Weltwirtschaft:Die lange Reise der indischen Eier

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Eier sind eine günstige Proteinquelle und deshalb ein begehrtes Lebensmittel. Manchmal legt so ein Ei eine lange Reise hin - zum Beispiel von Indien über Malaysia nach Singapur. (Foto: Danish Siddiqui/Reuters)

In Malaysia kauft man verstärkt Hühnereier in Indien, um sie wiederum nach Singapur zu exportieren. Es ist ein sehr krisenanfälliges Geschäft - und ein Lehrstück über den aktuellen Zustand der Globalisierung.

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Frage nach der Henne und dem Ei ist zwischen Indien und Malaysia derzeit einfach zu beantworten: Indien hat die Hennen, Malaysia will die Eier. Die Nachrichtenagentur Reuters meldet aktuell, dass Indien im Januar die Rekordmenge von 50 Millionen Eiern exportieren wird, einen großen Teil davon nach Malaysia. Das ist neu und insofern überraschend, als dass Malaysia wiederum Hauptlieferant für Eier nach Singapur ist. Dahinter steckt eine Logik - und bei der geht es nicht nur um freilaufende Hühner, sondern auch um freidrehende Märkte.

Malaysia ist also einerseits ein großer Eier-Konsument - und andererseits auch ein großer Eier-Exporteur. Nach Angaben des "Internationalen Handelszentrums" führte Singapur von Januar bis September 2022 Hühnereier im Gesamtwert von 140 Millionen US-Dollar ein - wovon 72 Prozent aus Malaysia stammten. In Malaysia sind die Eier-Preise allerdings gehörig gestiegen, weil die Futtermittel auf dem Weltmarkt immer teurer werden. Das wiederum schlägt sich in einem zurückgehenden Export und hohen Preisen nieder.

Es gerät da also gerade einiges durcheinander in der internationalen, sorgfältig getakteten Welt der Eier.

Man muss dazu wissen, dass Eier in der gesamten asiatischen Region nicht ganz unwichtig sind. Sie gelten als günstigste Proteinquelle. In Bangkok, Manila oder Kuala Lumpur halten sich viele Menschen Hühner auf dem Dach, so wie Deutsche Tomaten oder Basilikum auf dem Balkon anbauen. Man kann mitten in einer asiatischen Megacity vom Schrei eines Hahns geweckt werden. Im Apartment-Alltag in Singapur allerdings, wo die meisten Menschen in sogenannten Condominiums leben, in großen Häusern mit vielen kleinen Wohnungen darin, gibt es keine Hühner. Und so ist man den Preisschwankungen des Eier-Weltmarktes ausgeliefert.

Singapur importiert 70 Prozent seiner Eier und 90 Prozent seiner Lebensmittel insgesamt

Mit spürbaren Folgen. Nach Angaben des örtlichen Statistikamtes erreichte der durchschnittliche Einzelhandelspreis für Hühnereier in Singapur bereits im vergangenen November mit 3,25 Singapur-Dollar (2,26 Euro) für zehn Stück einen Rekord. Sie kosteten damit 26 Prozent mehr als im November des Vorjahres. Und Singapur importiert nicht nur etwa 70 Prozent seiner Eier, sondern mehr als 90 Prozent seiner gesamten Lebensmittelversorgung.

Alles wird teurer, wie fast überall auf der Welt. Es ist der Fluch der Globalisierung, der nun auch indische Eier erreicht hat, die über Malaysia ihre Runde drehen.

Und in Indien selbst? Dort waren Eier bisher noch einigermaßen erschwinglich, weil viele Futtermittel im Land angebaut werden, teilweise von den Firmen selbst, wie im Fall von "Ponni Farms", einem Hühnerzucht-Spezialisten mit Sitz in Namakkal im südlichen indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Die Region bezeichnet sich laut Eigenwerbung auf der Website als "Land des Geflügels." Sasti Kumar, Co-Geschäftsführer von "Ponni Farms" sagte nun gegenüber Reuters: "Es sieht so aus, als ob die indischen Eiexporte in der ersten Hälfte des Jahres 2023 stark bleiben werden." Bislang exportierte man aus Indien hauptsächlich in Länder des Nahen Ostens, wie Oman und Katar. Aber auch Länder wie Singapur oder Sri Lanka könnten sich bald direkt in Indien eindecken, so Kumar. Also dann: Von Indien nach Singapur, direkt und ohne Umweg über Malaysia.

