Die Recherche zu Arbeit:Warum ein Detroiter Fabrikarbeiter um die Welt ging

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Ein Ford als Geschenk für den Detroiter Fabrikarbeiter James Robertson (Foto: REUTERS)
  • "Hard-walkin' worker": Warum hinter dem Hype um den Detroiter Arbeiter James Robertson mehr steckt als die Lust am Kuriosen.
  • Für das Rechercheprojekt Arbeit und Ausbeutung wollen wir Menschen mit mehreren Jobs porträtieren.
  • Außerdem blickt Die Recherche hinter die Etiketten "Asylant" oder "Hartzer" und sucht dafür Interviewpartner.

Von Sabrina Ebitsch

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

vielleicht ist Ihnen in jüngster Zeit James Robertson begegnet. Die Geschichte des Detroiter Fabrikarbeiters, der mangels Auto und Busanbindung täglich 34 Kilometer zurücklegt, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen, ging um die Welt (wie er selbst im Laufe der vergangen fünf Jahre übrigens auch einmal, hochgerechnet). Ehrentitel wie "fleißigster Mann der Welt" oder "hard-walkin' worker" wurden ihm zuteil, ebenso wie mittlerweile ein Auto und Spendengelder in Höhe von Hunderttausenden Euro.

Dass der Bericht einer Detroiter Lokalzeitung auf so immenses Interesse stieß und ein weitgehend durchschnittlicher Arbeiter nun überdurchschnittliche Aufmerksamkeit erfährt, hat nicht nur mit dem vermeintlichen Blick ins Kuriositätenkabinett und der internetöffentlichen Mitleidsmaschinerie zu tun, die rasch Fahrt aufgenommen hat.

Es hat mit uns zu tun.

Aufmerksamkeit und Mitleid sind selten selbstlos. Nun wird kaum jemand Tag für Tag Blasen und Dutzende Kilometer Fußweg auf sich nehmen, um ins Büro zu kommen (falls doch, wenden Sie sich bitte an Ihre Lokalzeitung). Ein Vergleich mit Robertson wäre also in der Regel Anmaßung.

Aber auch wir nehmen einiges in Kauf, um arbeiten zu können, arbeiten zu dürfen. Was ist uns unsere Arbeit wert? Gewaltmärsche bei Wind und Wetter? Oder eher der mittelbare Tribut: Ermüdung, Erschöpfung, Erniedrigung? Selbstausbeutung, Verlust der Sozialkontakte, Burnout? (Nur ein Ausschnitt aus den bisherigen Rückmeldungen unserer Leser zur aktuellen Recherche zu Arbeit und Ausbeutung.)

Nicht zu arbeiten, könne er sich nicht vorstellen, hat James Robertson erklärt. Ein zentraler Satz - auch für die, die sich über ihren Job definieren, ihn als sinnstiftend erleben, für ihn brennen. Auch dazu planen wir innerhalb des Recherche-Schwerpunkts einen Beitrag. Wir suchen außerdem Menschen, die hochqualifiziert, aber ohne die für sie wichtige Arbeit sind - und die nun umso mehr unter stigmatisierenden Etiketten wie "Hartzer" oder "Asylbewerber" leiden.

Für die anderen braucht es eine Variation dieses Satzes: Nicht zu arbeiten, können sie sich nicht leisten. Menschen, die, zumal in teuren Städten wie München, mit Nine-to-five-Jobs kaum über die Runden kämen. Die zwei oder mehr Stellen brauchen, um sich und ihre Familien zu finanzieren. Die Reinigungskraft, die in mehreren Haushalten und Büros die Dreckarbeit für andere macht; oder die alleinerziehende Mutter, die die Wochenenden, an denen die Kinder beim Vater sind, durcharbeitet. Wir sind auch hier noch auf der Suche nach Interviewpartnern: Melden Sie sich, wenn es Ihnen ähnlich geht - oder wenn Sie Menschen kennen, die man neudeutsch "Multi-Jobber" oder "Doppel-Jobber" nennt.

Wir freuen uns, von Ihnen zu hören - dazu oder auch mit weiteren Tipps, Ideen, Meinungen zu diesem Schwerpunkt. Im Rahmen der Recherche zu Arbeit und Ausbeutung werden unsere Autoren bis März etwa 20 Beiträge recherchieren, die dann als Dossier diesem von den SZ-Lesern gewählten Thema gewidmet sind. Bis dahin halten wir Sie hier im Rechercheblog auf dem Laufenden.

Viele Grüße,

Sabrina Ebitsch, Team Die Recherche

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