Birnchen rein, Licht an, fertig. Ganz einfach. Wie hell es aber wird, das ist für den Verbraucher längst nicht so klar. Zwar stehen auf den Verpackungen von Leuchtmitteln und anderen Elektrogeräten allerlei Informationen zur Energieeffizienz, zu Leistung und Stromverbrauch. Ob die Angaben wirklich erfüllt werden, lässt sich aber nur mit aufwendigen Messungen prüfen. Das nutzten gerade Lampen-Hersteller gezielt aus: Sie schlagen - völlig legal - hohe Messtoleranzen voll auf die Ergebnisse ihrer Produkttests auf, damit sie besser aussehen, schreibt der europäische Umweltschutz-Dachverband EEB in einer Analyse, die der SZ vorliegt. Den Nachteil hätten die Verbraucher, die nicht bekämen, wofür sie bezahlen. Zudem entstünden ihnen Mehrkosten von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich, schreiben die Autoren, weil die Geräte mehr Strom verbrauchen, bis sie die angepriesene Leistung bringen.
Drei Dinge müssen beispielsweise Hersteller von Leuchtmitteln auf der Verpackung angeben: Das Energielabel, das die Effizienz auf einer Skala von A bis G vermerkt, außerdem die Leistung der Leuchte in Watt sowie ihre Helligkeit in Lumen. All das wird im Labor erhoben. Der Trick: Für jede Produktkategorie gibt es Fehlertoleranzen bei der Messung. In der EU-Richtlinie für das Energielabel wurde das Schlupfloch der hohen Toleranzen bereits 2012 geschlossen, in der sogenannte Ökodesign-Richtlinie, auf deren Basis die Watt- und Lumen-Angaben erhoben werden aber nicht. Die Konsequenz: Viele Lampen rutschten auf der Buchstaben-Skala nach unten, die Angaben zu Leistung und Leuchtkraft blieben aber unverändert. Dabei sagen sie zusammen nichts anderes aus als die Effizienz. "Zweifellos wissen diese Firmen, dass sie ihre Kunden betrügen", heißt es beim EEB.
Welche Geräte die angegebenen Werte erreichen, kann der Käufer nicht erkennen
Das Schlupfloch existiert nach Auswertung der Umweltschützer auch für rund 30 weitere Produktkategorien, in denen ebenfalls hohe Messtoleranzen angelegt werden können. Darunter sind große Stromverbraucher wie Wasserboiler, Waschmaschinen, Kühlschränke, Klimaanlagen und Fernseher. Zwar habe man bisher keine harten Beweise dafür, dass auch hier Verbraucher gezielt getäuscht werden. "Aber das offene Schlupfloch ist eine Einladung", schreiben die EEB-Autoren.
Welche Geräte die angegebenen Werte erreichen und welche weit daneben liegen, kann der Käufer im Laden nicht erkennen. Im Schnitt dürften die Angaben auf der Packung um rund zehn Prozent von den tatsächlichen Messungen abweichen, beklagen die Umweltschützer. In einigen Produktkategorien liege die Fehlertoleranz noch höher. Und selbst wie diese Ergebnisse zustande kommen, wirft Fragen auf: So ergab beispielsweise eine Untersuchung des Schwedischen Verbraucherverbands, dass einige Halogen-Lampen unter Alltagsbedingungen mehr als 20 Prozent schwächer leuchten, als angegeben. Denn die Hersteller nutzen nicht nur die Toleranzen, die Tests sind auch so gestaltet, dass möglichst gute Werte herauskommen, ähnlich wie bei Autos. Im Alltag bekommen Kunden deshalb bei gleichem Verbrauch mit einigen Birnen viel weniger Licht als versprochen.
Auch bei Osram, dem größten deutschen Leuchten-Hersteller und einem der Weltmarktführer, werden die Fertigungstoleranzen genutzt. Sie würden aber nicht voll ausgeschöpft, sagte ein Sprecher. "Wir legen Maßstäbe an, die immer etwas besser sind als die gesetzlichen Vorgaben." Würden diese verschärft, bedeute das mehr Ausschuss in der Produktion - was die Birnen teurer mache und zu mehr Müll führe.
Aus der Branche kommen aber auch andere Töne: Hohe Abweichungen seien dank moderner Messtechnik nicht mehr zeitgemäß, sagt etwa ein langjähriger Manager, der namentlich nicht genannt werden möchte. "Heute sind zwei bis drei Prozent Toleranz viel realistischer." Die Firmen wollten aber billiger produzieren, also würden günstigere Komponenten verbaut und die Leistungseinbußen anschließend am Messstand kaschiert. Ähnliches gelte für die Lebensdauer der Produkte.
Abseits der Lampen hätten viele Elektro-Hersteller dagegen wohl nichts gegen schärfere Toleranz-Vorgaben. "Die Regeln sind im Moment unklar", sagt etwa Viktor Sundberg, beim schwedischen Electrolux-Konzern für Umwelt- und EU-Themen zuständig. "Wir warten darauf, dass die Kommission Klarheit schafft." Es sei besser für alle Wettbewerber, wenn sie wüssten, was genau zulässig ist - und was nicht. Das sorge für Chancengleichheit. Die pure Einigkeit herrscht allerdings auch in dieser Branche nicht. So stritten zuletzt die Staubsauger-Hersteller Dyson und BSH darum, wie viel Strom ihre Geräte wirklich verbrauchen - und wie das richtig zu messen ist.
Die EU-Kommission weiß seit 2011 von den Tricks, duldet diese aber noch immer - obwohl es seit Sommer 2013 ein weitgehend ausgearbeitetes Arbeitspapier gibt, das die sogenannte Ökodesign-Richtlinie beim Thema Toleranzen ergänzen soll. Bei Lampen sollen die strengeren Regeln nun kommendes Jahr kommen, sagte eine Sprecherin. Für weitere Produktkategorien werde "bald ein Paket mit Änderungen beschlossen", das die Vorgaben klarstellt. Grund für die Verzögerung sei die Komplexität und Vielzahl der betroffenen Einzelregelungen. Beim EEB fürchtet man dagegen, dass Brüssel die Sache verzögern will: "Was wir von den Fluren der Kommission hören ist, dass sie nicht noch mehr Schlagzeilen wie bei VW lesen wollen." Erst am Dienstag hatte der Umweltausschuss des EU-Parlaments im Nachgang der VW-Affäre gegen Pläne gestimmt, die hohe Toleranzen bei Autoabgas-Messungen vorsehen.