Dass sich eine Krise anbahnt, die die deutschen Autohersteller in China unter gewaltigen Druck setzten wird, erfährt die Industrie nur aus dem Internet. Quasi nebenher. Ende September lud das Pekinger Ministerium für Industrie- und Informationstechnologie auf seiner Webseite einen Gesetzentwurf hoch: Ab 2018 soll eine Elektroquote in China gelten. Im Fall von Volkswagen, dem größten Hersteller in der Volksrepublik, hieße dies, dass der Konzern bei derzeit etwa drei Millionen verkauften Autos 2018 rund 60 000 E-Fahrzeuge absetzen müsste. In zwei Jahren dann 80 000 Stück und 2020 dann schon 100 000. Derzeit verkauft VW ein paar Hundert E-Modelle pro Jahr in China.
Dementsprechend groß ist die Panik. Innerhalb eines Jahres eine neue E-Auto-Strategie entwickeln und umsetzen? Unmöglich. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach deshalb die Sorgen der Industrie bei seinem China-Besuch vor sechs Wochen an, und bat um Aufschub. Wie sich nun zeigt, vergeblich. Und wieder erfährt die Branche das aus dem Netz.
Anfang vergangener Woche stellte die chinesische Regierung zwei Gesetzentwürfe in eine Datenbank der Welthandelsorganisation (WTO). Praxis ist, dass bei bestimmten Gesetzesvorhaben, die große Branchen und den internationalen Handel betreffen die WTO-Mitgliedsstaaten vorab informiert werden und 60 Tage Zeit haben, ihre Bedenken vorzutragen. In der Datenbank steht nun das Quoten-Gesetz - völlig unverändert, trotz zahlreicher Beschwerden der Industrie. Widerspruch ist noch bis zum 31. Januar 2017 möglich.
Beim zweiten Text, dem geplanten Gesetz zur sogenannten Produktionszulassung, endet die Frist bereits nach 20 Tagen - am 25. Dezember. Alle Hersteller, die in China E-Autos fertigen möchten, müssen künftig nachweisen, dass sie dazu in der Lage sind. Was nach einer Formalie klingt, hat es in sich. Denn: Nicht nur die ausländischen Konzerne müssen zeigen, dass sie es können, sondern auch deren chinesische Joint-Venture-Partner, mit denen man in der Volksrepublik noch immer zusammenarbeiten muss. Es genügt also nicht, dass etwa BMW bereits bewiesen hat, ein E-Auto wie den i3 zu fertigen. Die notwendige Zulassung gibt es erst dann, wenn auch der chinesische Partner in Shenyang dazu in der Lage ist.
In der Realität heißt das wohl: Die Konstruktionspläne müssen komplett ausgehändigt werden - bis zur letzten Schraube. Die Alternative: Keine E-Auto-Produktion in China. Aber dann bekommt man wohl Schwierigkeiten mit der geplanten Quote. Ein Dilemma.
Beschlossen werden könnte das Gesetz noch in diesem Jahr. Ende des Monats tagt der Ständige Ausschuss des Volkskongresses in Peking. Inkrafttreten soll die Regelung bereits im Sommer 2017, dann müssen die Baupläne herausgerückt werden.
Als offiziellen Grund für die Eile im WTO-Verfahren führt Peking übrigens die enorme Luftverschmutzung in den Städten. Das Argument hat jedoch einen Haken: Hauptverursacher des Smogs, der weite Teile Chinas einhüllt, sind vor allem die Kohlekraftwerke. Und es sind diese Feinstaubschleudern, die wiederum über 80 Prozent des Stroms in China erzeugen. "Dies deutet darauf hin, dass das Ziel nicht primär darin besteht, die Luftqualität zu verbessern, sondern chinesischen Unternehmen zu helfen, die von der Regierung vorgegeben Zahlen zu erfüllen", sagt deshalb der deutsche Botschafter in Peking Michael Clauß. Gemeint ist die Strategie "Made in China 2025", diese sieht vor, dass in drei Jahren zwei Drittel der verkauften E-Autos in China von heimischen Herstellern stammen sollen, für 2025 liegt die Vorgabe bei 80 Prozent. Eine Kampfansage an die etablierten, westlichen Hersteller.
Bei der Quote wird gebangt
Bei Daimler spricht man von einer "großen Herausforderung für die Branche", aber insgesamt halten sich die Autokonzerne aus Deutschland zurück bei diesem Thema. Zu groß ist die Furcht vor Chinas Führung, zu wichtig der Markt. Volkswagen zum Beispiel setzt vier von zehn Autos in der Volksrepublik ab. Eine große Abhängigkeit. Doch wie soll es weitergehen? Bei der Quote wird gebangt, ein paar Wochen habe man ja noch und die WTO-Länder könnten ja Widerspruch anmelden. Aber mit welchen Argumenten? Gabriel war bereits in Peking und genutzt hat es nichts.
Bei der Produktionszulassung ebenfalls nur Hoffnungen: Man werde sich mit den Joint-Venture-Partnern schon einigen. Dennoch räumen manche Hersteller hinter vorgehaltener Hand ein: Ungemütlich könne es werden, wenn wie vorgesehen alle Entwicklungsleistungen für Elektroautos künftig in China erbracht werden müssen. Über die ganze Welt seien die Ingenieure verteilt. In einer zusammenarbeitenden, vernetzten Welt sei so ein Inselarbeiten gar nicht möglich.