränderungen zu erzielen. Aber wir riskieren gerade, die Chance zu verspielen, obwohl die Technik da ist und langfristig höhere Gewinne winken.

SZ: Wird der Staat eingreifen und den Druck erhöhen?

Duveau: Deutschland braucht ein Klimaschutzgesetz nach britischem Vorbild. London hat 2008 den Climate Change Act verabschiedet - eine sichtbare Erfolgskontrolle für die Klimaschutzbemühungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Wir schlagen die Einrichtung einer hochrangigen, unabhängigen Klimaschutzkommission in Deutschland vor, die verbindliche Klimaziele überwacht und die Regierung berät.

SZ: Wie wollen Sie die Finanzwelt zum Umdenken bringen?

Duveau: Wir müssen Investoren deutlicher als bisher zeigen, welche Risiken sie eingehen, wenn sie in den Stillstand investieren. Es muss klar werden, welchen Gefahren sich die Wirtschaft aussetzt, wenn alles beim Alten bleibt. Es wird künftig mehr Transparenz geben. Treibhausgase könnten verpflichtender Bestandteil von Unternehmensbilanzen werden. Und wir müssen über neue Formen der Finanzierung nachdenken. Zum Beispiel über Finanzinstrumente wie Bonds, mit denen Anreize für Investoren wie Pensionsfonds geschaffen werden könnten, sich langfristig zu engagieren.

SZ: Deutschlands grüne Technik ist weltweit gefragt. Die Wirtschaft boomt auch wegen der grünen Vorreiterrolle des Landes. Können wir den Vorsprung halten?

Duveau: Der Vorsprung ist in Gefahr. Wir werden mehr tun müssen, um in den nächsten Jahrzehnten ganz vorne mitspielen zu können. Schwellenländer wie China investieren Milliarden in grüne Technologien und betreiben damit auch eine sehr aggressive Industriepolitik. China will seine Windkraft-Kapazitäten in zehn Jahren verzehnfachen. Das Land wird dann mehr Windkraft produzieren als alle Länder Europas zusammen. Wir müssen aufhören, uns von Lobbygruppen einzelner Wirtschaftszweige einreden zu lassen, dass der Wandel zu teuer ist. Es ist eher umgekehrt. Wer sich jetzt dem Wandel widersetzt, wird früher oder später vom Weltmarkt überrollt.

© SZ vom 08.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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