Der Niederländer Paul van Son, 56, leitet seit Oktober die Desertec-Gesellschaft DII, das größte und teuerste Öko- und Infrastrukturprojekt aller Zeiten. In seinem ersten Interview kündigt Son an, dass schon in wenigen Jahren der erste Wüstenstrom fließen wird. In Marokko will die Industrie-Initiative mit riesigen Kraftwerken den Anfang machen. Van Son fordert mehr politische Unterstützung in Europa und wird den Kreis der Teilnehmer im März um afrikanische Partner erweitern - ein Meilenstein für die Realisierung des internationalen Milliardenprojekts.
SZ: Herr van Son, andere Kandidaten für den Desertec-Chefposten sprangen mit Muffensausen ab. Weite Teile Europas mit Wüstenstrom zu versorgen, gilt als das ehrgeizigste Vorhaben seit der Mondlandung. Haben auch Sie an Flucht gedacht, als im September der Anruf aus Deutschland kam?
Paul van Son: Nein, keine Minute. Es ist das Schicksal vieler visionärer Ideen, dass lange kaum jemand an sie glaubt. Bei Desertec sind wir aber viel weiter. Weil Industrie und Wissenschaft die Notwendigkeit des Projekts erkannt haben. Die Idee der Desertec-Foundation ist bestechend und von historischer Dimension: Einen vergleichbaren Schritt in ein neues Energiezeitalter hat es seit Beginn der Stromversorgung im 19. Jahrhundert nicht gegeben.
SZ: Geschichte schreiben wollten schon andere. Mehr als einmal hat die Menschheit große Hoffnungen in neue Energietechnologien gesetzt. Mehr als einmal wurde sie enttäuscht. Seit Jahrzehnten wird der Durchbruch bei der Kernfusion angekündigt - und verschoben. Warum soll es nun bei Desertec klappen?
van Son: Weil wir keine komplexe Technik brauchen, die noch erforscht werden muss. Wir wollen Wind, Photovoltaik und Solarkraftwerke nutzen. Die gibt es seit Jahren - die ersten arbeiten in Spanien und den USA. Und ihr Antrieb, die Sonne, schickt pausenlos Energie auf die Erde. Allein in Wüsten kommt in sechs Stunden so viel an, wie die Menschheit in einem ganzen Jahr verbraucht. Auch wenn noch viele Schwierigkeiten zu überwinden sind: Es wäre verschwenderisch, das nicht zu nutzen. Es ist Zeit für eine Revolution.
SZ: Sie sollen in wenigen Jahren aus der Vision Realität machen. Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
van Son: Wir wollen bis 2012 ein politisch abgestimmtes Konzept vorlegen und damit den Weg bereiten für die Entwicklungen bis 2050 - inklusive Plänen für erste Projekte. Ich erwarte, dass der große Schub erst in der zweiten Hälfte dieser Periode stattfindet. Aber wir wollen sehr schnell beweisen, dass die Idee funktioniert. Desertec wird schon im ersten Jahrzehnt Realität. Für den Bau erster Referenzprojekte werden wir in Kürze einen weiteren Geschäftsführer einstellen, der sich mit einem Team nur darum kümmert.
SZ: Wo entstehen die ersten Wüstenkraftwerke?
van Son: Gute Standorte gibt es zwischen Marokko und Ägypten zuhauf. Auch in Wüsten des Nahen Ostens. Es zeichnete sich ab, dass Marokko für erste Vorhaben ein idealer Partner ist. Wir wollen dort alle in Frage kommenden Technologien einsetzen: Solar, Photovoltaik und Windkraft. Der Vorteil: In Marokko gibt es schon eine Hochspannungsverbindung nach Spanien. Das erleichtert die Arbeit. Ich habe bereits mit der marokkanischen Energieministerin gesprochen und bin beeindruckt von der Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Ähnliche Gespräche gibt es mit der tunesischen Regierung.
SZ: Sie müssen Kulturen an einen Tisch bringen, die sich lange nicht grün waren: Die christliche und die islamische, die afrikanische und die europäische, die entwickelte Welt und sich entwickelnde Länder. Wie wollen Sie schaffen, woran die Uno regelmäßig scheitert?
van Son: Wir werden über Jahre Überzeugungsarbeit leisten müssen - auf beiden Seiten. Industrieländer müssen ihren nationalen Energiemix überdenken, die Länder Nordafrikas darauf vertrauen, dass es nicht um modernen Kolonialismus geht. Wir müssen allen klar machen, was sie verpassen, wenn sie bei der Gestaltung eines neuen Energiezeitalters nicht mitmachen. Nur gemeinsam werden wir strenge Klimaziele erreichen. Und in Afrika wird Desertec die lokalen Lebensverhältnisse verbessern: Mit den Kraftwerken kommen Jobs, Einnahmen - und Strom. Denn produziert wird für Ursprungsländer und Europa.
Im Video: US-Präsident Obama wirbt mit Atomkraftwerk-Kredit für Klimagesetz.