Malaysia wurde im Gegensatz zu Indien in den vergangenen Jahrzehnten stark industrialisiert und gilt als drittgrößte Volkswirtschaft in Süd-Ost-Asien. Der Agrarbereich spezialisierte sich auf Bäume für den Palm-Öl und Kautschuk-Export. Futtermittel müssen zugekauft werden und sind seit dem Krieg in der Ukraine weltweit teuer geworden. Daher haben die malayischen Bauern die Eier-Produktion gedrosselt, was dazu führte, dass immer mehr indische Eier importiert wurden.

Diese Lieferketten-Probleme, die bereits durch den Ausbruch der Pandemie deutlich wurden und sich durch den Ukraine-Krieg noch einmal zuspitzten, lassen sich auch an anderen Orten beobachten. So warnten die US-Behörden in der vergangenen Woche die Konsumenten davor, Eier aus Mexiko oder Kanada einzuführen, darauf stehe bei gewerbsmäßigem Schmuggel eine Geldstrafe von bis zu 10 000 US-Dollar. Hintergrund: Auch die US-Eierpreise sind bis Dezember um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, weshalb sich viele Menschen in grenznahen Regionen gleich im Nachbarland mit Eiern eindecken. Ein lokaler US-Sender berichtete, dass eine Packung mit zwölf Eiern in einigen Mini-Märkten in den US-Grenzgemeinden fast acht Dollar koste, im Vergleich zu weniger als drei Dollar auf der anderen Seite der Grenze in Tijuana, Mexiko.

Doch nicht nur der Preisanstieg für Futtermittel durch den Ukraine-Krieg verteuert die Eier weltweit. Auch der Ausbruch einer hochansteckenden Vogelgrippe in den USA, Europa und Asien hat die Versorgung mit Eiern und Hühnern in vielen Ländern der Welt eingeschränkt. Positive Seuchentest-Ergebnisse haben sich im Januar fortgesetzt, was die Preise vermutlich weiter steigen lassen wird.

Malaysia will seine Eierversorgung jetzt "diversifizieren"

Auch deswegen gab das malaysische "Ministerium für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit" bereits im Dezember eine Erklärung ab, wonach man das Fenster für die Einfuhr von Hühnereiern geöffnet habe, nachdem die Produktion im eigenen Land immer teurer geworden sei. Und nun - als sei das nicht alles schon kompliziert genug - möchte Malaysia seine Eierversorgung diversifizieren und beispielsweise auch Brunei als neues Herkunftsland zulassen.

Diversifizierung, das ist in diesen Zeiten eine Art Zauberwort, und es bedeutet: Je mehr Lieferanten, desto sicherer und unabhängiger. Auf diese Weise wolle man in Zukunft "Störungen der Lebensmittelversorgung vermeiden, die durch Krankheiten, geopolitische Spannungen und den Klimawandel verursacht werden", sagte Mohamad Sabu, der neue malaysische Minister für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, bei einem Besuch einer Brüterei in Tamil Nadu, dem indischen "Geflügelland".

Die Importe aus Indien hätten kurzfristig dazu beigetragen, dass die Eier-Preise in Malaysia erstmal zurückgegangen sind. Nachdem im November noch ein Defizit von 157 Millionen Eiern verzeichnet wurde, betrug die Marktlücke im Dezember nur noch eine Million, erklärte Mohamad Sabu gegenüber Reuters. "Die malaysische Eierproduktion wird sich in einigen Monaten erholen, da die Regierung die Subventionen erhöht hat", sagt auch Tan Chee Hee, Präsident der "Federation of Livestock Farmers' Association of Malaysia".

Nun ist es aber nicht so, als hätte nicht auch Indien allmählich seine Probleme. Denn in der Zwischenzeit sind auch hier die Eier-Preise um fast ein Viertel gegenüber dem Vorjahrespreis gestiegen. Im vergangenen Jahr hatte Indien ein Export-Verbot von Weizenprodukten verhängt, nachdem man zunächst gehofft hatte, die Handelsbilanz mit einer Rekord-Ernte aufzubessern. Doch dann kam die Hitzewelle und verbrannte die Saat.

In Indien ist das einheimische Eier-Angebot nun um etwa ein Zehntel gesunken, da die Kleinbauern, wie ihre Kollegen in Malaysia, die Produktion gedrosselt haben. Sie warten die Auswirkungen der hohen Futtermittelpreise auf den Weltmarkt ab. Wenn nun aber die indischen Inlandspreise jetzt langsam steigen, könnte dies wiederum dazu führen, dass der Export von Eiern bald weniger rentabel wird. Dann müssten die Käufer aus Malaysia zusehen, wo sie ihre Eier herkriegen. Und die aus Singapur sowieso.

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