Der Fall Thilo Sarrazin und die Folgen:Stresstest für die Bundesbank

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Stürmische Zeiten für die Bundesbank: Sie muss sich mit Sarrazins Eskapaden beschäftigen - und mangelnde Unabhängigkeit vorwerfen lassen. Doch die Kritik an ihrem Präsidenten Weber hat vor allem mit einer Person zu tun: mit Weber selbst.

Helga Einecke

Der Fall Sarrazin lenkt den Blick auf die Institution Bundesbank. Noch nie hat sie ein Vorstandsmitglied rausgeworfen, ja, sie hat nicht einmal klare Regeln dafür. Einige werten den Vorgang als Schwäche und nicht als Machtdemonstration der deutschen Notenbank. Es stimmt, die Bundesbank hat an Bedeutung verloren, Personalabbau und Filialschließungen sind nötig und im Gange. Aber davon, die Währungsbehörde abzuschaffen oder zu zerschlagen, redet inzwischen zu Recht niemand mehr.

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Derartige Forderungen wären auch realitätsfremd. Die Bundesbank ist Teil des Eurosystems, sie hat unter den Notenbanken im Euroraum wegen der Stärke und Größe der deutschen Wirtschaft Gewicht. Sie lässt Geld drucken, überwacht Zahlungsströme und Banken, setzt die Geldpolitik um, sichert die Finanzmärkte ab. Die Bundesbank arbeitet autonom, ist auf den Austausch mit der deutschen Regierung aber angewiesen, auch auf die enge Zusammenarbeit mit anderen Notenbanken.

Die Älteren in der Bevölkerung erinnern sich daran, wie die Bundesbank zu Zeiten der D-Mark vergöttert wurde. Sie galt als unbezwingbare Bastion eines stabilen Geldes. Von Bundeskanzlern wie Konrad Adenauer bis Helmut Schmidt ließen sich die Herren an ihrer Spitze nichts sagen. In ihrer Unabhängigkeit konnten sie auf eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung zählen. Erste Risse zeigten sich, als die Mauer fiel und die Politik die Währung dominierte. Ein Bundesbankpräsident dankte ab, weil die Regierung über seinen Kopf hinweg die D-Mark zu sehr günstigen Bedingungen nach Ostdeutschland brachte.

Dann kam der Euro. Die Bundesbank wurde erst gebraucht, um das neue Geld generalstabsmäßig über das Land zu verteilen, dann wurde sie zurechtgestutzt. Sie musste die Macht an die Europäische Zentralbank abgeben, nur ihr Präsident hat dort ein Stimmrecht. Das Sagen in der Bankenaufsicht zog die neue Behörde Bafin an sich. Dem aufgeblähten Apparat der Bundesbank, von dem bis heute einige luxuriöse Immobilien Zeugnis geben, wurde die Luft abgelassen. Als ein Bundesbankpräsident dann aus dem Amt getrieben wurde, weil er sich von einer Bank einen Hotelaufenthalt hatte bezahlen lassen, da schien die Bundesbank ihren guten Ruf selbst zu verspielen.

Der amtierende Bundesbankpräsident Axel Weber setzte einige neue Akzente. Von Haus aus Wissenschaftler und Geldtheoretiker, lässt er das Thema Volkswirtschaft und Forschung in der Bundesbank großschreiben. Junge Tüftler sollen Ideen zur Finanzwelt entwickeln, auch mal querdenken. Das zahlte sich schon ganz praktisch aus, zum Beispiel während der Finanzkrise. Die Idee zum Auffangbecken für kranke Banken kam aus der Bundesbank, sie leistete Starthilfe für den Rettungsfonds Soffin.

Überhaupt machte Weber während der Finanzkrise in Berlin eine gute Figur, weil er eng mit der Regierung zusammenarbeitete und als sachkundiger Berater fungierte, wie es das Gesetz vorschreibt. Die Berufung eines renommierten Fachmanns an die Spitze der Notenbank anstellte eines verdienten Politikers zahlte sich aus. Aber Weber allein kann die Notenbank nicht auf Kurs halten.

Deutsche Angelegenheit

Dazu braucht er fähige Vorstandskollegen. Einer muss etwas von Bankenaufsicht verstehen, weil die deutschen Banken bei den Verhandlungen zu den neuen Kapitalregeln international am Pranger stehen. Ein zweiter muss auf dem Feld der Finanzmärkte beschlagen sein, weil das System schon zweimal zu kippen drohte und schwer durchschaubar bleibt. Ein dritter sollte den Zahlungsverkehr im Griff haben. Genauso wichtig ist der Posten eines Innenministers, der sich um die 9000 Beschäftigten und die Verwaltung kümmert und dem Chef den Rücken freihält. Der Schulterschluss dieser vier Vorstände gegen Sarrazin zeugt von einer gemeinsamen Überzeugung, wie die Bundesbank zu führen ist. Das ist ein Pfund, mit dem Weber wuchern kann. Er hat seinen Laden im Griff.

Wenn dem Bundesbankpräsidenten Kritik entgegenschlägt, dann liegt das vor allem an seinen Ambitionen, im nächsten Jahr Notenbankchef für ganz Euroland zu werden, also EZB-Präsident Jean-Claude Trichet zu folgen. Seit er für diesen Posten gehandelt wird, ist ihm eine hohe Aufmerksamkeit sicher. Nun wird ihm angekreidet, er habe Sarrazin auf Druck der Bundeskanzlerin gekündigt, also nicht autonom gehandelt. Er konnte aber nicht handeln, bevor Sarrazin sich selbst mit Entgleisungen gegen Muslime und Juden ins Aus katapultierte, er musste auch erst die Rechtslage prüfen lassen.

Im Ausland gilt Sarrazin eher als deutsche Angelegenheit. Einigen Regierungen im Euroraum stieß aber schon vorher sauer auf, dass sich der Bundesbankpräsident gegen den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB stemmt. Diese Regierungen werden sich überlegen, ob sie einen Mann auf den Euro-Schild heben, der die gemeinsame Notenbank nicht auf Dauer als Auffangbecken für die Schulden der Regierungen toleriert. Das muss Weber nicht stören, die Tradition der Bundesbank zeigt, wie wenig sich eine zu nachgiebige Haltung gegenüber Regierungen auszahlt.

Weder der Fall Sarrazin noch eine begründet abweichende Haltung innerhalb des EZB-Rats aber sollten Hindernisse für eine deutsche Kandidatur für die Spitze des Eurotowers sein. Trichet zum Beispiel stand kurz vor seiner Ernennung zum EZB-Präsidenten vor Gericht und musste seine Unschuld in einem Bankenskandal beweisen, was er auch tat.

© SZ vom 04.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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