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SZ: Der Start in die Energiewende wird teuer. Desertec kostet 400 Milliarden Euro - fünfmal mehr als die Apollo-Mondmission. Wo lassen sich in der Krise so potente Geldgeber auftreiben?
van Son: Zugegeben: Die Zahl klingt gewaltig. Aber was kaum jemand sieht: der Aufbau der gleichen Kapazitäten mit Kohle-, Atom- oder Gaskraftwerken in Europa wäre mindestens genauso teuer. Und Energieversorgung kostet ja nicht nur. Die beteiligten Konzerne erschließen sich neue Geschäftsfelder. Und Solarkraftwerke werden sich auf lange Sicht genauso rentieren wie herkömmliche Kraftwerke.
SZ: Ohne Hilfe vom Staat wird es anfangs kaum klappen.
van Son: Das Projekt braucht starke politische Unterstützung - in der EU, aber auch in Nordafrika und dem Nahen Osten. Investoren brauchen Sicherheit, beispielsweise in Form einer garantierten Abnahme des Stroms zu einem Preisx, ähnlich wie bei heutigen Ökostrom-Formen wie der Solar- und Windförderung in Deutschland. Unser Ziel ist es, stabile Rahmenbedingungen zu bekommen, damit private wie öffentliche Geldgeber in zukünftige Projekte investieren werden.
SZ: Der Schlüssel sind leistungsfähige Stromleitungen. Europa will aber in den nächsten zehn Jahren nur zwei Milliarden Euro in die Netze investieren. Das wird kaum reichen.
van Son: Wir brauchen neuartige Gleichstromleitungen zwischen Nordafrika und Europa, bei denen der Energieverlust selbst bei großen Entfernungen äußerst gering ist. Dafür veranschlagen Experten bis 2050 etwa 50 Milliarden Euro. Dieses Geld muss aber nicht zwingend aus öffentlichen Kassen kommen.
SZ: Noch wird Desertec von deutschen Konzernen wie Siemens, Eon oder der Deutschen Bank dominiert. So werden Sie kaum Akzeptanz in Algier oder Kairo schaffen. Wann kommen die erhofften neuen internationalen Partner?
van Son: Sehr bald. Wir werden im März vier oder fünf neue Gesellschafter aufnehmen - Energieversorger und Technologiefirmen aus Italien, Spanien, Frankreich, Tunesien und Marokko. Eine weitere Runde soll in einigen Monaten folgen.
SZ: Wie groß wird die Desertec-Gesellschaft?
van Son: Das Unternehmen ist offen. Auf eine Höchstzahl legen wir uns nicht fest. Aber für die Aufnahme gelten strenge Kriterien: Was kann ein neuer Partner inhaltlich zu dem Projekt beitragen? Und wo kommt er her? Außerdem haben wir gerade eine neue Form assoziierter Mitglieder ohne Stimmrecht geschaffen, die bei Desertec mitmachen wollen. Deren Zahl ist nicht limitiert.
SZ: Klingt als stünden die Bewerber nur so Schlange. Können Sie wirklich auswählen?
van Son: Der Ansturm ist tatsächlich gewaltig. Es gibt viel mehr Interessenten, als der Gesellschafterkreis aufnehmen kann. Für den Kreis assoziierter Mitglieder sind es bereits mehr als hundert.
SZ: Noch nie hat Deutschland im Ausland Kraftwerke gebaut und deren Strom importiert. Gegner warnen vor Abhängigkeiten von undurchschaubaren Regimen Nordafrikas wie Libyens Revolutionsführer Muammar Gaddafi und fürchten Terroranschläge. Sie nicht?
van Son: Jeder Energieträger birgt Risiken: Nehmen Sie Ölkrisen oder den Lieferstopp bei russischem Gas. Schon heute importieren wir im großen Stil Rohstoffe aus Algerien oder Libyen - die Frage der Energiesicherheit geht ganz Europa an. Aber die Diskussion um die Sicherheit von Sonnenkraftwerken ist übertrieben. Wir planen in Partnerschaft erneuerbare Energien von Marokko bis Saudi-Arabien. Die Quellen sind breit gestreut. Ich sehe mehr Vor- als Nachteile. Europa und Afrika können stärker zusammenwachsen. Ich glaube, dass Desertec zu einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung führen wird.
SZ: Die Initiative will einen Kopf wie Gerhard Schröder für die Ostseepipeline oder Joschka Fischer für Nabucco, der dem Projekt internationales Gewicht gibt. Seit Wochen bemühen Sie sich um die Verpflichtung von Klaus Töpfer als Sonderbotschafter. Wann unterschreibt er?
van Son: Es stimmt: Wir wollen einen Hochkaräter mit internationaler Bekanntheit und einem Herz für nachhaltige Entwicklungen verpflichten, der auf politischem Parkett Türen öffnen kann. Die Verhandlungen liegen in den letzten Zügen.